Trümpler: Die Nofretete gehört nach Berlin
Im Streit um eine Rückgabe der Nofretete-Büste an Ägypten rät die Leiterin der Archäologischen Abteilung des Ruhr Museums in Essen, Charlotte Trümpler, zur Entspannung. Über die Mitnahme von archäologischen Fundstücken aus dieser Zeit gebe es "wasserdichte Verträge".
Katrin Heise: "Das große Spiel. Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus", so heißt die erste Sonderausstellung im neuen Ruhr Museum in Essen. Heute startet sie. Eigentlich ist doch die Archäologie der Jahre 1860 bis 1940 von einem gewissen Mythos umgeben, geprägt von Abenteuer, Leidenschaft, Intuition, Träumen, von legendären Expeditionsleitern. Und nun stellt diese Ausstellung den schnöden Zusammenhang zwischen der Archäologie und der Politik in den Vordergrund. Ich begrüße die Kuratorin, Charlotte Trümpler, schönen guten Tag, Frau Trümpler!
Charlotte Trümpler: Guten Tag!
Heise: Spielen denn tatsächlich Ausgrabungen eine Rolle in der Politik oder eher umgekehrt, die Politik beeinflusste Ausgrabungen?
Trümpler: Man muss das beides, glaube ich, zusammen sehen. Also es ist eine Wechselwirkung. Einerseits denkt man eben, wie Sie schon gesagt haben, dass ein paar verträumte Archäologen sozusagen hingehen und Schätze graben. Aber dass es gerade am Ende des 19. Jahrhunderts die Politik war, die Wirtschaft, die Religion und so weiter, die die Archäologie sehr stark beeinflusst haben, ist eigentlich den wenigsten Leuten bewusst. Und dass durch diese tollen Funde, die man gemacht hat, auch das nationale Bewusstsein gestärkt worden ist, ist auch wenig bekannt.
Heise: Das heißt, das ist so die Bedeutung, die Ausgrabungen hatten, wenn ein Staat seine politische Macht zeigen oder ausweiten wollte, also so zu zeigen, wir sind fähig dazu, solche Dinge auszugraben, zu finden?
Trümpler: Ja, ganz sicher. Es begann ja sozusagen, ein Nationalismus zu erwachen. Sagen wir mal so ab 1871, als das Deutsche Reich gegründet worden ist, wollten die Deutschen den Rückstand aufholen, den die Franzosen und Engländer schon im Nahen Osten durch Ausgrabungen durchgeführt hatten. Also die waren schon ab 1850/60 tätig und hatten in Nimrud beispielsweise, und verschiedene in Khorsabad, fantastische archäologische Monumente gefunden, die das British Museum und den Louvre bereichert haben.
Heise: Und da wollten die Deutschen dann aufholen. Der Titel der Ausstellung geht zurück auf den Begriff "Das große Spiel" und der meint den imperialen Kampf zwischen Russland und England um Territorien in Zentralasien. Sie haben den Blick geweitet eben auf die Deutschen, Italiener, die Franzosen auch noch. Wurde denn da wirklich um Ausgrabungsstätten auch gekämpft?
Trümpler: Also gekämpft, blutig in diesem Sinne jetzt nicht, aber im Rivalitätssinn. Also eine der Motivationen war auf jeden Fall die Rivalität zwischen den einzelnen Nationen um die prestigeträchtigsten und fundträchtigsten Ausgrabungsstätten im Nahen Osten, Zentralasien und Nordafrika. Und das begann eben, als die Deutschen merkten, dass sie noch keine Museen hatten, die gleichwertig waren wie die anderen europäischen Nationen. Und sie haben deswegen versucht, diesen Rückstand aufzuholen, indem sie in Babylon anfingen zu graben, beispielsweise, in Azur oder dann in Ägypten.
Heise: Also man hat nicht aus Forschungszwecken gegraben, sondern weil man seine eigenen Museen irgendwie voll kriegen wollte?
