Wie Milliardär Babis das Land zur Firma machen will
Andrej Babis hat mit seiner "Bewegung der unzufriedenen Bürger" ANO gute Chancen, am Wochenende die Wahl in Tschechien zu gewinnen. Er verspricht, keine Flüchtlinge ins Land zu lassen, fragt seine Wähler, wovon sie träumen und auf dem Markt verteilt er gratis Pfannkuchen.
Es sind die ersten richtig trüben und kalten Herbsttage in Prag, und der Wahlkampf für die Parlamentswahlen in ein paar Tagen trägt nicht dazu bei, die Tschechen zu erwärmen. Gäbe es nicht die Plakate in den Straßen – deutlich weniger übrigens als in Deutschland – würde man in Prag kaum darauf kommen, dass Wahlen bevorstehen. Nur in den sozialen Netzwerken tut sich etwas, und im Fernsehen:
"Ahoi, Leute! Ich habe einen Traum, wie man besser in unserem Land leben kann!"
Andrej Babis, ehemaliger Finanzminister, Milliardär und Chef der ANO-Bewegung. ANO heißt Ja auf tschechisch. Eigentlich müsste es Nein heißen, denn es ist eine Abkürzung und steht für "Bewegung unzufriedener Bürger". ANO ist 2011 gegründet worden und wurde bei den Parlamentswahlen im Jahr darauf mit 18 Prozent zweitstärkste Partei und Koalitionspartner.
"Schreiben Sie mir, worüber Sie träumen, was Sie ändern wollen und was sie ärgert. Ich werde alles dafür tun, um ihre besten Ideen durchzusetzen. Also Ciao, bis zum nächsten Mal!"
Am 20. und 21. Oktober wird gewählt. Um die 200 Mandate im Abgeordnetenhaus kämpfen diesmal 31 Parteien, so viele wie noch nie. Aber die Hälfte der Tschechen hat sich noch nicht festgelegt, welcher Partei sie ihre Stimme geben werden. Andere wissen bereits, wo sie ihr Kreuz machen werden, Marie zum Beispiel, eine Galeristin, 43 Jahre alt:
"Ich werde wahrscheinlich die Piraten wählen, weil sie die jüngsten Mitglieder haben. Es ist die Partei, die keine Skandale hat, und es ist eben höchste Zeit, dass bei uns junge Leute die Politik machen."
Karel, 56 Jahre alt und von Beruf Techniker, will die ANO-Partei von Andrej Babis wählen:
"Ich bewundere ihn, wie er es geschafft hat, eine riesige Firma aufzubauen, die Tausenden Menschen in der Landwirtschaft und in der Chemieindustrie Arbeit gibt. Es gefällt mir auch, dass er keine Angst hat, die EU und auch Frau Merkel wegen ihrer Migrationspolitik zu kritisieren, weil sie große Probleme in ganz Europa verursacht hat."
Eigentlich hätten die Tschechen einigen Grund, die jetzige Regierung ohne Wenn und Aber zu bestätigen. Politische Beobachter geben ihr recht gute Noten.
"Der Vorteil dieser Regierung war wirklich, dass sie ziemlich stabil war und die ganze Periode regieren konnte."
sagt die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Suzana Liskova.
Die Wirtschaft wächst. Die Unzufriedenheit auch.
Die politische Stabilität hat sich ausgezahlt, denn die letzten vier Jahre waren für Tschechien gute Jahre. Die Wirtschaft wächst und hat das Niveau von vor der Finanzkrise 2008 übertroffen. Die Arbeitslosigkeit ist mit drei Prozent auf den niedrigsten Stand in der EU gesunken. In einigen Branchen herrscht Vollbeschäftigung oder sogar schon Facharbeitermangel. Und das monatliche Durchschnittseinkommen liegt nun über 1000 Euro. Aber die Tschechen schauen in die Nachbarländer. In Deutschland und Österreich sind die Durchschnittseinkommen dreimal höher.
"Ich denke, jeder tschechische Bürger wünscht sich, dass nicht nur über die Konkurrenzfähigkeit der Firmen gesprochen wird, sondern auch darüber, ob wir einen ähnlichen, vergleichbaren Lebensstandard haben."
Enttäuschte Erwartungen spielen in diesem Wahlkampf eine Rolle und Abstiegsängste, denn der wirtschaftliche Aufschwung ist nicht überall angekommen. Mit einem Durchschnittseinkommen lässt es sich in der Hauptstadt immer schwerer wohnen. Außerdem sind die Preise für die Dinge des täglichen Bedarfs im Verhältnis zu den Einkommen viel zu hoch.
Ein Gefühl von Ungeduld und Ungerechtigkeit hat sich breitgemacht, und das geht vor allem zu Lasten der sozialdemokratischen CSSD.
Die tschechischen Sozialdemokraten sind in allen Umfragen weit hinter ihr letztes Ergebnis zurückgefallen. Der Partei macht der Populismus zu schaffen.
