Kaltgestellt in der Karibik
21:48 Minuten
Die Beziehungen zwischen Kuba und den USA verschlechtern sich unter Präsident Trump immer weiter. Seine Regierung hat Reisen in den Karibikstaat eingeschränkt und verschärft laufend die Wirtschaftssanktionen. Der Alltag wird für viele immer schwieriger.
Vor der alten Markthalle von Havanna spielen sich tumultartige Szenen ab: Nach jahrelanger Renovierung öffnet sie wieder und Tausende, die schon Stunden in der Tropenhitze warten, drängen in das prächtige Gebäude. Angetrieben werden sie von der Hoffnung, hier etwas zu ergattern, was es in den anderen Läden der Stadt immer seltener gibt. Dazu gehören: Waschmittel, Eier, Obst und Gemüse zu erschwinglichen Preisen für Kubaner, die keine Devisen verdienen. Polizisten halten die Wartenden zurück. Die Wut wird größer.
Jorgis Delgado hat es bereits geschafft und blickt zufrieden auf zwei große Pakete mit Klimaanlagen – Importprodukte für Devisenpreise, die er sich leisten konnte, weil ihm seine Verwandten aus dem Ausland Dollars schicken:
"Der Staat kann uns immer noch wenig bieten. Deshalb ist die Strategie, die Dollars, die es in der Bevölkerung gibt, abzuschöpfen, indem Waren aus dem Ausland in Kuba verkauft werden. Damit nicht mehr so viel Kapital abfließt."
Es gibt kaum Kaffee, aber alle kaufen Kaffeemaschinen
Etwa zwei Millionen Kubaner leben in den USA. Viele schicken Geld auf die Insel – ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und ein Dorn im Auge des US-Präsidenten, der die Überweisungen jetzt limitiert hat. In der Markthalle können an einem Schalter Devisen abgeholt werden. Seit einigen Wochen gibt es Läden, in denen Kubaner Haushaltsgeräte gegen Dollars kaufen – so auch im Obergeschoss des frisch restaurierten Gebäudes im Zentrum Havannas. Ganze Regalreihen sind mit dem gleichen Mikrowellenfabrikat gefüllt, gegenüber: Mixer derselben Marke. Kaffee ist derzeit Mangelware, aber Kaffeemaschinen verkaufen sich wie warme Semmeln. Der Staat nimmt so dringend benötigte Devisen ein.
Wirtschaftswissenschaftler Omar Everleny, der an den Reformen des früheren Präsidenten Raúl Castro mitgearbeitet hatte, bis er in Ungnade fiel, glaubt nicht, dass diese neue Maßnahme die Probleme löst:
"Im Grunde führen sie damit nur eine dritte Währung ein. Wir haben ja schon den konvertierbaren Peso und den kubanischen Peso. Eigentlich sollte die Doppelwährung längst abgeschafft sein. Positiv daran ist, dass der Staat Dollar einnimmt, die vorher im Ausland ausgegeben wurden. Damit kann er Rohstoffe für die Industrie importieren. Aber es wird lange dauern, bis das wirkt und die Wirtschaft wächst. Die Dollar, die aus den USA zu uns kommen, werden in nächster Zeit knapper."
In den Geschäften regiert der Mangel
In den normalen Geschäften regiert der Mangel. Der Staat kann kaum noch importieren. Die US-Regierung sanktioniert Reedereien, die venezolanisches Öl transportieren und trifft damit vor allem Kuba, das von den Lieferungen abhängt. Die Wirtschaft wächst nach offiziellen Angaben nur noch um ein mageres Prozent. Ökonom Everleny bezweifelt selbst das:
"Unsere Wirtschaft ist schon immer wenig gewachsen. Die Benzinknappheit im September hat das Land praktisch stillgelegt und ich habe den Eindruck, dass es null Wachstum geben wird. Die Optionen lagen immer auf der Hand, wurden allerdings nicht umgesetzt: Kuba muss exportieren, hat aber keine konkurrenzfähigen Produkte. Der Staat investiert zu wenig. Vielleicht schaffen wir sogar die 0,5 Prozent, aber von realem Wachstum kann man nicht sprechen."