Trümpler: Also so schwarz-weiß würde ich das jetzt nicht formulieren. Die Leute, die ausgezogen sind, um diese Ausgrabungen durchzuführen, das waren ja nicht vorwiegend Archäologen, sondern das waren zum Teil Priester, das waren Konsuln, das war Ingenieure, Architekten und so weiter. Die hatten natürlich ihre ureigensten Interessen, irgendetwas zu dokumentieren, etwas zu finden und so weiter. Und natürlich auch Funde zu machen, die sie dann in ihre Ursprungsländer zurückbekommen haben. Aber der Wissensdrang stand bei den Forschern im Vordergrund.
Heise: Sie haben das umfangreiche Begleitwerk zur Ausstellung in verschiedene Aspekte gegliedert, nämlich in die Motive, die da eine Rolle spielten. Sie haben schon einige erwähnt, also wir haben schon über die eigenen Museen gesprochen, Sie haben die Wirtschaft erwähnt, Sie haben aber auch so ein Kapitel wie Spionage. Geben Sie uns doch da mal ein Beispiel, wie Spionage und Ausgrabung zusammengingen?
Trümpler: Also das klassischste Beispiel oder das bekannteste ist Lawrence von Arabien, bekannt durch den Film in der Darstellung von Peter O'Toole. Und den wenigsten Leuten ist bekannt, dass Lawrence zwischen 1911 und 1913 in Syrien auf Ausgrabung tätig war, und im Anschluss daran hat er mit seinem Grabungsleiter Leonard Woolley in der Negev-Wüste archäologische Dokumentationen erstellt. Das war aber nur eine Tarnung für Militäringenieure, die Kartierungen durchführten. Das war kurz vor dem Ersten Weltkrieg, und die wollten noch restliche Karten erstellen im Sinai, und die Archäologen galten sozusagen als Deckmantel gegenüber dem Osmanischen Reich, damit man nicht merkte, dass solche militärischen Aktionen schon im Gange waren.
Heise: Sie haben die Rivalität erwähnt, die die Länder untereinander hatten, um da irgendwie die besten Ausgrabungsstätten zu finden oder beziehungsweise dort graben zu können. Wie sieht denn das heute aus, gibt es solche Kämpfe, solche Rivalitäten immer noch?
Trümpler: Eigentlich nicht, nein, weil die Leute, die dort unten forschen, die haben ja, bereiten solche Projekte sehr langfristig vor. Dann müssen Grabungsanträge gestellt werden, die Funde bleiben ja sowieso im Land, und es gibt jetzt eigentlich diese Rivalität in der Regel nicht mehr. Das ist mehr der wissenschaftliche Impetus, der da den Ausschlag gibt für die Expeditionen dahin.
Heise: Und man arbeitet auch mehr zusammen als damals?
Trümpler: Man arbeitet sicher auch mehr zusammen. Wobei man jetzt da sagen muss, dass natürlich die Forscher untereinander jetzt nicht immer in einem Rivalitätsverhältnis standen. Also die Gertrude Bell beispielsweise, die Engländerin, die die ersten Vermessungen von der Moschee Samarra gemacht hat, die hatte ein großes und enges freundschaftliches Verhältnis zu den deutschen Ausgräbern in Babylon, ist immer dahingereist und hat sozusagen ihren englischen Kollegen, Lawrence von Arabien, Wolley Karkemisch unter die Nase gehalten, wie professionell die Deutschen da unten tätig sind und dass doch eigentlich die Engländer das im Grunde genommen auch ein bisschen besser machen sollten.
