Wenn infantile Herrenmoral zum Kult wird
Eine eigentümliche Mischung aus Übermensch und Riesenbaby: An Donald Trump zeige sich eine keineswegs harmlose Kindlichkeit, kommentiert Svenja Flaßpöhler. Sie erkennt in dem Kult um den US-Präsidenten Parallelen zu Walter Benjamins Textfragment "Kapitalismus als Religion".
Einmal mehr treibt die Welt die Frage um, welche nationalen und globalen Folgen die Regierung Trump noch zeitigen wird - sei es aus Unfähigkeit oder Berechnung. Diese Frage stellt sich umso dringlicher, als Trumps Team ganz offensichtlich eher auf Eskalation denn auf Diplomatie setzt. Was insbesondere für Trumps Chefberater Steve Bannon gilt, der einen Krieg mit China innerhalb der nächsten zehn Jahre voraussagt und sich selbst kurzerhand mit Lenin vergleicht. Lenin, so Bannon gegenüber dem Internetmagazin "The Daily Beast", Lenin "wollte den Staat zerstören, und das ist auch mein Ziel. Ich will alles zum Einsturz bringen und das ganze Establishment zerschlagen."
Denken und Handeln im Dienst der Mächtigen
Setzt die amtierende US-Regierung also allen Ernstes auf eine reinigende Katastrophe nach Art der neutestamentlichen Apokalypse? Auf dass danach das Reich Gottes - will meinen: das Reich Trumps - beginne? Nun, das stimmt nicht ganz. Schließlich gehört das postapokalyptische Reich ja den ehemals Unterdrückten, zu denen die Milliardärstruppe von Trump ganz gewiss nicht zählt. Auch hat Trump, wie man weiß, überhaupt kein Interesse daran, die Rechte der Reichen zu beschneiden, geschweige denn die Armen dieser Welt zu retten. Im Gegenteil. Sein Denken und Handeln steht, national wie auch global betrachtet, ganz im Dienst der Mächtigen. America first.
Daraus allerdings zu schlussfolgern, dass dem Phänomen Trump rein gar nichts Religiöses innewohnt, wäre vorschnell und falsch. Tatsächlich besteht der religiöse Kult Donald Trumps gerade in seiner haarsträubenden Herrenmoral. Warum und inwiefern, das offenbart ein kurzer Text des Philosophen Walter Benjamin aus dem Jahr 1921. So beschrieb der Denker in seinem Fragment "Kapitalismus als Religion" eine ganz neue Form des Kultes, die sich auf Donald Trump erstaunlich gut übertragen lässt.
Das Sein zertrümmern
Die kapitalistische Religion sei ein Kult, dessen Mittel zum Zweck nicht Umkehr und Buße ist, sondern, umgekehrt, eine sich stetig steigernde Verschuldung. "Der Kapitalismus", schreibt Benjamin, "ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus". Ein Kultus, der - anstatt auf die "Reform des Seins" - auf dessen "Zertrümmerung" setzt. Der kapitalistische Kult ist ein Kult, der die "Verzweiflung zum religiösen Weltzustand" ausweitet und die Schuld "universal" macht.
Ein Einreisestopp für Muslime, kenternde Flüchtlingsboote, Klimakatastrophen, Hungersnöte und ein Krieg mit China, gar ein dritter Weltkrieg sind also ganz im Sinne des Verschuldungs-Kults. Und wozu das Ganze? Nein, nicht um am Ende mit Glanz und Gloria unterzugehen, sondern um wie von Zauberhand im letzten Moment doch noch gerettet zu werden. In Benjamins Worten: Die Schuld wird "universal" gemacht, um "Gott selbst in diese Schuld miteinzubegreifen, um endlich ihn selbst an der Entsühnung zu interessieren".
Keineswegs harmlose Kindlichkeit
An dieser Stelle offenbart sich der erstaunlich infantile Zug des Herren-Kults. Wie bekommt ein Kind schnell und verlässlich die Aufmerksamkeit des angehimmelten, aber abgewendeten Vaters? Indem es Unsinn macht, sich und andere in Gefahr bringt - getrieben von der Hoffnung, in letzter Sekunde von einer starken Hand am Kragen gepackt und ordentlich durchgeschüttelt zu werden. An Donald Trump zeigt sich diese Kindlichkeit par excellence, verkörpert er doch eine eigentümliche Mischung aus Übermensch und Riesenbaby. Die Kindlichkeit des Trump-Kults aber ist keineswegs harmlos. Im Gegenteil. Wirkliche Rettung kann erst dann nahen, wenn der Mensch erkennt, dass er selbst der Gott ist, auf den er hofft.