Furcht vor den Feinden aus der Heimat
Die Gemeinschaft der Tschetschenen in Deutschland hat sich gewandelt. Neben Kriegsflüchtlingen, die seit mehreren Jahren im Land sind, befinden sich hier offenbar auch Vertraute des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow. Diese Tschetschenen bedrohen jetzt die Flüchtlinge, die sich vor Kadyrows Gewalt eigentlich in Sicherheit bringen wollten.
Der Literarische Salon von Ekkehard Maaß im Prenzlauer Berg ist tschetschenischen Flüchtlingen in Berlin ein Begriff, wegen der Musik und Poesie aus ihrer Heimat, vor allem aber, weil Ekkehard Maaß als Helfer in Not einen Namen hat. Neuerdings stellt er eine große Nervosität unter den Tschetschenen fest. Rubati Midsajewa, die vor dem Tschetschenienkrieg 1996 geflohen ist, wurde kürzlich in Berlin bedroht. Von Landsleuten. Ekkehard Maaß sorgt sich.
"Wir haben sie schon zeitweilig unter Polizeischutz gestellt, weil sie von diesen Leuten auch schon massiv bedroht wurde. Sie kam aus ihrem Haus und da kamen aus den Hausecken zwei Leute, einer von rechts, einer von links und bedrohen sie: Wenn du so weitermachst, wirst du nicht mehr lange leben."
Opfer mit gespaltenen Schädeldecken
Die Männer, die der Menschenrechtsaktivistin Angst einjagten, sind vermutlich Vertraute des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, der berüchtigt ist für die Brutalität gegen Oppositionelle und Aktivisten aus der Zivilgesellschaft. Rubati Midsajewa floh, um ihre Traumata zu überwinden, Ekkehard Maaß will sie schützen, denn er kennt ihr Leid.
"Rubati Mitsajewa hat die Verwundeten von den Schlachtfeldern gesammelt. Nicht nur die Tschetschenen, auch die Russen. Sie haben sie behandelt. Und sie hat etwas Furchtbares erlebt. Während sie ein tschetschenisches Mädchen, das verwundet worden war, zu einem Krankenhaus brachte, hat sie ihre zweijähriges Kind alleine in der Wohnung gelassen und als sie wiederkam hing das ohne Kopf mit den Beinen an der Lampe.
Sie hat schreckliche Sachen erlebt. Sie war über ein Jahr in russischer Gefangenschaft, ihr wurden die Fingernägel ausgezogen, die Zähne ausgeschlagen, sie hat im Gefängnis ein Kind geboren. Sie ist sehr belastet. Aber sie setzt sich sehr für ihre Landsleute ein, und sie würde ich als die Gefährdetste hier ansehen."
Auch Apti Bislutanow, tschetschenischer Poet, dessen Gedichte Ekkehard Maaß ins deutsche überträgt, fühlt sich in Berlin nicht mehr sicher.
"Sie sind in der Lage, auf grausame und harte Weise zu töten. Das ist bekannt. Sollte es zum Beispiel die Situation in der Ukraine erforderlich machen, sollte eine Niederlage drohen, werden sie alles unternehmen, um davon abzulenken. Ich weiß, dass ich ein potentielles Ziel für sie bin, denn ich bin einer der wenigen Führer des tschetschenischen Unabhängigkeitskampfes von damals. Und damit bin ich für sie ein Störfaktor."
Mindestens zwei Kadyrow-Vertraute leben in Berlin, offiziell als Flüchtlinge. Tatsächlich aber reisen sie häufig nach Tschetschenien, treffen sich dort mit Kadyrow, vor dem sie angeblich doch geflohen sind. Sie lassen sich mit Kadyrow fotografieren und sogar Orden verleihen.
"Jemand, der auf den Internetseiten der tschetschenischen Regierung ständig zu sehen ist, Arm in Arm mit Kadyrow, der von Kadyrow eine Orden erhält, der gehört ausgewiesen, der gehört hier nicht mehr in die Flüchtlingslandschaft Deutschlands."
Im Literarischen Salon von Ekkehard Maaß wartet auch Asan Chadschijew. Der Tschetschene hält zwei Farbfotos in der Hand, die zwei seiner Neffen zeigen. Tot. Mit gespaltenen Schädeldecken. Opfer von Kadyrow-Schergen. Erschlagen zu Hause in der russischen Teilrepublik Tschetschenien.
"Die Kadyrow-Leute hier beunruhigen uns", sagt er.
"Sie kennen unsere Adressen, aber, noch schlimmer, die unserer Verwandten in Tschetschenien. Ich habe meine Neffen gewarnt, dass man sie verhaften wird. Aber das man ihnen gleich die Schädel einschlägt. In Tschetschenen herrscht absolute Gesetzlosigkeit. Diese Putin-Bande. Das ist doch keine Regierung. Äußerlich scheint sich alles zu entwickeln, es wird gebaut, aber innendrin verrottet das System."
Fäuste schwingen für den Präsidenten
Kadyrows Leute stehen nicht nur im Ruf, in Tschetschenien zu morden, sondern auch im Ausland. Die Nachricht, dass sie auch in Berlin Jagd auf vermeintliche Gegner machen, kursiert auch im Flüchtlingszentrum Berlin-Moabit, in dem Marina Napruschkina Tschetschenen betreut.
"Also wir hatten mehrere Familien, wo die Männer panische Angst haben und behauptet haben, dass sie hier verfolgt werden in Deutschland."
Die meisten Tschetschenen sind über Polen eingereist, von wo aus sie weiter nach Deutschland geflohen sind, keineswegs nur aus wirtschaftlichen Gründen. Sie zittern, womöglich über die Oder zurückgeschickt zu werden, sagt Marian Napruschkina.
"Sie haben panische Angst, nach Polen abgeschoben zu werden, weil sie da gar keinen Schutz haben, die Kadyrow-Leute kommen bis nach Polen und es gibt Fälle, wo die Polen dann einfach verschwunden sind, wo die Leute dann nach Tschetschenien mitgenommen werden."
Wenn der Boxer Rusland Tschagajew zu einem Kampf nach Deutschland kommt, gehen hiesige Flüchtlinge in Deckung. Denn dann folgt dem Box-Schwergewicht seine tschetschenische Fangemeinde, darunter viele aus der Kadyrow-Umgebung. Der Boxer Chagajew ist zwar Usbeke, doch seine Fäuste schwingt er für den tschetschenischen Präsidenten, erklärt Ekkehard Maaß.
"Er kämpft in dem Boxverein 'Achmat', der von Kadyrow finanziert wird. Und der Name sagt das ja schon, das ist der Name des Vaters von Kadyrow. Und organisiert wird das alles von dem offiziellen Vertreter Kadyrows in Deutschland, diesem Dokusajew, dessen beide Leibwächter hier in Berlin wohnen und den Flüchtlingsstatus bekamen. Und wenn hier ein solcher Boxkampf ist, dann reisen ohne Probleme Kadyrows Parlamentsvorsitzender, der Chef seiner Leibgarde, und seine Politiker ungehindert an, um dem Boxkampf beizuwohnen, ohne dass sie daran gehindert werden."
Das Bundesamt für Migration prüft konkrete Verdachtsfälle von Asylmissbrauch, Auskünfte über Einzelfälle erteilt das Amt nicht.