Heise: Archäologie und Politik, unser Thema im Deutschlandradio Kultur anlässlich der Eröffnung der großen Ausstellung "Das große Spiel" im Ruhr Museum. Im Gespräch die Kuratorin Charlotte Trümpler. Frau Trümpler, Sie haben schon Namen erwähnt wie Gertrude Bell, Lawrence von Arabien, Sven Hedin ist noch zu nennen, einige und viele andere. Die sind uns alle als Pioniere bekannt. Es gibt ja auch wunderbare Biografien über diese berühmten Ausgräber. Waren sie denn letztendlich nur Handlanger der Politik?
Trümpler: Das würde ich eigentlich so nicht sagen, weil viele von denen wussten schon früher, was sie eigentlich machen wollten. Also zum Beispiel Ernest Renan, ein Philologe, ein französischer, der mitgegeben wurde der Napoleonischen Expedition, militärischen Expedition 1860 in Libanon und Syrien, um den Aufstand der muslimischen Splittergruppen Drusen niederzuschlagen. Und Renan wollte eigentlich schon länger da unten irgendwie Grabungen machen, das war für ihn gerade ein guter Anlass, da mitgehen zu können, weil das Militär ihn dann auch bei den Ausgrabungen unterstützt hat und eben die ganzen Instrumente zur Verfügung hatte, Fotoapparate und so weiter.
Heise: Das heißt, da wurde dann so abgewogen, das eine nehme ich in Kauf, das andere kann ich dafür dann, ja, verwirklichen. Trotzdem wurden sie doch mehr oder weniger instrumentalisiert von der Politik?
Trümpler: Man muss eben immer sehr aufpassen, in welchen Bereichen man sich bewegt. Also sagen wir mal, es gab die klare Instrumentalisierung der Politik, beispielsweise in Nordafrika durch die Franzosen, die die Länder besetzt hatten, oder die Italiener in Libyen, die 1911 dort einmarschiert sind. Da wurde die Archäologie instrumentalisiert und die Archäologen damit auch, also vor allem in den 1930er-Jahren war das der Fall. Aber die Ausgräber, sagen wir mal, die die Nofretete jetzt ausgegraben haben, Ludwig Borchardt war jetzt nicht in dem Sinn instrumentalisiert durch die Regierung, sondern im Gegenteil, der kriegte ja die Gelder dadurch, dass sagen wir mal Wilhelm II gleichziehen wollte mit den Franzosen und Engländern.
Heise: Gab es eigentlich auch Forscher, Expeditionsleiter, die sich weigerten, da irgendwie beispielsweise diesem Prestigedrang ihrer Heimatländer zu folgen oder für die heimatlichen Museen da Dinge auszugraben, sondern die meinten, das gehört doch eigentlich den Ländern, denen wir es jetzt wegnehmen?
Trümpler: Ja, man muss das halt aus der Zeit heraus verstehen. Es war ja noch nicht so, dass diese Länder ihre eigene Geschichte erforscht haben. Und die Verhandlungen, die geführt worden sind zwischen den Regierungen, die sind ja nicht über die Köpfe von den Leuten hinweg gemacht worden. Also wenn Wilhelm II einen Vertrag mit dem Sultan Abdülhamid II, dem Herrscher, osmanischem Herrscher, hergestellt hat, war das ja ein Vertrag, der jetzt in freundschaftlicher Absicht geschlossen worden ist und der die Fundteilung vorsah. Und insofern waren die Archäologen ja nur froh, dass sie dahingehen konnten und eben ausgraben durften. Und da gab es diesen Vertrag, genau so in der Seidenstraße, da zeigen wir auch die Pässe von diesen Forschern, die dort den frühen Spuren des Buddhismus folgten, weil da tatsächlich drauf steht, wo sie genau graben dürfen und dass sie die Funde mitnehmen dürfen. Aber das ist mit der chinesischen Regierung dann vereinbart worden.
Heise: Vor dem ganzen Hintergrund, den wir jetzt ausgebreitet haben, wie könnte Ihrer Meinung nach denn ein richtiger Umgang mit diesen archäologischen Fundstücken jetzt aussehen bei der ganzen Rückgabe-Diskussion?
