Kerstin Zilm war schon im November 2016 in einem der winterlichen Protestcamps in North Dakota, nachdem sich eine Hörerin das Thema gewünscht hatte. Hier finden Sie ihre Weltzeit von damals und ihr Recherche-Tagebuch.
Profit auf Kosten des Planeten
Obama hatte aus Umweltschutzgründen den Bau stoppen lassen, US-Präsident Trump gab nach seiner Amtseinführung wieder grünes Licht für die umstrittene Dakota Access Pipeline. Naturschützer und indigene Gruppen protestieren landesweit dagegen.
"This is what a revolution looks like."
Auf den Treppen vor dem Rathaus von Los Angeles haben sich Anti-Pipeline-Demonstranten versammelt. Der Kontrast zwischen meinem letzten Eindruck im Camp von Standing Rock und dieser Szene könnte kaum größer sein. Da ist erstmal das Wetter. Vor vier Monaten kämpfte ich in Eiseskälte gegen einen Schneesturm. In Los Angeles scheint die Sonne und selbst Geschäftsleute, die an der Demonstration vorbei laufen, haben ihre Jacketts ausgezogen. Im November hatte Präsident Barack Obama gerade den Weiterbau der Pipeline gestoppt, um eine Umweltstudie anzufordern. Jetzt genehmigte der neue Präsident Donald Trump den Bau mit der Begründung.
"Es war nicht fair, den Weiterbau zu stoppen. Im jahrelangen Genehmigungsprozess hat niemand Einspruch erhoben. Das Unternehmen investierte hunderte von Millionen Dollar. Dann kam plötzlich Widerstand. Das ist nicht fair für unsere Firmen. Ich glaube, alle werden am Ende glücklich sein."
Was Donald Trump nicht sagt, ist, dass er selbst in die Pipeline investiert hat. Somit rechneten alle mit einem Weiterbau nach seiner Machtübernahme. Auch ich.
Was mich nun im März 2017 in Kalifornien überrascht, ist etwas anderes: Auf den ersten Blick spüre ich bei der Demo hier in Los Angeles wenig von der Dringlichkeit, die bei den "Water protectors”, den Beschützern des Wassers, in North Dakota noch allgegenwärtig war. Nur ein paar Hundert Demonstranten sind gekommen, um gegen die Dakota Access Pipeline zu demonstrieren. Mehr als 9.000 hatten sich auf der Facebook-Seite angemeldet.
"Give yourselves a hand for being here and staying here."
Als ich mit Demonstranten spreche, ändert sich mein Eindruck. Ökologie-Dozentin Alison Lipman sitzt mit ihrem zwei Jahre alten Sohn auf der Treppe. Auf ihrem T-Shirt steht: "Wäre unser Planet eine Bank, wäre er schon längst gerettet." Sie ist entsetzt, wie viele Mitglieder des Kabinetts von US-Präsident Donald Trump die Existenz des Klimawandels leugnen.
Erderwärmung – eine Erfindung der Chinesen
Donald Trump selbst hatte im Wahlkampf die Erderwärmung als eine Erfindung der Chinesen zum Schaden der USA bezeichnet. Seine Energieminister Rick Perry, Justizminister Jeff Sessions und der Vorsitzende der Umweltbehörde EPA, Scott Pruitt leugnen ebenfalls die von Menschen gemachte Klimaerwärmung. Und dem ehemaligen Chef des Ölunternehmens Exxon gibt Trump den Posten des Außenministers. Schwer nachzuvollziehen für Ökologie-Dozentin Lipman.
"Diese Äußerungen basieren komplett auf Profitdenken und Geldgier. Offensichtlich machen die, die behaupten, es gebe keine Erderwärmung, viel Geld mit Ölbohrungen und fossilen Brennstoffen. Ich glaube nicht, dass sie die wissenschaftliche Fakten nicht kennen. Ich glaube, es ist ihnen nicht klar, dass schon ihre Kinder die negativen Konsequenzen des Klimawandels sehr stark fühlen werden."
