Schimpfen trotz Millionen-Förderung
Vom EU-Beitritt 2004 hat Tschechien stark profitiert. Vor allem Westböhmen freut sich über Fördergelder und Touristen. Rund die Hälfte der Tschechen sind trotzdem skeptisch, Präsident Zeman spricht sogar von einem EU-Referendum. Ein Image-Problem?
"Ein paar Schritte nur braucht Pater Filip Lobkowicz, um das Wunder von Tepla zu sehen. Der Ordensmann in seinem weißen Habit verlässt sein Büro, geht zur Türe hinaus und steht auf dem Hof seines Klosters.
Touristen schlendern über den unebenen Boden, der noch nicht erneuert ist, und Filip Lobkowicz hebt den Blick. Ganz links ist die Bibliothek, in der Mitte die imposante Kathedrale und rechts die Prälatur.
"Das ist die renovierte Fassade. Wir konnten sie aus den Mitteln eines EU-Fonds bezahlen. 2008 gab es die ersten Pläne, von 2010 bis 2015 liefen die meisten Arbeiten."
Das Kloster Tepla steht in Westböhmen, in einem dünn besiedelten Landstrich ein paar Kilometer entfernt von der Grenze zur Oberpfalz. Es ist eine gewaltige Anlage: Zu den Hochzeiten lebten hier 140 Mönche, zum Kloster gehören eine der prächtigsten Barockbibliotheken des Landes, mehrere Wirtschaftsgebäude und ein viele Hektar messender Park.
Früher spielten Soldaten im Kloster Fußball
Seit dem Kommunismus befand sich die Anlage im Niedergang: Soldaten waren hier untergebracht, die so lange mit den historischen Büchern aus der Klosterbibliothek heizten, bis sie feststellten, dass Pergament nicht brennt.
Abt Lobkowicz öffnet die Tür zu einem der Säle, der für Konzerte genutzt wird. Er riecht noch nach Farbe und dem Leder der neuen Stühle. Die Wände sind überbordend mit Stuck verziert.
"Die Soldaten hatten hier ihre Turnhalle. Da an der Wand waren die Abdrücke von Bällen zu erkennen. Da konnte man noch Jahre später sehen, wie die hier Sport gemacht haben."
Knapp 500 Millionen tschechische Kronen sind aus EU-Mitteln in das Kloster Tepla geflossen; umgerechnet etwa 20 Millionen Euro. Heute beherbergt das Kloster eine handvoll Mönche – und jetzt, im renovierten Teil, eine Akademie. Seminare finden hier statt, Konzerte, Tagungen und Ausstellungen. Etwas besonderes in der ländlichen Region.
"Mir steht es nicht zu, die Entwicklung in der Region zu beurteilen. Aber natürlich: Die Akademie kann dazu beitragen, dass die Leute hier etwas erleben. Man darf nicht vergessen: Wir sind im harten Grenzgebiet, wo die Situation nicht einfach ist."
EU fördert Westböhmen länger als Tschechien
Das ist eine euphemistische Umschreibung dafür, dass es hier alles andere als rund läuft: Die Region rings um Marienbad und Karlsbad gilt seit der politischen Wende als Armenhaus Tschechiens – die Wirtschaft ist schwächer als im Landesdurchschnitt, die Abwanderung ist groß und entsprechend auch die Hoffnungslosigkeit.
Die Prager Regierung hat gerade erst ein Förderprogramm für die Region aufgelegt; die EU hingegen ist hier schon seit Jahren aktiv – immer mit dem Ziel: Gleiche Lebensbedingungen in allen Teilen der Europäischen Union zu schaffen.
Im Falle des Klosters scheint das zu funktionieren, wenngleich es für eine endgültige Bilanz so kurz nach der Eröffnung noch zu früh ist: Für die Veranstaltungen kommen auf jeden Fall Interessenten aus dem ganzen Land.
Einige Kilometer vom Kloster Tepla entfernt, liegt der Ort Chodova Plana. Die örtliche Brauerei ist ein Anziehungspunkt – mit guter Küche und einem Restaurant, das komplett unterirdisch in einem Felsen untergebracht ist; früher war hier einer der Gärkeller.