Trümpler: Also ich denke, man muss einfach ganz genau abwägen, um welche Stücke es geht. Also die, die jetzt, sozusagen immer und ewig in der Presse genannt werden, der Pergamonaltar oder die Nofretete, genau die haben ja absolut wasserdichte Verträge. Also die zeigen wir auch in der Ausstellung, dass die eben aufgrund von diesen Fundteilungsverträgen nach Deutschland gekommen sind. Insofern hat da Deutschland auch überhaupt kein Problem damit. Und wenn, dann würde ich versuchen, auf diplomatischem Wege einfach mit diesen Leuten, mit den Ursprungsländern noch mal zu verhandeln, sagen, wenn es irgendwelche Probleme gibt und warum und so weiter, weil die Nofretete ist ja auch die beste Vertreterin für Ägypten überhaupt. Also die ist, da es ja sehr auf den Tourismus angewiesen ist, und im Grunde genommen ist das eine sehr schöne, soll ich mal sagen, Botschafterin, die hier steht und die Leute doch nach Ägypten lockt, um dort zu zeigen, was es alles für Schätze gibt archäologischer Natur.
Heise: Andererseits meinen Sie, und das war ja auch der Ausgangspunkt der ganzen Ausstellung und des Buches, dass man eben diese Fundgeschichte nicht außer Acht lassen darf, wenn man eben jetzt über Rückgabe diskutiert oder sich überhaupt Gedanken macht, was aus den Fundstücken wird. Damit meinen Sie ja jetzt nicht nur diese beiden.
Trümpler: Nein, nein, ganz klar. Aber das Problem ist, dass ja bis jetzt überhaupt noch nie diese Fundgeschichte aufgearbeitet worden ist, und dass diese Grundlagenforschung fangen jetzt erst langsam an, durchgeführt zu werden, einerseits von Wissenschaftlern und andernseits auch von wissenschaftlichen Institutionen wie das Deutsche Archäologische Institut, das jetzt diverse Forschergruppen angesetzt hat, um die ganzen Geschichten genau aufzuarbeiten. Und dann muss man eben Stück für Stück durchgehen, ob es da Probleme gibt, und dann muss man anfangen zu verhandeln.
Heise: Sagt Charlotte Trümpler, Kuratorin der Ausstellung "Das große Spiel. Archäologie und Politik" im Ruhr Museum Essen. Frau Trümpler, ich danke Ihnen recht herzlich!
Trümpler: Gern geschehen!
Charlotte Trümpler: Guten Tag!
Heise: Spielen denn tatsächlich Ausgrabungen eine Rolle in der Politik oder eher umgekehrt, die Politik beeinflusste Ausgrabungen?
Trümpler: Man muss das beides, glaube ich, zusammen sehen. Also es ist eine Wechselwirkung. Einerseits denkt man eben, wie Sie schon gesagt haben, dass ein paar verträumte Archäologen sozusagen hingehen und Schätze graben. Aber dass es gerade am Ende des 19. Jahrhunderts die Politik war, die Wirtschaft, die Religion und so weiter, die die Archäologie sehr stark beeinflusst haben, ist eigentlich den wenigsten Leuten bewusst. Und dass durch diese tollen Funde, die man gemacht hat, auch das nationale Bewusstsein gestärkt worden ist, ist auch wenig bekannt.
Heise: Das heißt, das ist so die Bedeutung, die Ausgrabungen hatten, wenn ein Staat seine politische Macht zeigen oder ausweiten wollte, also so zu zeigen, wir sind fähig dazu, solche Dinge auszugraben, zu finden?
Trümpler: Ja, ganz sicher. Es begann ja sozusagen, ein Nationalismus zu erwachen. Sagen wir mal so ab 1871, als das Deutsche Reich gegründet worden ist, wollten die Deutschen den Rückstand aufholen, den die Franzosen und Engländer schon im Nahen Osten durch Ausgrabungen durchgeführt hatten. Also die waren schon ab 1850/60 tätig und hatten in Nimrud beispielsweise, und verschiedene in Khorsabad, fantastische archäologische Monumente gefunden, die das British Museum und den Louvre bereichert haben.
