Ohne Bargeld geht es nicht
Tschechen bestellen zwar gerne Waren über das Internet, bezahlen möchten sie aber nicht über das Netz. Die meisten Produkte werden per Nachnahme verkauft. In Tschechien gilt noch das alte sozialistische Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Er liegt im Kinderwagen und schreit, der kleine Tomas, aber Nachschub ist in Sicht: Seine Mutter ist mit ihm gerade in die Filiale eines Versandladens gekommen, dort liegt der große Karton mit Babynahrung schon bereit.
"Man bezahlt die Ware hier an dem Automaten. Der druckt einem dann einen Zettel aus, mit dem man da vorne zur Warenausgabe geht - und der Verkäufer bringt einem die Ware. Ich muss nirgendwo warten und bezahle erst, wenn ich weiß, dass die Ware auch da ist."
Die junge Mutter schiebt ihre Karte in das Gerät, das so ähnlich aussieht wie ein Fahrkartenautomat; ein paar Sekunden später ist das Geschäft abgeschlossen.
"Ich habe mit vielen Online-Geschäften für Kinderartikel schlechte Erfahrungen gemacht: Da bestellt man was und dann kommt entweder gar nichts oder sie schreiben einem, dass sie irgendwann in drei Wochen liefern werden. Deshalb zahle ich lieber nicht vorab per Kreditkarte. Wenn ich aber weiß, dass ich die Ware auch wirklich bekomme, macht es mir nichts aus, mit der Karte zu bezahlen."
So geht es vielen Tschechen: Sie haben Hemmungen, im Internet mit der Karte zu bezahlen. Marek Liska schmunzelt, wenn er daran denkt: Er ist Chef von Mall, einem der größten Online-Händler Tschechiens. Mehrere zehntausend Pakete pro Tag verlassen in Spitzenzeiten die riesige Lagerhalle seines Unternehmens – und doch ist hier vieles anders als bei manchen anderen Versandhändlern.
Marek Liska: "In westlichen Ländern werden die meisten Online-Geschäfte mit der Kreditkarte abgewickelt. Hier in Tschechien ist es ganz anders: Immer noch laufen bei uns 90 Prozent der Geschäfte per Nachnahme. Der Kunde hat kein Problem, mit der Karte zu zahlen, aber erst wenn er die Ware sieht – und nicht schon im Internet."
Ein gewisser Anachronismus sei das, urteilt Jan Simkanic. Er leitet in Prag einen renommierten Branchendienst für den Internethandel. Wo man auch hinschaue, sagt er, die Kunden würden im Netz einfach nicht mit der Karte zahlen – egal, wie groß der Anbieter ist und egal, wie oft die Besteller schon gute Erfahrungen gemacht haben. Diese Skepsis sei wohl ein alter Reflex, meint er.
"Bei uns gab es im Sozialismus das alte Schlagwort: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Vielen ist das so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie es bis heute so halten – ein gewisser Konservatismus."
Online bestellen, im Laden abholen
Es gibt aber auch neuere Gründe dafür, dass die Tschechen ungern mit Karte bezahlen. Marek Liska, der Chef des Prager Versandhändlers Mall, erinnert sich an die wilde Zeit der Internetfirmen, die gerade einmal ein paar Jahre zurückliege. Weil internationale Konzerne wie Amazon nicht auf dem kleinen tschechischen Markt aktiv sind, konnten sich etliche örtliche Versandhändler in aller Ruhe entwickeln – und darunter seien auch schwarze Schafe gewesen.
"Sie würden sich wundern: Am Anfang lief das bei vielen Firmen so, dass der Kunde etwas bestellt hat, was aber beim Verkäufer nicht auf Lager war. Der hat erst nach der Bestellung hektisch angefangen, das Produkt irgendwo aufzutreiben. Die Folge waren lange Lieferzeiten, stornierte Bestellungen und so weiter – das war wirklich problematisch."
Mit typisch tschechischer Findigkeit hat er inzwischen ein Rezept gegen Misstrauen entdeckt – und beschreitet einen Weg, der für den Online-Handel bislang völlig untypisch ist: Überall im Land hat er Filialen aufgemacht – kleine Läden sind es wie jener, in dem die Mutter ihre Babynahrung abholt. Die Produkte bestellen die Kunden online, aus dem zentralen Versandlager werden sie an die Filiale geliefert. Das spart die Warterei auf den Paketdienst und geht zudem unglaublich schnell: Wer bis 14 Uhr bestellt, kann ab 16 Uhr seine Ware abholen – am gleichen Tag. Der größte Vorteil aber sei, dass die Kunden eben eine Firma zum Anfassen suchen, sagt Marek Liska – und dort dann auch kein Problem haben, die Kreditkarte zu zücken.
"Das ist auch ein tschechisches Phänomen. Der Kunde will es so, er will einen Ansprechpartner haben, bei dem er die Ware gegebenenfalls auch gleich reklamieren kann; ein Geschäft von Hand zu Hand."
40 Prozent aller Bestellungen laufen bei Mall über diese Filialen und nicht über den Paketdienst. Wenn man irgendwo auf dem Land eine neue Filiale aufmache, erzählt der Chef, stiegen die Bestellzahlen in der Region sofort sprunghaft an. Die einfache Internet-Bestellung per Kreditkarte und Paketdienst – in Tschechien hat sie sich immer noch nicht durchgesetzt.