"Ich begrüße Sie herzlich in der Brauerei Chodovar Plana."
Besucherzahlen steigen seit EU-Beitritt
Einmal täglich können die Touristen mit einer Führung in die Geschichte der Brauerei eintauchen. Besucher gibt es viele: Auf dem Parkplatz stehen Autos mit Nummernschildern aus dem benachbarten Deutschland, und selbst Holländer und Italiener finden ihren Weg in die Brauerei – und seit 2004 – seit der EU-Mitgliedschaft Tschechiens - gehen die Besucherzahlen immer weiter nach oben.
Von seinem Büro aus blickt Jiri Plevka auf den Trubel. Er ist der Seniorchef der Firma, der Aschenbecher auf seinem Schreibtisch quillt über; Plevka ist bester Laune.
"Eigentlich hätte ich schon vor 25 Jahren in Rente gehen sollen. Ich bin Jahrgang 1934. Ich bin so etwas wie das wandelnde Archiv von Westböhmen."
Das operative Geschäft der Brauerei leiten längst seine beiden Söhne, der 83-Jährige geht nur noch aus alter Gewohnheit ins Büro. 1992 hat er die Brauerei in der ersten Privatisierungswelle nach der Wende gekauft und vor dem Ruin gerettet; seitdem geht es mit dem Betrieb aufwärts.
"Als ich hier angefangen habe, wurde die Brauerei zu meinem Kind. Und wenn man ein Kind hat, will man, dass es sich gut entwickelt. Deshalb sind wir bis heute hier."
130 Mitarbeiter hat der Betrieb, damit ist er einer der größten Arbeitgeber in der weiteren Umgebung. Und vor allem: Wegen Jiri Plevkas Engagment strahlt der Marktplatz mit seinem Brauerei-Hotel in neuem Glanz, nach und nach kommt wieder Leben in das Dorf, das vorher trostlos wirkte.
"Das meiste haben wir selbst gemacht, aus eigenen Mitteln. Aber wir haben für manche konkrete Projekte auch Geld von der EU bekommen, für die Kühlung in der Brauerei etwa oder solche Sachen."
Die EU ist in Westböhmen allgegenwärtig – wegen ihrer Fördergelder natürlich, aber auch wegen des Stroms von Touristen, der sich über die berühmten Kurbäder ergießt und über Attraktionen wie die Brauerei mit ihrem Restaurant im Felsenkeller.
Schlechtes Image der EU
Und das Image der EU? Das ist trotzdem schlecht – lediglich zwischen 25 und 45 Prozent der Tschechen äußern sich in Umfragen positiv zur EU-Mitgliedschaft. Diesen Widerspruch spürt Radko Hokovsky jeden Tag in seiner Arbeit.
Der Politologe hat sein Büro gute zwei Stunden entfernt von Marienbad in der Hauptstadt Prag, er ist Chef des Think-Tanks evropske hodnoty, übersetzt Europäische Werte – was der Denkfabrik schon viele böse Kommentare eingebracht hat.
"Wir haben noch nie Propaganda für die EU gemacht, im Gegenteil: Viele unserer Aktivitäten drehen sich um Verbesserungsvorschläge. Aber trotz dieser kritischen Herangehensweise haben wir den Stempel der Europa-Beklatscher bekommen. Auf Facebook kriegen wir deshalb viele Hassmails."
In Tschechien ist es nicht populär, zur Europäischen Union zu stehen – ein Problem, das auch die Politiker haben. In wenigen Wochen – im Oktober – wird in Tschechien ein neues Abgeordnetenhaus gewählt - und anders als in England, Frankreich oder den Niederlanden spielt die EU in den Wahlprogrammen der Parteien keine große Rolle, auch wenn viele Regionen von der EU-Förderung profitieren. Das sei Kalkül, urteilt Radko Hokovsky:
"Sicher steckt da Pragmatismus dahinter. Die Politiker sind erfahren genug, um zu wissen, wie abhängig Tschechien von der europäischen Politik ist. Sie wissen, wie wichtig die EU-Mitgliedschaft für das Land ist - aber genauso gut wissen sie auch, wie schwer man das der Öffentlichkeit erklären kann. Deshalb wollen sie auf dieses Thema keine besondere Aufmerksamkeit lenken."