Im kubanischen Sozialismus dauere die Öffnung des privaten Sektors zu lange, beklagt der Ökonom. Immer noch fehlten Großmärkte für Selbständige. Für ihre Restaurants und Cafeterias kaufen sie Lebensmittel in den Läden der Normalverbraucher. Weil Diesel für Busse und LKW knapp ist, funktionieren Transport und Verteilung der Waren aus eigener Produktion nur schlecht.
Die langen Schlangen vor den Tankstellen sind erst einmal wieder verschwunden, weil Öl aus dem verbündeten Krisenstaat Venezuela eingetroffen ist. Jetzt gibt es Energiesparprogramme, und es gelingt, die Auswirkungen des Treibstoffmangels für die Bevölkerung gering zu halten. Stromabschaltungen in Haushalten, wie in der Spezialperiode der 1990er-Jahre, als nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die Unterstützung aus der Sowjetunion wegfiel, gab es noch keine.
Die Armut hat zugenommen
Einige Straßenzüge entfernt, in einem heruntergekommenen Viertel kurz vor der hübsch renovierten Altstadt, betreibt die Stiftung Quisicuaba eine Suppenküche für Bedürftige. Die Armut habe in letzter Zeit zugenommen, meint Köchin Isabel Antomachi Viscay, die seit 24 Jahren in der Einrichtung arbeitet:
"Von den Bedürftigen, die zu uns kommen, wurden manche von ihren Familien vor die Tür gesetzt, andere haben keine Wohnung, oder sind Alkoholiker, manche haben HIV. Wir registrieren sie auf unserer Liste, damit sie hier ihre Gratismahlzeit bekommen können. Es werden immer mehr. Jeden Tag muss ich zwei, drei weitere Personen aufnehmen. Viele kommen nicht aus Havanna, sondern aus der Provinz. Und dann haben sie keine Unterkunft und streifen herum. Wir geben ihnen ein warmes Mittagessen."
Hochglanz gibt es da zu bestaunen, wo Touristen sind: Etwa einen Kilometer entfernt spazieren sie durch die engen Straßen von Habana Vieja, der Altstadt, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehört und in denen viele Gebäude in den vergangenen Jahren aufwändig restauriert wurden. Manches ist nur schnelles Gebäude-Makeup – äußerliche Schönheit. Die schwierige wirtschaftliche Situation hat eine Grundsanierung nicht immer erlaubt.
Es geht um den guten Gesamteindruck. Der ist wichtig für den Tourismus. Aber fast im Wochentakt verschärft die US-Regierung das schon seit mehr als einem halben Jahrhundert geltende Wirtschafts- und Handelsembargo gegen Kuba. Damit will sie vor allem den Tourismus treffen. Und das gelingt.
"Alle Kubaner sind von der Veränderung betroffen"
Nach wenigen Boomjahren ist es ruhiger geworden in Havannas Altstadt. Zu ruhig für Yuneisy Dueñas, die innerhalb des Spazierradius der Kreuzfahrttouristen einen Souvenirladen betreibt:
"Als die Kreuzfahrtschiffe noch kamen, wurde viel mehr verkauft. Unsere wirtschaftliche Situation hatte sich dadurch verbessert. Jetzt ist unsere Entwicklung unterbrochen. Es geht praktisch nicht mehr voran. Alle Kubaner sind von der Veränderung betroffen."
Kreuzfahrtschiffe legen seit dem Sommer wegen der verschärften US-Sanktionen nur noch selten an. US-Fluggesellschaften dürfen als einzige kubanische Stadt Havanna anfliegen. Aber der härteste Schlag gegen den Tourismus ist das Verbot für US-Bürger, auf die Karibikinsel zu reisen. Den Politikwechsel spüren vor allem die vielen Privatleute, die in den vergangenen Jahren mit der Zimmervermietung an US-Amerikaner Devisen verdient haben.