"Seattle did it…”
Demonstranten überall in den USA fordern Städte und Gemeinden auf, ihr Geld aus Banken abzuziehen, die in Öl- und Gas-Pipelines investieren. Seattle und kalifornische Kleinstädte haben sich dazu schon verpflichtet.
Deborah Wise, Geschäftsführerin einer Filmproduktionsfirma, hat einen Tag Urlaub genommen, um dafür zu demonstrieren, dass auch die Viermillionen-Stadt Los Angeles diesem Beispiel folgt.
"Wir sind süchtig nach Öl und wie alle Süchtigen treffen wir keine vernünftigen Entscheidungen. Alles was wir wollen, ist mehr Öl. Wir tun alles, um es zu kriegen, wie Heroinabhängige, denen es egal ist, wem sie weh tun und was sie zerstören. Wir müssen unser Verhalten ändern."
Hunderte indigener Völker der USA haben durch den Pipeline-Protest erstmals seit der Schlacht am Little Bighorn gegen General Custer 1876 zusammen gefunden. Auch Shannon Rivers folgte den Gebeten der Sioux. Er ist Mitglied der Akimel O'odham oder River People aus Arizona und sieht große Aufgaben für den Widerstand, der sich rund um die Pipeline gebildet hat.
"Als indigene Völker müssen wir diese Demonstrationen anführen. Unsere Stimmen wurden so lange zum Schweigen gebracht. Alle Großstädte der USA sind auf Land unserer Völker gebaut. Selbst in einer Stadt wie Los Angeles mit so vielen Menschen unterschiedlichster Herkunft müssen wir noch darum kämpfen, dass unsere Worte der Vernunft und des Bewusstseins gehört werden."
Ökologin Alison Lipman fürchtet, dass die neue Regierung in Washington wenig empfänglich für Worte der Vernunft gegen kurzfristigen Profit auf Kosten des Planeten ist.
"Das ist offensichtlich eine der großen Herausforderungen im Moment und leider sind wir so wie es aussieht wieder einmal kurz davor, einen wichtigen Kampf zu verlieren."
Genau diese Bedenken haben bei meinem Besuch kurz nach der Wahl von Donald Trump im Standing Rock Camp in North Dakota viele geäußert. Sie wussten, dass der neue Präsident das Öl durch möglichst viele Pipelines fließen lassen will. Lay Vongnarath, Aktivist aus Arkansas und meine Verbindung zu jungen wie alten Wasser-Beschützern, sah besorgt zu, wie hunderte Demonstranten kurz nach dem vorläufigen Stopp des Baus das Lager verließen.
"Wir wollen diese Bewegung, die so stark geworden ist, nicht abwürgen. Diese scheinbar gute Nachricht von einem Stopp des Weiterbaus darf unser Momentum nicht stoppen. Es muss wachsen, darf nicht unterbrochen werden."
Jetzt sieht es so aus, als hätte der Chef der Pipeline Firma Energy Transfer Partners Recht behalten. Kelly Warren sagte im November: Wenn die Demonstranten glauben, das Projekt aufhalten zu können, sind sie naiv.
"They will not stop our project. That’s naive. They are not stopping our project.”
Am 24. Januar, vier Tage nach Amtseinführung, unterzeichnet Donald Trump einen Erlass zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens für die Pipeline:
"Es geht darum, das unglaublich beschwerliche, lange, schreckliche Verfahren zu vereinfachen und die Last der Regulierungen für unsere heimischen Unternehmen zu reduzieren. Viele haben uns gesagt, dass sie wegen dieser Verfahren oft aufgeben, bevor sie fertig sind und das soll nicht mehr passieren.”
