Die Nazi-Besatzung als Reality Show
70 Jahre nach Kriegsende zeigt das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Tschechien die Show "Urlaub im Protektorat". Zweimal pro Woche können die Zuschauer das Leben einer Familie unter der NS-Herrschaft verfolgen. Vielen Tschechen gefällt das nicht.
"Stellen Sie sich vor, eben wurde das Protektorat Böhmen und Mähren" ausgerufen. Der Sender CT 1 verspricht im Werbetrailer spannende Unterhaltung mit besonderem Nervenkitzel. Im Fernsehsessel können die Zuschauer die Schrecken der NS-Herrschaft erleben.
Die Gestapo stürmt den Bauernhof in Nordmähren auf der Suche nach Waffen und Partisanen. Es kommt zum Wortgefecht zwischen den Schauspielern und der Fernseh-Familie.
Die dramatischen Szenen sind Teil der achtteiligen Serie "Urlaub im Protektorat". Nach einem umfangreichen Casting entscheiden sich die Produzenten für eine siebenköpfige Familie. Zwei Monate lang erleben sie anschließend für die Dreharbeiten den Alltag während der NS-Besatzung, so Regisseurin Zora Cejnkova:
"Sie mussten alle Bedingungen des Protektorats erfüllen. Zum Beispiel gab es nur wenig zu essen wegen der Lebensmittelkarten. Außerdem kamen zu ihnen Schauspieler als SS-Leute oder Partisanen. Die Familie hat von uns keine Verhaltensregeln bekommen. Sie haben ein echtes Leben im Protektorat geführt."
Tschechen sind wenig begeistert
Doch nach Ausstrahlung der ersten Folgen sind viele Zuschauer nur wenig begeistert von der historischen Reality-Serie. In E-Mails und Blog-Einträgen wird die Verschwendung von Gebührengeldern kritisiert Das Format sei dem schwierigen Thema nicht angemessen, meint auch diese Rentnerin in Prag:
"Ich habe diese Zeit als Kind miterlebt. Das ist ein sehr ernstes Thema. Wir brauchen darüber eine seriöse Berichterstattung, aber keine Reality-Show."
Doch Produzentin Lenka Polakova wehrt sich gegen die öffentliche Kritik. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte könne sich nicht allein auf trockene Diskussionen und historische Dokumentationen beschränken. "Urlaub im Protektorat" zeige bewusst nicht die große Politik in ihrem geschichtlichen Zusammenhang:
"Wir haben diese Serie gemacht, um den heutigen Zuschauern den Alltag der Menschen in der damaligen Zeit zu zeigen. Es geht um die Realität der damaligen Generation."
Kritik an fehlender historischer Aufarbeitung
In den meisten Medien jedoch wird die fehlende historische Aufarbeitung der Vergangenheit angeprangert. Die Serie wirke wie ein zu lang geratener Werbespot für Ökotourismus, schreibt die Zeitung Mlada Fronta. Ein Amateurtheater ohne jeglichen Bezug zur damaligen Situation. Die angebliche Angst der Laiendarsteller vor der SS wirke künstlich – denn am Ende warte nicht die Gestapo-Haft, sondern das Preisgeld von immerhin 36 000 Euro. Mit einer Einschaltquote von 16 Prozent blieben die ersten Folgen weit unter den hochgesteckten Erwartungen der Produzenten.