"Guten Tag, kommen Sie näher, ich gebe ihnen einen Pfannkuchen."
Es ist sieben Uhr morgens. Auf dem Bahnhof von Breclav in Südmähren macht Andrej Babis Wahlkampf.
"Nehmen Sie bitte. Sie können die korrupte Rechte nicht wählen! Letzte Pfannkuchen. Bitte. Super, haben Sie einen schönen Tag."
An Andrej Babis scheiden sich die Geister. Für seine Anhänger ist er der Macher, ein Art früherer Macron. Für seine Gegner ist er die tschechische Version von Trump und Berlusconi.
"Es ist beides. Wie Jakyl und Hyde. Er ist zum Teil Jakyl und zum Teil Herr Hyde."
meint der Politikberater Jan Herzman. Er traut dem Konzernchef und seiner ANO-Partei zu, Reformen anzugehen, die die etablierten Parteien verschleppt haben.
Wenn es nur nicht diese Ballung von wirtschaftlicher, politischer und publizistischer Macht in der Hand einer Person gäbe. Der Interessenkonflikt sei ein Problem, meint Radek Spicar:
"Die Verbindung von Politik und Medien ist nicht glücklich. Sie schadet Andrej Babis, und es nützt weder der politischen Kultur im Land und vermutlich auch nicht dem Image der Tschechischen Republik im Ausland."
Bislang schadet dem Umfrage-Favoriten Babis und seiner ANO gar nichts. Weder die ungeklärte Frage, ob er in kommunistischen Zeiten für die Staatssicherheit gearbeitet hat, was er bestreitet, noch die Umstände, wie der ehemalige Mitarbeiter des staatlichen Außenhandels zu seinem Reichtum gekommen ist.
"Der war ein junger kommunistischer Kader."
Jaroslav Rudis, Schriftsteller, Publizist und Musiker.
"Ihm wird vorgeworfen, wie er eigentlich reich geworden ist in den 90ern, in der sehr wilden, brutal kapitalistischen Zeit, wo die anderen oder wir keine Ahnung hatten, und die wussten schon Bescheid, wie das Leben läuft, mindestens, was Kapitalismus angeht. Wir haben immer noch an die Freiheit und Demokratie geglaubt und an Vaclav Havel, und die waren schon ganz woanders."
Der zweitreichste Mann Tschechiens will gewinnen
Laut Forbes hat der gebürtige Slowake ein Vermögen von 3,4 Milliarden Euro und ist damit der zweitreichste Mann Tschechiens. Seine Mischkonzern Agrofert hat rund 250 Tochtergesellschaften, darunter die Mafra mit den zwei wichtigsten tschechischen Tageszeitungen. Insgesamt hat der Konzern mehr als 30.000 Beschäftigte. Die Kontrolle hat er zwar an einen Treuhänder abgegeben. Aber kaum jemand zweifelt, dass Babis im Hintergrund weiter die Fäden zieht. Sein Erfolg als Unternehmer imponiert vielen Tschechen. Als er 2011 die Bewegung ANO gründet, trifft er in der skandal- und korruptionsgeplagten tschechischen Gesellschaft offenbar einen Nerv. Und Andrej Babis kann mit den einfachen Leuten.
"Diese Volksnähe, das ist etwas, was die Tschechen auch mögen. Er ist doch einer von uns. Obwohl, er ist ja superreich, der Herr Babis. Aber er ist doch einer von uns, der jetzt mit uns in der Kneipe sitzt und ein Bierchen trinkt."
Der Finanzminister im Kabinett Sobotka gibt sich als Kämpfer gegen Korruption, Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung.
"Ich habe auch den Traum, das wir einmal stolz darauf sind, dass wir Steuern bezahlen. Und nicht, dass wir uns rühmen, keine zu zahlen."
So weit, so gut. Aber dann schleicht sich eben auch ein Ton ein, der den Populisten verrät, welcher auf Ressentiments setzt.
"Wir müssen endgültig unterscheiden zwischen aktiven Menschen, die arbeiten, und solchen, die nicht arbeiten, die Unterstützung beziehen und Parasiten sind für diejenigen, die arbeiten."
Aber spätestens beim Thema Steuer-Ehrlichkeit hat Andrej Babis ein Glaubwürdigkeitsproblem. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln gerade in diesen Tagen gegen ihn wegen Subventionsbetrugs. Um an zwei Millionen Euro Fördergelder der EU für kleinere und mittlere Unternehmen heranzukommen, soll er sein Wellness-Ressort Storchennest vorrübergehend an Familienmitglieder überschrieben haben. Wegen dieser und anderer Vorwürfe hat Ministerpräsident Sobotka im Mai aus dem Kabinett gedrängt. Für Andrej Babis eine klare Sache.