Dabei sah noch vor vier Jahren alles deutlich anders aus: Damals wurde der Ex-Sozialdemokrat Milos Zeman zum tschechischen Präsidenten gewählt.
Es endete die Ära des wirtschaftsliberalen Vaclav Klaus. Der hatte zuvor zehn Jahre lang keine Gelegenheit ausgelassen gegen die EU zu sticheln.
Sein Nachfolger Milos Zeman zeigte sich anfangs als klarer Gegenentwurf. Als eine der ersten Amtshandlungen 2013 lud Zeman den damaligen Kommissionspräsident Manuel Barroso nach Prag ein und hisste mit ihm in einer Feierstunde das europäische Sternenbanner auf dem Dach der Prager Burg, seinem Amtssitz – ein wichtiges Symbol, denn Vaclav Klaus hat die Flagge nicht mal in seiner Nähe geduldet.
Präsident Zeman spricht über EU-Referendum
Inzwischen ist aber auch Milos Zeman eher China und Russland zugeneigt als den europäischen Verbündeten. Das könnte sich auch noch im Wahlkampf zeigen, fürchtet Beobachter Radko Hokovsky vom Think-Tank "Europäische Werte":
"Zeman hat im vergangenen Sommer gesagt, er tue alles dafür, dass ein Referendum über Tschechiens Austritt stattfindet. Er selbst werde zwar dagegen stimmen, aber ein Referendum sollte man trotzdem abhalten. Daraus kann in den Wahlen ein Überraschungsmoment werden, wenn Zeman da auf dieses Thema zurückkommt."
Die konservative Partei TOP09 ist die einzige der momentan im Parlament vertretenen Parteien, die sich dezidiert europafreundlich gibt. Die anderen sind zwar für einen Verbleib in der Union, machen aber aus ihrer Skepsis keinen Hehl – ob aus taktischen Erwägungen oder echten Bedenken.
Die altehrwürdige Karlsuniversität in Prag. Hier in der großen Aula stellen sich vor der Wahl die Parteichefs einer Debatte.
Mit besonderer Spannung wird der Auftritt von Andrej Babis erwartet: Der Milliardär hat die liberal-populistische Bürgerbewegung ANO gegründet und war bis vor kurzem tschechischer Finanzminister. Babis wurde abberufen wegen einer Steueraffäre und des Verdachts auf Beeinflussung der Medien.
Trotz dieser Vorwürfe sagen ihm Meinungsforscher nun rund 28 Prozent der Stimmen voraus und damit beste Chancen auf den Posten des Premierministers. Bei Fragen zur EU wird er auf dem Podium lebendig.
"Ich will nicht in der Eurozone sein, ich will nicht für griechische Schulden haften und für italienische Banken auch nicht. Das war ein gutes ökonomisches Projekt, das politisch geworden ist. Heute haben wir einen großen Vorteil dadurch, dass wir die tschechische Krone haben."
Auch die Frage danach, wo er Tschechien bei einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten sehe, wischt Babis brüsk vom Tisch.
"Was ist das, eine schnellere und eine langsamere Geschwindigkeit? Wir sollten auswählen, bei welchen konkreten Projekten wir dabei sein wollen. Es sollte nicht die Kommission sein, die sich ständig irgendetwas ausdenkt und vorschlägt, sondern die Premierminister und die Präsidenten der Mitgliedsländer. Die sollen Europa dominieren und nicht die Kommission. Ich sehe für uns keine weitere Integration. Ich will nicht, dass die uns reinquatschen, ob wir Waffen tragen dürfen oder was wir machen sollen und was nicht – das wissen wir sehr gut selbst."
Tschechien ist ein Sonderfall in EU
Ein klares Bekenntnis abzugeben zu den vier Institutionen der Europäischen Union – also zur Kommission, zum Parlament, dem Rat der Mitgliedsstaaten und dem Gerichtshof - damit tun sich bei solchen Auftritten die meisten Politiker schwer.