Energy Transfer Partners kündigt nach dem Trump-Erlass an, dass schon im März oder April Öl durch die rund 1900 Kilometer lange Pipeline von North Dakota quer durch die USA nach Illinois fließen wird. Doch der Vorsitzende des Rates der Standing Rock Sioux, Dave Archambault, zeigt sich enttäuscht. Er sieht die Entscheidung als eine weitere Verletzung des 1868 geschlossenen Friedensvertrages von Fort Laramie, in dem den Sioux umfangreiches Gelände am Missouri überlassen wurde. Archambault verspricht im Lokalfernsehen, den Kampf gegen die Pipeline vor Gericht weiterzuführen:
"Es ist frustrierend, weil es viel Arbeit war, zu diesem Punkt zu gelangen. Wir haben schon lange eine umfassende Umweltstudie gefordert, die uns ermöglicht hätte, all das Unrecht aufzulisten, das unseren Völkern angetan wurde. Jahrhundertelang haben wir für die Entwicklung fossiler Brennstoffe und Energieunabhängigkeit der USA bezahlt. Heute erfahren wir, dass es die Studie nicht geben wird und wir prüfen unsere Optionen."
Demonstranten werden als als "Öko-Terroristen" bezeichnet
Demonstranten seien "Öko-Terroristen"
Beifall gibt es für Trumps Erlass noch am selben Tag vom US-Kongressabgeordneten Kevin Cramer aus North Dakota. Er bezeichnet die Demonstranten im Standing Rock Lager als "Öko-Terroristen" und beschreibt, was Donald Trump der zuständigen Einheit von Ingenieuren der Armee, die eine Umweltstudie anfertigen sollte, gesagt hat:
"Der Oberste Befehlshaber der USA hat der Armee gesagt: Tut was Ihr tun solltet und schon immer tun wolltet: zieht die Umweltstudie zurück und erteilt die Genehmigung. Er hat schon lange angekündigt, dass Arbeitsplätze und Infrastruktur eine Priorität für ihn sind. Ein Projekt wie dieses ist unwiderstehlich für einen vernünftigen Menschen wie Donald Trump."
Am 8. Februar bestätigt Energy Transfer Partners, dass sie vom Army Corps of Engineers, einer Abteilung des Verteidigungsministeriums, das Nutzungsrecht für die Vervollständigung des 3,8 Milliarden Dollar Projekts erhalten haben.
Am 15. Februar ordnet der Gouverneur von North Dakota die Räumung der Lager am Missouri an. Das sei aus Sicherheitsgründen angesichts von bevorstehender Schneeschmelze und steigendem Wasserspiegel notwendig. Er droht mir Verhaftung derjenigen, die sich der Evakuierung widersetzen. Hunderte von Demonstranten reisen ab.
Am 23. Februar räumen 220 Polizisten und rund zwanzig Soldaten der Nationalgarde ausgestattet mit Hubschraubern, Militärfahrzeugen und Kampfausrüstung das "Oceti Sakowin Camp" in North Dakota. 47 Menschen, die sich weigern, das Hauptlager der Anti-Pipeline-Bewegung zu räumen, werden verhaftet, darunter ältere Frauen der lokalen indigenen Völker. Zurück bleiben ein paar Strohballen im Schneematsch, Holzpflöcke im gefrorenen Boden und Rauch von Tipis, die die Demonstranten vor der Razzia in Brand gesteckt haben.
June Sapiel von der Penobscot Indian Nation im Bundesstaat Maine, hat monatelang im Camp gelebt. Sie erklärt in einem Video auf ihrer Facebook-Seite:
"Oceti ging in einem Feuerglanz aus Ehre unter. Sie wollten nicht, dass Leute ihre heiligen Orte berühren und zerstören. Das wäre nicht gut für den Heilungsprozess von Erde und Menschen. Sie wollten nicht, dass sie ihre heiligen Orte zerstören und haben sie lieber selbst abgebrannt."
