Trügen die Zeichen?

Von Michael Rutschky |
Früher, so heißt es, gehörte das Wetter bloß zum Smalltalk. Wenn anderer Gesprächsstoff ausblieb, redete man halt über die andauernden Regenschauer oder die Dürre, die nicht weichen will. Aber dann überschritt die Menschheit diese Epochenschwelle; die Klimakatastrophe, von der industriellen Produktionsweise hervorgerufen, droht den Planeten zu verwüsten, und jedes Gespräch über den Sonnenschein oder die Wolken berührt die letzten Dinge.
Doch schon in alten Zeiten bot das Wetter Gelegenheit zu Großorakeln. Wirbelstürme, Überflutungen warnten die Gläubigen vor Gottes Zorn, wie das Blättern in Barockzeitungen lehrt. "Der liebe Gott schimpft", sagte man in meiner Kindheit, wenn ich mich vor Donner und Blitz fürchtete, das apokalyptische Zeichen von einst humoristisch entmächtigend. Das haben die Etrusker der europäischen Kultur vererbt, sagen die Historiker: überall in der Natur kleine Zeichen erkennen, welches Heil respektive Unheil direkt bevorsteht.

Dass der Klimawandel ein großes Unheilszeichen ist, scheint außer Frage zu stehen. Deshalb nennt man ihn gern Klimakatastrophe. Kein Gegenstand belanglosen Smalltalks, vielmehr eines der wirklich wichtigen Themen.
Doch kommt eine andere Unterscheidung ins Spiel. Der Klimawandel, die Klimakatastrophe findet in einem anderen Raum statt als dem, wo ich mein persönliches Leben führe. Mag sein, dass die Menschheit, insbesondere der westlich-kapitalistisch verfasste Teil der Menschheit, die Katastrophe zu verantworten hat, insofern die industrielle Produktionsweise sie verursacht. Aber ich persönlich kann es nur begrüßen, dass in diesem Jahr der Winter ausfiel. Keine Schneemassen, die das Auto begruben; keine Kältegrade, die für jeden Weg nach draußen sibirische Bekleidung notwendig machten. Das hörte man öfter, von November bis März, von den Mitbürgern: "Also, wenn das die Klimakatastrophe ist - ich bin dafür."

Ebenso stand es um den ungewöhnlich langen und strahlenden Sommer des Jahres 06. Der ja auf einen scharfen und ausgedehnten Winter folgte, und das magische Denken, das viele unserer Erwägungen beherrscht, machte es so aussehen, als hätten wir den schönen Sommer verdient, indem wir den kalten Winter ertrugen.

Doch finden diese Wetterzustände, die das persönliche Leben bestimmen, halt in einem anderen Raum statt als in dem, wo der Klimawandel, die Klimakatastrophe drohen. Ein Mitbürger, der unwirsch den lieblichen Frühlingshimmel mustert, weil er schon die katastrophale Erderwärmung anzeige, man nimmt solche Mitbürger als Spielverderber wahr. Es ist dann, im Sommer, nach soundsovielen Wochen Hitze erlaubt, darüber zu klagen, sich ein paar Tage Regen und Abkühlung zu wünschen. Aber wer drohend darauf zu sprechen kommt, dass jetzt endlich die Menschheit spüre, was sie mit dem Planeten anrichtet, und es werde noch viel schlimmer kommen, Wüstenei wie auf dem Mars - wer so redet, hat bald alle Zuhörer eingebüßt. Dabei wird die apokalyptische Wettererzählung im Fernsehen und den anderen Medien groß weiterverfolgt; jeder Tornado, jede Flutwelle liefert Stoff, dramatische Bilder, die man aufmerksam und sorgenvoll zur Kenntnis nimmt.

Aber als Mitteilungen über den allgemeinen Weltzustand dringen sie nicht ein in den persönlichen Raum, wo die Leute ihr Leben führen. So lehren es auch die Umfragen zu anderen Problemen: Der Zustand der Wirtschaft, der Bildung, der Politik, eine Mehrheit der Bürger hält ihn für verheerend - aber die persönlichen Lebensumstände schauen regelmäßig ganz ordentlich, womöglich sogar gut aus.

So weigert sich das Wetter, die apokalyptischen Zeichen bis in den Alltag hinein auszusenden, Zeichen, die ihm Auguren und Prediger von der Antike bis zum Barock immer wieder ablesen wollten. Das Wetter findet innerhalb meines persönlichen Lebenshorizonts statt - jenseits davon mag die Katastrophe drohen oder gar schon eingetreten sein.

Man kann diese Resistenz gegen Weltnachrichten als Unvernunft missbilligen; die Leute wollen einfach nicht einsehen, dass es bei Warnungen betreffend den Zustand des Planeten irgendwann um das Leben jedes Einzelnen geht. Man kann den Widerstand des Alltäglichen aber auch als eine eigene Form von Common Sense loben, eine Vernunft, die nur anerkennt, was ihr vor Augen ist. Fest steht, dass diese Unterscheidung nicht aufhört, ihre Wirkung zu tun. Das Weltklima findet einfach anderswo statt als ein schöner Frühlingstag mit seinen Überzeugungskräften.


Michael Rutschky, geboren 1943 in Berlin, ist Schriftsteller und freier Publizist. Er arbeitet für Presse und Rundfunk. Buchveröffentlichungen u. a. "Die Meinungsfreude", "Unterwegs im Beitrittsgebiet", "Mit Dr. Siebert in Amerika" und "Berlin - die Stadt als Roman".