Heise: Und da wollten die Deutschen dann aufholen. Der Titel der Ausstellung geht zurück auf den Begriff "Das große Spiel" und der meint den imperialen Kampf zwischen Russland und England um Territorien in Zentralasien. Sie haben den Blick geweitet eben auf die Deutschen, Italiener, die Franzosen auch noch. Wurde denn da wirklich um Ausgrabungsstätten auch gekämpft?
Trümpler: Also gekämpft, blutig in diesem Sinne jetzt nicht, aber im Rivalitätssinn. Also eine der Motivationen war auf jeden Fall die Rivalität zwischen den einzelnen Nationen um die prestigeträchtigsten und fundträchtigsten Ausgrabungsstätten im Nahen Osten, Zentralasien und Nordafrika. Und das begann eben, als die Deutschen merkten, dass sie noch keine Museen hatten, die gleichwertig waren wie die anderen europäischen Nationen. Und sie haben deswegen versucht, diesen Rückstand aufzuholen, indem sie in Babylon anfingen zu graben, beispielsweise, in Azur oder dann in Ägypten.
Heise: Also man hat nicht aus Forschungszwecken gegraben, sondern weil man seine eigenen Museen irgendwie voll kriegen wollte?
Trümpler: Also so schwarz-weiß würde ich das jetzt nicht formulieren. Die Leute, die ausgezogen sind, um diese Ausgrabungen durchzuführen, das waren ja nicht vorwiegend Archäologen, sondern das waren zum Teil Priester, das waren Konsuln, das war Ingenieure, Architekten und so weiter. Die hatten natürlich ihre ureigensten Interessen, irgendetwas zu dokumentieren, etwas zu finden und so weiter. Und natürlich auch Funde zu machen, die sie dann in ihre Ursprungsländer zurückbekommen haben. Aber der Wissensdrang stand bei den Forschern im Vordergrund.
Heise: Sie haben das umfangreiche Begleitwerk zur Ausstellung in verschiedene Aspekte gegliedert, nämlich in die Motive, die da eine Rolle spielten. Sie haben schon einige erwähnt, also wir haben schon über die eigenen Museen gesprochen, Sie haben die Wirtschaft erwähnt, Sie haben aber auch so ein Kapitel wie Spionage. Geben Sie uns doch da mal ein Beispiel, wie Spionage und Ausgrabung zusammengingen?
Trümpler: Also das klassischste Beispiel oder das bekannteste ist Lawrence von Arabien, bekannt durch den Film in der Darstellung von Peter O'Toole. Und den wenigsten Leuten ist bekannt, dass Lawrence zwischen 1911 und 1913 in Syrien auf Ausgrabung tätig war, und im Anschluss daran hat er mit seinem Grabungsleiter Leonard Woolley in der Negev-Wüste archäologische Dokumentationen erstellt. Das war aber nur eine Tarnung für Militäringenieure, die Kartierungen durchführten. Das war kurz vor dem Ersten Weltkrieg, und die wollten noch restliche Karten erstellen im Sinai, und die Archäologen galten sozusagen als Deckmantel gegenüber dem Osmanischen Reich, damit man nicht merkte, dass solche militärischen Aktionen schon im Gange waren.
Heise: Sie haben die Rivalität erwähnt, die die Länder untereinander hatten, um da irgendwie die besten Ausgrabungsstätten zu finden oder beziehungsweise dort graben zu können. Wie sieht denn das heute aus, gibt es solche Kämpfe, solche Rivalitäten immer noch?