"Das war keine Korruption. Das ist alles erfunden, um mich anzuschwärzen. Es ist eine Kampagne, eine brutale Kampagne."
Eine Kampagne der alten etablierten Seilschaften, um ihn politisch zu erledigen, das ist seine Sichtweise. Babis Traum von Tschechien ist ein effizienter Staat mit schlanken Strukturen, ohne Korruption und Vetternwirtschaft, geführt wie eine Firma. Für Lubomir Zaoralek, den Außenminister und Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten nicht akzeptabel.
"Das ist nur PR. Babis hat kein Programm. Eine Firma muss Gewinne machen, und die Schwachen werden aussortiert. So kann man keinen Staat führen."
Die Umfragen zeigen ANO seit Monaten in Führung. Zwischen 27 und 33 Prozent errechnen die Meinungsforscher. Die sozialdemokratische CSSD liegt immer um 15 Punkte dahinter, manchmal sogar noch hinter den Kommunisten auf Platz drei. Und die Kommunisten in Tschechien sind noch echte Post-Stalinisten. Für sie ist der Prager Frühling von 1968 immer noch ein Verrat am Sozialismus und ihre Entmachtung 1989 eine Konterrevolution.
"Natürlich gibt es bei einigen Leuten eine Sehnsucht nach einer starken Persönlichkeit, die alle Probleme des Landes löst, ohne dass sich die Bürger selber engagieren müssen."
meint Suzana Liskova, die Politologin und Journalistin. Aber ein anderer Aspekt sei noch wichtiger:
"… dass die Leute sehr reserviert sind in ihrem Verhältnis zu Institutionen, seien es staatliche Institutionen oder politische Institutionen oder internationale. Und das sieht man auch in den Beliebtheitswerten der Europäischen Union bei uns."
Gelder von der EU sind willkommen, Flüchtlinge nicht
Das Verhältnis der Tschechen zur EU ist zwiespältig bis skeptisch. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union wird eher als notwendiges Übel gesehen und ist nicht mit einer positiven Idee verbunden. Und der Streit um Flüchtlinge und Quoten hat die Skepsis noch verstärkt. Muslimische Flüchtlinge werden als Sicherheitsrisiko gesehen. Innenminister Chovanec und Präsident Zeman wiederholen das bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
"Es reicht nicht, nur Beileidstelegramme nach Terroranschlägen zu schicken. Wir müssen die Ursache des Terrorismus beseitigen, und diese Ursache sind leider illegale Flüchtlinge."
Der islamistische Terror geht von Muslimen aus. Wer keinen Terror will, darf keine muslimischen Flüchtlinge ins Land lassen – das ist eine einfache These, die bis in die junge Generation hinein Gehör findet. Tschechien gehört zu den sechs sichersten Ländern der Welt, und das soll so bleiben. Integrationsprobleme wie in Deutschland oder Frankreich will man sich gar nicht erst einhandeln.
Aber auch die Tschechen werden nicht darum herum kommen, positiv zu formulieren, wo ihr Platz in Europa ist und welche Rolle sie ausfüllen wollen.
Für Lubomir Zaoralek, den Außenminister und Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten, ist das keine Frage.
"Für die Tschechische Republik ist Europa der Schlüsselraum. Wir leben darin. Er ist die Garantie für Wohlstand und Sicherheit. Für uns ist es lebenswichtig, dass das europäische Projekt lebensfähig bleibt und erfolgreich fortgesetzt wird."
Auch die Christdemokraten und die Piraten definieren sich als pro-europäische Parteien. Aber es gibt politische Kräfte, die das ganz anders sehen und Aufwind haben. Eine militante Anti-Islam und Anti-EU-Partei mit der aparten Abkürzung SPD hat Chancen, bis zu zehn Prozent der Stimmen zu bekommen. Und auch bei der ODS des früheren Präsidenten Klaus gibt es eine starke Strömung, die zum Austritt drängt. Nur wo Andrej Babis, der Favorit, mit seiner ANO-Partei europapolitisch hin will, das weiß niemand so recht, auch wenn er selbst sagt:
"Wir sind pro-europäisch, aber heute ist es nötig, andere Probleme in Europa zu lösen: Wir müssen die illegale Migration stoppen und den Kampf gegen den Terrorismus verstärken."
Den Euro wird es in Tschechien, wenn es nach ihm geht, auf absehbare Zeit nicht geben. Für Griechenland und andere hochverschuldete Staaten will man auf keinen Fall mithaften.
Rund 8,4 Millionen Menschen entscheiden in Tschechien am 20. und 21. Oktober über den künftigen Kurs des Landes. Wenn man den Meinungsforschern folgt, könnte es ein Richtungswechsel werden und zugleich eine Reise ins Ungewisse.
"Ein Freund von mir sagt immer: Ja, wir haben ja hier schon alles überstanden. Wir werden auch das hier überstehen. Hauptsache das Bier bleibt günstig und gut gekühlt."