Tschechien ist damit in Mitteleuropa ein Sonderfall: Die Regierung ist zwar, wenngleich verhalten, für die Europäische Union. Aber die Bevölkerung ist mehrheitlich skeptisch. In Polen und Ungarn etwa sehe es paradoxerweise genau andersrum aus, sagt Radko Hokovsky:
"Dort sind zwar die gegenwärtigen Regierungen europaskeptisch und schimpfen auf die EU, aber die Öffentlichkeit ist pro-europäischer als in Tschechien. Das hängt auch mit einer gewissen tschechischen Grundhaltung zusammen – Tschechen halten ihr Land für klein und unbedeutend, sie glauben nicht, dass sie groß etwas ändern können. Brüssel ist deshalb etwas, was mit ihnen passiert; was sie erdulden müssen. Polen und Ungarn hingegen sind stolze Nationen mit großem Selbstbewusstsein. Sie haben keine Angst vor der EU. Sie sehen sie nicht als ein Konstrukt, dem sie sich unterordnen müssten."
Und die üppigen EU-Subventionen, die Tschechien bekommt – in Regionen wie etwa rund um Marienbad? Wird durch sie nicht allein schon monetär deutlich, dass sich eine Mitgliedschaft in der Union lohnt? Hokovsky schüttelt den Kopf.
"Das Problem liegt darin, dass man zwar allenthalben die Schilder sieht, dass hier die Kläranlage oder dort der Spielplatz und die neue Straße von der EU bezahlt worden sind. Aber die Menschen spüren es nicht in ihrem unmittelbaren Lebensstandard. Ein großer Fehler der tschechischen Politiker vor dem EU-Beitritt war es, dass sie als wichtigstes Argument die Erhöhung des Lebensstandards genannt haben. Und die Mehrheit hat eben nicht das Gefühl, dass ihr Standard steigt."
"Für Jüngere ist EU selbstverständlich"
Dabei ist gerade in Marienbad auf Schritt und Tritt zu sehen, wie das sozialistische Grau einer neuen Lebensfreude weicht. Im ausgedehnten Kurpark sitzt Marketa Monsportova an der Ferdinandsquelle, die von einem mondänen Pavillon umgeben ist. Alles ist frisch renoviert. Monsportova, eine Frau in den 40ern, ist eine von denen, die hier in Marienbad wieder Leben in die alten Kulissen bringt. Sie mischt bei verschiedenen Vereinen und Aktivitäten mit.
"Vor vier Jahren haben mich ein paar junge Leute angesprochen, die im Ausland studiert haben, um die Welt gereist sind und nun zurückkamen. Sie wollten etwas unternehmen, weil sie merkten, dass es für die Jüngeren hier nicht viel gibt. Wir haben zusammen Festivals und verschiedene andere Aktionen organisiert; daraus ist jetzt unsere Initiative mit dem Namen Svihak geworden."
Svihak ist eine Gruppe, die zum Wandel in Marienbad beitragen will, zu einer lebendigeren Stadt. Marketa Monsportova ist nach der Wende hergekommen – zuletzt habe sich die Stadt ausnehmend positiv entwickelt, sagt sie – und immer mehr Bürger engagierten sich.
"Wir selbst haben zwar keine Mittel von der EU genutzt, aber man sieht rund um Marienbad viele geförderte Aktionen und Programme, die gut funktionieren. Ohne Frage: Die Region wird lebendiger, sie öffnet sich der Welt."
Und die EU sei durchaus zu sehen, da widerspricht Marketa Monsportova den skeptischen Stimmen aus Prag.
"Die jüngere Generation betrachtet die EU als selbstverständlichen Teil des Lebens. Man kann es sich gar nicht vorstellen, dass es anders sein könnte. Viele fahren jetzt im Sommer zum Baden über die Grenze nach Deutschland, sie kaufen da ein und arbeiten dort – für sie ist die EU ein Teil des Lebens, den sie voll ausnutzen."