Ich denke, das ist genau das, was den tschechischen Humor ausmacht. Die Tschechen sind diejenigen, die das Biest belächeln.
Tschechische Satire
Bei dem Fake-Referendum in Prag stimmen laut den Organisatoren 98 Prozent für eine Angliederung von Kaliningrad an Tschechien, von der russischen Botschaft haben sie noch nichts gehört. © Imago / Westend61 / Michael Runkel
Wir annektieren Kaliningrad!
03:21 Minuten
In Tschechien hat eine Internet-Satire die sozialen Netzwerke erobert. Unter dem Motto "Kaliningrad gehört zu Tschechien" fordert sie die Angliederung der russische Exklave. Kralovec soll sie heißen. Absurd? Genau. Und Parallelen sind rein zufällig.
Der Platz vor der russischen Botschaft in Prag hat seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine schon viele Demonstrationen gesehen. Allerdings gab es noch keine, die sich hier für eine Annexion eingesetzt. Tomas Kotrous, einer der Organisatoren der Aktion erklärt: "Wir halten hier gerade ein satirisches Referendum ab, und direkt im Anschluss werden wir das Ergebnis bekanntgeben. Wir kennen es natürlich schon. Und dann werden wir unsere Forderung an die russische Botschaft übergeben.“
Auf dem Boris-Nemcov-Platz haben sich rund 200 Menschen versammelt, vor allem jüngere, mit Kindern auf den Schulten oder Plakaten in den Händen. Sie fordern, dass Kaliningrad als 15. Gebiet an Tschechien angeschlossen wird. Die russische Exklave zwischen Polen und Litauen, das frühere Königsberg, wollen die Aktivisten rund um den Studenten Kotrous umbenennen. Kralovec soll es heißen.
Der Landstrich an der Ostsee und damit der Zugang zum Meer sei Tschechien im Laufe der Wirren der Geschichte verloren gegangen, erklärt der Historiker Michal Stehlik auf der Satire-Kundgebung. Kralovec sei noch immer tief in der tschechischen Seele verankert: "An dieser Stelle muss ich der russischen historischen und diplomatischen Schule von ganzem Herzen danken. Sie haben uns mit ihrem kreativen Umgang mit Geschichte inspiriert. Sie haben uns endlich die Augen dafür geöffnet, wie man Verbindungen findet, wie man entscheidende Momente auswählt und vor allem, wie man seine Ziele weiterverfolgt."
Deutliches Referendum: 98 Prozent dafür!
Bei dem Fake-Referendum in Prag stimmen laut den Organisatoren 98 Prozent für eine Angliederung von Kralovec an Tschechien, von der russischen Botschaft haben sie noch nichts gehört. Ihren Ursprung hat die Satire im polnischen Internet, aber erst in Tschechien ist sie groß geworden - durch einen Tweet des Europaabgeordneten Tomas Zdechovsky, an den sich bald Kotrous drangehängt hat mit einem offiziell aussehenden Twitter-Account für „Kralovec, früher Kaliningrad“.
Im Internet lädt eine Tourismus-Seite in das neue tschechische Staatsgebiet ein, zur Besichtigung des Schlachtschiffs Vaclav Havel oder des Flugzeugträgers Karel Gott. Auf gefälschten Karten verläuft eine Bierpipeline von Prag über Warschau an die Ostsee. Vermutlich wäre sie schneller in Betrieb als eine fiktive Direktverbindung der tschechischen Bahn, so Kotrous: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass wir so große Unterstützung erhalten und sich auch echte Institutionen, öffentliche Personen und Politiker beteiligen. Die Verteidigungsministerin kennt uns und findet die Idee lustig, leider aber musste sie heute zur UNO und konnte nicht mitmachen."
Die Geschichte von Kralovec
Auch im tschechischen Radio oder in Zeitungen hinterlässt die Kralovec-Satire Spuren. Im Fernsehen erläutert Michal Stehlik von der Karls-Universität den tatsächlichen historischen Hintergrund des Pseudo-Referendums: "Wir müssen in die Mitte des 13. Jahrhunderts zurückgehen, zu Přemysl Ottokar, dem II. Zu Ehren des böhmischen Königs wurde die Stadt gegründet und nach ihm Königsberg genannt. Sie entstand in Verbindung mit den Kreuzzügen nach Norden."
Die angeblichen Ansprüche Tschechiens auf das Kaliningrader Gebiet sind also aus dem Mittelalter herbeigezogen, die Absurdität ist augenscheinlich. Die Kralovec-Satire will Putins Vorgehen entlarven, ohne dabei zynisch zu sein.
Auch Ukrainerinnen und Ukrainer sind vor die russische Botschaft gezogen. Die Studenten rund um Tomas Kotrous stehen mit Dissidenten aus Russland in Kontakt. Und sie arbeiten mit der tschechischen Spendenkampagne "Ein Geschenk für Putin" zusammen. Die schickt der Ukraine gerade den Kampfpanzer Tomas, der in Tschechien generalüberholt wurde.
Beste Waffe: die Satire
Für andere Waffen sind bei dem gespielten Referendum umgerechnet 4500 Euro eingesammelt worden. Waffen seien wichtig, sagt Kotrous, seine Waffe sei die Satire.
Humor ist der beste Weg, um totalitäre Staaten zu bekämpfen, findet Kotrous. Und darin haben die Tschechinnen und Tschechen Übung. Die Figur des guten Soldaten Švejkvon Jaroslav Hasek mäandert durch die Absurditäten des 1. Weltkriegs. Auch an die Tradition studentischer Happenings aus den 1930er Jahren erinnern derzeit vieles.
Sie ist verbunden mit dem Begriff recese, der nicht zu übersetzen ist mit Rezession, sondern eine spezielle Variante des tschechischen Humors, besonders des absurden Theaters, beschreibt. Sie hat die kommunistische Diktatur überstanden und ist nun um ein Kapitel reicher – das der recese Kralovec.