Trümpler: Eigentlich nicht, nein, weil die Leute, die dort unten forschen, die haben ja, bereiten solche Projekte sehr langfristig vor. Dann müssen Grabungsanträge gestellt werden, die Funde bleiben ja sowieso im Land, und es gibt jetzt eigentlich diese Rivalität in der Regel nicht mehr. Das ist mehr der wissenschaftliche Impetus, der da den Ausschlag gibt für die Expeditionen dahin.
Heise: Und man arbeitet auch mehr zusammen als damals?
Trümpler: Man arbeitet sicher auch mehr zusammen. Wobei man jetzt da sagen muss, dass natürlich die Forscher untereinander jetzt nicht immer in einem Rivalitätsverhältnis standen. Also die Gertrude Bell beispielsweise, die Engländerin, die die ersten Vermessungen von der Moschee Samarra gemacht hat, die hatte ein großes und enges freundschaftliches Verhältnis zu den deutschen Ausgräbern in Babylon, ist immer dahingereist und hat sozusagen ihren englischen Kollegen, Lawrence von Arabien, Wolley Karkemisch unter die Nase gehalten, wie professionell die Deutschen da unten tätig sind und dass doch eigentlich die Engländer das im Grunde genommen auch ein bisschen besser machen sollten.
Heise: Archäologie und Politik, unser Thema im Deutschlandradio Kultur anlässlich der Eröffnung der großen Ausstellung "Das große Spiel" im Ruhr Museum. Im Gespräch die Kuratorin Charlotte Trümpler. Frau Trümpler, Sie haben schon Namen erwähnt wie Gertrude Bell, Lawrence von Arabien, Sven Hedin ist noch zu nennen, einige und viele andere. Die sind uns alle als Pioniere bekannt. Es gibt ja auch wunderbare Biografien über diese berühmten Ausgräber. Waren sie denn letztendlich nur Handlanger der Politik?
Trümpler: Das würde ich eigentlich so nicht sagen, weil viele von denen wussten schon früher, was sie eigentlich machen wollten. Also zum Beispiel Ernest Renan, ein Philologe, ein französischer, der mitgegeben wurde der Napoleonischen Expedition, militärischen Expedition 1860 in Libanon und Syrien, um den Aufstand der muslimischen Splittergruppen Drusen niederzuschlagen. Und Renan wollte eigentlich schon länger da unten irgendwie Grabungen machen, das war für ihn gerade ein guter Anlass, da mitgehen zu können, weil das Militär ihn dann auch bei den Ausgrabungen unterstützt hat und eben die ganzen Instrumente zur Verfügung hatte, Fotoapparate und so weiter.
Heise: Das heißt, da wurde dann so abgewogen, das eine nehme ich in Kauf, das andere kann ich dafür dann, ja, verwirklichen. Trotzdem wurden sie doch mehr oder weniger instrumentalisiert von der Politik?
Trümpler: Man muss eben immer sehr aufpassen, in welchen Bereichen man sich bewegt. Also sagen wir mal, es gab die klare Instrumentalisierung der Politik, beispielsweise in Nordafrika durch die Franzosen, die die Länder besetzt hatten, oder die Italiener in Libyen, die 1911 dort einmarschiert sind. Da wurde die Archäologie instrumentalisiert und die Archäologen damit auch, also vor allem in den 1930er-Jahren war das der Fall. Aber die Ausgräber, sagen wir mal, die die Nofretete jetzt ausgegraben haben, Ludwig Borchardt war jetzt nicht in dem Sinn instrumentalisiert durch die Regierung, sondern im Gegenteil, der kriegte ja die Gelder dadurch, dass sagen wir mal Wilhelm II gleichziehen wollte mit den Franzosen und Engländern.
Heise: Gab es eigentlich auch Forscher, Expeditionsleiter, die sich weigerten, da irgendwie beispielsweise diesem Prestigedrang ihrer Heimatländer zu folgen oder für die heimatlichen Museen da Dinge auszugraben, sondern die meinten, das gehört doch eigentlich den Ländern, denen wir es jetzt wegnehmen?