"Hoffentlich bleibt es nicht so"
Mirta Hayes Apartment war vor drei Jahren noch ausgebucht, jetzt steht es meist leer und sie will aufgeben. Die Steuern in Devisen muss sie abführen, auch wenn sie keine Gäste hat.
"Nach einer Zeit baut man Beziehungen zu den Kunden auf, die waren sehr brüderlich und haben sich im Laufe der Zeit vertieft. Zuneigung und Respekt sind entstanden. Die Kunden reisten ab, aber blieben in Kontakt, fragen, wie es geht, in sehr aufmerksamer freundlicher Form. Aber diese Situation beendet alles. Hoffentlich bleibt es nicht so!"
Mit dem Wandel durch Annäherung, den die früheren Präsidenten Barack Obama und Raúl Castro 2014 nach jahrzehntelanger Eiszeit begonnen hatten, ist vorerst Schluss. Obama hatte die Embargoregelungen nach und nach gelockert, was vor allem den neuen selbständigen Kubanern half. In der Bevölkerung wuchs die Hoffnung, dass die USA das Embargo endlich aufheben würden. Aber mit diesem Präsidenten weisen die Zeichen in die entgegengesetzte Richtung. Für Mirta Hayes und andere, die auf eigene Rechnung im Tourismus arbeiten, ist klar, wie der Schuldige für die Krise im Land heißt: "Donald Trump."
Estrella Matamoros, die ebenfalls wertvolle Devisen mit Zimmervermietung verdient, hat wegen der ausbleibenden Touristen die Preise gesenkt. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage funktioniere auch im kubanischen Sozialismus.
"Der nordamerikanische Imperialismus ist für unsere Situation verantwortlich. Wir können viele Dinge nicht mehr kaufen, die wir für unsere Versorgung brauchen. Aber alles wird ein gutes Ende nehmen, denn Imperien gehen früher oder später unter. Die USA haben auch wirtschaftliche Probleme und einen Verrückten, der sie regiert. Kuba überlebt immer. Das haben wir 60 Jahre lang bewiesen."
Größtmöglicher Schaden durch Sanktionen
Der Tourismus als wichtigste Devisenquelle soll die Lokomotive der kubanischen Wirtschaft sein – mit fünf Millionen Besuchern in diesem Jahr. Aber die kommunistische Partei- und Staatsführung gesteht ein, dass es mindestens zehn Prozent weniger werden dürften. Die Zahl der US-Touristen verdoppelte sich von Jahr zu Jahr , nachdem US-Präsident Obama die Reisebeschränkungen gelockert hatte. Jetzt sind in den Bars der herausgeputzten Altstadt kaum noch US-Amerikaner zu finden. Die Sanktionen seien illegal und unmoralisch, meint der EU-Botschafter in Havanna, Alberto Navarro:
"Fast jede Woche denkt sich die Trump-Regierung – von den Medien so gut wie unbemerkt – neue Kuba-Sanktionen aus. Seit einigen Wochen dürfen keine Kreuzfahrtschiffe mehr kommen. US-Touristen dürfen überall hin reisen, nur nicht mehr nach Kuba. Die Sanktionen sollen größtmöglichen Schaden anrichten. Das Land soll untergehen, seine Wirtschaft ersticken."
Hinter prächtigen Fassaden in Havannas Altstadt sind Dank ausländischem Geld in den letzten Jahren mehrere Luxushotels entstanden. Jetzt dürften Investoren abgeschreckt sein: Schon gibt es in den USA erste Klagen gegen Betreiber von Hotels. Eine Embargoregelung, von der noch nie Gebrauch gemacht wurde, wird jetzt angewandt: Prozessiert werden kann, wenn Grundstücke und Gebäude im Zuge der kubanischen Revolution vor 60 Jahren enteignet wurden.