Der lokale Sheriff Kyle Kirchmeier bezeichnet die Aktion am Abend im Fernsehen als Erfolg:
"Es war ein sehr guter Tag. Koordination, Planung und Taktik - alles hat heute für uns Sicherheitskräfte gestimmt. Alle waren sehr professionell und wir haben das geschafft, was wir uns vorgenommen haben."
Ein Lager steht noch
Noch ist der Kampf nicht ganz verloren. Ein Lager steht noch in North Dakota: das Sacred Stone Camp, in dem alles begann. LaDonna Brave Bull Allard gründete es am 1. April 2016 auf ihrem eigenen Land am Zusammenfluss von Missouri und Cannonball River. In Gebeten und Zeremonien bat sie um Unterstützung im Kampf gegen die Pipeline zum Schutz von Wasser und heiligen Städten. Tausende folgten ihrem Ruf, darunter Vertreter indigener Völker aus aller Welt und US-Kriegsveteranen.
Jetzt strömen Menschen aus dem geräumten Standing Rock Lager mit Tipis und Zelten ins Sacred Stone Camp. Innerhalb von 24 Stunden vervierfacht sich die Zahl der Bewohner. LaDonna Brave Bull erklärt in einem Radiointerview, dass sie nicht daran denkt, aufzugeben und weiterhin Unterstützung willkommen heißt:
"Ich sage immer, dass wir unser Bestes tun, um uns an Gesetze zu halten. Aber wir tun auch unser Bestes, um gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen. Sie haben geglaubt, dass sie mit der Räumung die Bewegung stoppen. Im Gegenteil! Sie haben uns nur gezeigt, zu welchen Maßnahmen sie bereit sind. Wir wissen: Wer auf der richtigen Seite der Gerechtigkeit steht, betet und friedlichen Widerstand leistet, wird gewinnen."
Doch in diesem Fall muss sich die tapfere Kriegerin zumindest vorläufig geschlagen geben.
Bulldozer zerstören Camp
Knapp eine Woche nachdem das Hauptlager geräumt ist, bereitet sich auch "Sacred Stone" auf die Evakuierung vor. Johnny Dangers, einer der Demonstranten, teilt die Atmosphäre im Lager live auf seiner Facebook-Seite mit. US-Behörden argumentieren, dass das Land nicht wirklich LaDonna gehöre und aus Sicherheitsgründen geräumt werden muss. Die Regierung könne für eventuelle Schäden durch Überflutung keine Verantwortung übernehmen. Bulldozer zerstören Küche und Schule, die Wasserschützer gebaut haben. Wenig später ist vom Camp am Fluss nichts mehr zu sehen. LaDonna Brave Bull kündigt an, ihren Einspruch gegen die Entscheidung vor Gericht zu verteidigen und weiter für den Schutz des Wassers stark zu sein:
"Wir müssen zusammenhalten. So viele Leute haben mir geschrieben, dass sie kommen, um mich zu verteidigen. Ich brauche niemanden, der mich verteidigt. Ich brauche Menschen, die das Wasser verteidigen, die für das Wasser beten, wo immer sie sind."
Dass das passiert, sehe ich überall im Land. Tausende beten für den Ausstieg ihrer Städte aus den Geschäftsbeziehungen mit Banken, die Öl- und Gas-Pipelines finanzieren. Die jungen Wasserschützer, die ich in Standing Rock kennen gelernt habe, leiten inzwischen Aktionen inspiriert von ihrer Erfahrung in North Dakota in mehreren US-Bundesstaaten.
Nebraska könnte das nächste Zentrum der Umweltschutz-Bewegung werden. Der Bundesstaat liegt auf dem Weg der gerade von Präsident Trump genehmigten Keystone XL Pipeline.
Eine fünfköpfige Kommission vor Ort muss noch ihre Zustimmung für das Wegerecht erteilen. Der Druck des Widerstands wächst. Und ihr Leitspruch verbreitet sich: "Wasser ist Leben - M’ni Wiconi".