Trümpler: Ja, man muss das halt aus der Zeit heraus verstehen. Es war ja noch nicht so, dass diese Länder ihre eigene Geschichte erforscht haben. Und die Verhandlungen, die geführt worden sind zwischen den Regierungen, die sind ja nicht über die Köpfe von den Leuten hinweg gemacht worden. Also wenn Wilhelm II einen Vertrag mit dem Sultan Abdülhamid II, dem Herrscher, osmanischem Herrscher, hergestellt hat, war das ja ein Vertrag, der jetzt in freundschaftlicher Absicht geschlossen worden ist und der die Fundteilung vorsah. Und insofern waren die Archäologen ja nur froh, dass sie dahingehen konnten und eben ausgraben durften. Und da gab es diesen Vertrag, genau so in der Seidenstraße, da zeigen wir auch die Pässe von diesen Forschern, die dort den frühen Spuren des Buddhismus folgten, weil da tatsächlich drauf steht, wo sie genau graben dürfen und dass sie die Funde mitnehmen dürfen. Aber das ist mit der chinesischen Regierung dann vereinbart worden.
Heise: Vor dem ganzen Hintergrund, den wir jetzt ausgebreitet haben, wie könnte Ihrer Meinung nach denn ein richtiger Umgang mit diesen archäologischen Fundstücken jetzt aussehen bei der ganzen Rückgabe-Diskussion?
Trümpler: Also ich denke, man muss einfach ganz genau abwägen, um welche Stücke es geht. Also die, die jetzt, sozusagen immer und ewig in der Presse genannt werden, der Pergamonaltar oder die Nofretete, genau die haben ja absolut wasserdichte Verträge. Also die zeigen wir auch in der Ausstellung, dass die eben aufgrund von diesen Fundteilungsverträgen nach Deutschland gekommen sind. Insofern hat da Deutschland auch überhaupt kein Problem damit. Und wenn, dann würde ich versuchen, auf diplomatischem Wege einfach mit diesen Leuten, mit den Ursprungsländern noch mal zu verhandeln, sagen, wenn es irgendwelche Probleme gibt und warum und so weiter, weil die Nofretete ist ja auch die beste Vertreterin für Ägypten überhaupt. Also die ist, da es ja sehr auf den Tourismus angewiesen ist, und im Grunde genommen ist das eine sehr schöne, soll ich mal sagen, Botschafterin, die hier steht und die Leute doch nach Ägypten lockt, um dort zu zeigen, was es alles für Schätze gibt archäologischer Natur.
Heise: Andererseits meinen Sie, und das war ja auch der Ausgangspunkt der ganzen Ausstellung und des Buches, dass man eben diese Fundgeschichte nicht außer Acht lassen darf, wenn man eben jetzt über Rückgabe diskutiert oder sich überhaupt Gedanken macht, was aus den Fundstücken wird. Damit meinen Sie ja jetzt nicht nur diese beiden.
Trümpler: Nein, nein, ganz klar. Aber das Problem ist, dass ja bis jetzt überhaupt noch nie diese Fundgeschichte aufgearbeitet worden ist, und dass diese Grundlagenforschung fangen jetzt erst langsam an, durchgeführt zu werden, einerseits von Wissenschaftlern und andernseits auch von wissenschaftlichen Institutionen wie das Deutsche Archäologische Institut, das jetzt diverse Forschergruppen angesetzt hat, um die ganzen Geschichten genau aufzuarbeiten. Und dann muss man eben Stück für Stück durchgehen, ob es da Probleme gibt, und dann muss man anfangen zu verhandeln.
Heise: Sagt Charlotte Trümpler, Kuratorin der Ausstellung "Das große Spiel. Archäologie und Politik" im Ruhr Museum Essen. Frau Trümpler, ich danke Ihnen recht herzlich!
Trümpler: Gern geschehen!