Nicht nur Hotels, auch die Buchungsplattformen, die sie im Angebot haben, sind betroffen. Aber Kuba braucht Touristen – und Investitionen. Der Ökonom Ricardo Torres von der Universität Havanna meint, das Land müsse selbst mehr dafür tun:
"Kuba muss sein Wirtschaftsmodell reformieren. Es sind bessere Strategien nötig, um Investoren anzulocken. Es muss alles getan werden, was möglich ist, um ihnen den Einstieg zu erleichtern, etwa die Bürokratie abbauen. Und das Land muss eine Lektion lernen: Es darf seine Wirtschaftsbeziehungen nicht mehr nur auf ein Land konzentrieren, wie in der Vergangenheit. Wann immer Kuba das getan hat, ging es schief."
In der Vergangenheit konzentrierte sich Kuba auf die Sowjetunion und später auf Venezuela, das inzwischen in seiner eigenen Krise versunken ist. Der Fokus auf den Tourismus als Devisenquelle zahlt sich im Moment aus, sei auf Dauer aber gefährlich, meint Ökonom Omar Everleny, weil Tourismus ein zu unbeständiger Wirtschaftszweig ist. Das US-Handels- und Wirtschaftsembargo sei ein großes Hindernis, allerdings auch die "interne Blockade" Kubas, wie er es nennt:
"Wir können an unserer 'internen' Blockade arbeiten. Angesichts des niedrigen Wirtschaftswachstums müssen wir unsere Produktion erhöhen, damit Devisen ins Land kommen. Aber dafür müssten wir Raum für kleine und mittelständische Unternehmen und den aufkeimenden Privatsektor schaffen. Es gibt viele Maßnahmen, die nicht getroffen werden, obwohl sie wichtig wären. Wenn man sich selbst einschränkt, blockiert man sich."
Frustriert wegen dieser Lähmung und der immer eisiger werdenden Beziehungen zu den USA sind vor allem selbständige Kubaner.
Daniel Garcia klopft vorsichtig Nägel in einen Holzrahmen. Holz sei in Kuba Mangelware, so wie alles andere, schimpft der Handwerker. Die derzeitige Krise sei aber keine neue Spezialperiode wie in den 1990er-Jahren, sondern nur eine weitere Etappe.
"Wir setzen die Spezialperiode nur fort – in einer anderen Etappe!"
Seit Kuba die Devisen ausgehen, kann der selbständige Tischler in Havanna das Material für seine Kleinmöbel nur noch über Umwege beschaffen. Als der US-Präsident noch Barack Obama hieß, seien Werkzeuge und Holz aus den USA in die staatlichen Läden geliefert worden. Seit Donald Trump sei das wieder vorbei. Ebenso blieben die konsumfreudigen US-Touristen fern:
"An meinem Haus kamen Touristen vorbei und kauften bei mir ein, jetzt kommt keiner mehr und die Kubaner können sich meine Produkte nicht mehr leisten. Weil auch sie vom Tourismus leben. Für mich ist das hart: Ich muss meine Familie ernähren, meine Kinder sind in der Uni, in der es keine Gratismahlzeiten mehr gibt, also zahle ich für alles. Mein Material muss ich kaufen, der Preis dafür hat sich verdreifacht. Ich muss ein kubanischer Superman sein, um das alles zu schaffen. Tagtäglich."
"Solange Trump regiert, geht es für uns bergab"
Für Privatleute wie Garcia sind Holz und Nägel nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Der Tischler wünscht sich endlich Großmärkte, in denen er das Material für seine Kleinmöbel und Souvenirs kaufen kann. In der Obama-Zeit, als sich Kuba wirtschaftlich öffnete, habe er an eine Zukunft geglaubt. Mit Trump sei das vorbei:
"Ich habe wieder geträumt: In meiner Fantasiewelt gab es das alltägliche Leiden nicht mehr. Ich kam voran, hatte ein ruhiges, sicheres Arbeitsleben und war einfach glücklich. Aber dann kommt dieser neue US-Präsident und gibt uns den Dolchstoß mit dem Namen: ´Nein zu diesem sozialistischen System.` Dem Kubaner ist die Luft ausgegangen. Dieser Präsident hat es geschafft, unsere Ideen zu ersticken. Wir gehen mit gesenktem Haupt und können den Blick nicht in die Zukunft richten. Solange Trump regiert, geht es für uns nur bergab."