Angstmache oder berechtigte Kritik?
Mit einem Aktionstag demonstriert der Deutsche Kulturrat gegen das Freihandelsabkommen TTIP. Dessen Geschäftsführer Olaf Zimmermann glaubt nicht, dass der Kulturbereich von den Verhandlungen ausgenommen ist. FDP-Politiker Michael Theurer sieht das als "Angstmache" an.
Der FDP-Landesvorsitzende für Baden-Württemberg und EU-Parlamentarier, Michael Theurer, hat am heutigen, vom Deutschen Kulturrat initiierten Aktionstag "Kultur braucht kein TTIP" die Verhandlungen zwischen Europa und den USA gegen Kritik verteidigt.
So seien bei diesen Verhandlungen die audio-visuellen Dienstleistungen wie etwa der öffentlich-rechtliche Rundfunk von vornherein ausgenommen worden, sagte Theurer im Deutschlandradio Kultur:
"Die Frage ist: Was wird am Ende in dem Abkommen drinstehen? Das ist noch gar nicht klar. Aber eines ist klar: Das ist eine Frage der Abgrenzung. Was kommt rein, was kommt nicht rein? Die Kommission jedenfalls hat uns versichert, dass zum Beispiel die Buchpreisbindung durch TTIP nicht gefährdet ist."
Er sehe auch keine Gefahr für den Bestand von Museen, betonte Theurer:
"Die Daseinsvorsorge, auch die Gesetze der Europäischen Union, sind gesichert."
Er verwies darauf, dass die vielfältige Theaterlandschaft Deutschlands durch Steuereinahmen und einer florierenden Wirtschaft finanziert werde:
"Von daher sollten wir in einem exportorientierten Land wie Deutschland im Auge behalten, dass wir auf Freihandel angewiesen sind wie keine andere Nation."
Die USA möchte eine Liberalisierung des Kulturbereichs
Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, widersprach diesen Äußerungen im Streitgespräch:
"Das stimmt einfach so nicht."
Die audio-visuellen Dienstleistungen seien zwar tatsächlich ausgenommen. Doch es sei nie genau geklärt worden, was das für Dienstleistungen seien. So ordneten die Amerikaner zum Beispiel den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dem Bereich der Telekommunikation zu:
"Deswegen muss selbstverständlich darüber verhandelt werden. Und deswegen hilft es uns überhaupt nichts, wenn wir Beschwörungsformeln der Europäischen Kommission hören , die dann sagt: 'Die Buchpreisbindung ist nicht gefährdet.' Sie kann es noch gar nicht wissen. Das heißt, die Verhandlungen laufen im Moment gerade."
Man wisse eben nicht, was in den abschließenden Verträgen stehen werde, äußerte Zimmermann. Klar sei aber, dass der Kulturbereich nicht aus den Verhandlungen ausgenommen worden sei:
"Und es gibt ein großes Interesse, gerade der Amerikaner, Liberalisierung im Kulturbereich zu erreichen, damit sie einen besseren Marktzugang in Europa haben."
Es sei noch nicht einmal klar, ob der Deutsche Bundestag und der Bundesrat überhaupt über das Ergebnis der TTIP-Verhandlungen abstimmten dürften, meinte Zimmermann.
Dem widersprach Theurer: Es sei völlig normal, dass eine Exekutive verhandele:
"Das Europäische Parlament muss dem Abkommen zustimmen. Wenn wir nicht zustimmen, tritt es auch nicht in Kraft. Auch die nationalen Parlamente werden wahrscheinlich, weil es ein geteiltes Abkommen ist, zustimmen müssen."
Die pauschale Kritik des Deutschen Kulturrats sei "unredlich":
"Da wird Angstmache betrieben, das sei alles intransparent. Das kann ich nicht nachvollziehen."
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: "Kultur braucht kein TTIP", das ist der sehr starke Slogan des Deutschen Kulturrats für seinen heutigen Aktionstag gegen TTIP, also gegen das Transatlantische Freihandelsabkommen, das gerade zwischen der EU und den USA verhandelt wird. Was kritisieren die Kulturschaffenden? Weniger das Chlorhühnchen oder die sogenannten Schiedsgerichte, an denen Firmen ja Staaten verklagen könnten, sondern man sorgt sich um die Förderung der Kultur, dass sie Marktgesetzen unterworfen würde, also zum Beispiel die Abschaffung der Buchpreisbindung oder der Filmförderung.
Und deshalb fordern viele Kulturschaffende, den kulturellen Bereich aus den TTIP-Verhandlungen komplett auszuklammern. Alles Unsinn, sagen die Kritiker: Kein Museum wäre durch TTIP-gefährdet und auch kein Film! Wie gesagt, die Meinungen sind sehr konträr zum Thema TTIP, gerade im Kulturbereich. Und wir wollen die Positionen jetzt mal hier in "Studio 9" sortieren. Und zwar mit Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, der organisiert ja den Aktionstag gegen TTIP heute. Und mit dem FDP-Landesvorsitzenden aus Baden-Württemberg Michael Theurer, er sitzt im Europaparlament im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Ich grüße Sie, meine Herren!
Olaf Zimmermann: Einen schönen guten Morgen!
Michael Theurer: Ja, guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Herr Theurer, was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile von TTIP für den Kulturbereich?
Theurer: Heute ist ja der Tag der kulturellen Vielfalt. Und die Europäische Union hält ja auch mit ihrem Sprachenregime – 23 Amtssprachen – sehr viel auf die kulturelle Vielfalt. Klar ist, das Freihandelsabkommen mit den USA wird nicht verhandelt vonseiten der Europäischen Union mit dem Schwerpunkt auf die Kultur, die ja auch in der Gesamtwirtschaftsleistung nur einen relativ kleinen Anteil hat von ca. zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Deshalb hat ja das Europäische Parlament auch darauf gedrängt, die audiovisuellen Dienstleistungen, also zum Beispiel im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, von vornherein auszunehmen. Die Frage ist, was wird am Ende in dem Abkommen drinstehen? Das ist noch gar nicht klar. Aber eins ist klar, dass es eine Frage der Abgrenzung ist, was kommt rein, was kommt nicht rein. Die Kommission jedenfalls hat uns versichert, auch schriftlich – das kann man auf der Homepage nachlesen –, dass zum Beispiel die Buchpreisbindung durch TTIP nicht gefährdet ist.
Die Gesetze der Europäischen Union sind gesichert
Brink: Auch nicht die Förderung von Museen oder die Filmförderung?
Theurer: Nein, auch nicht die Förderung von Museen, die Daseinsvorsorge, auch die Gesetze der Europäischen Union, sind gesichert. Und im Gegenteil wird dadurch ein Schuh draus: Woher wird denn die Subventionierung, werden die Zuschüsse für unsere vielfältige Theaterlandschaft finanziert? Die wird ja finanziert durch die Steuereinnahmen, die nur generiert werden können, wenn es Arbeitsplätze gibt, also sprich, wenn die Wirtschaft läuft. Und von daher sollten wir in einem exportorientierten Land wie Deutschland im Auge behalten, dass wir auf Freihandel angewiesen sind wie keine andere Nation.
Brink: Herr Zimmermann, wenn das alles so ist, also, wenn Sie diese Versicherungen jetzt hören vonseiten Herrn Theurers, warum regen Sie sich dann so auf? Oder worüber regen Sie sich auf?
Brink: Weil es einfach so, zumindest so einfach nicht stimmt. Erst mal hat niemand etwas gegen freien Handel, im Kulturbereich schon gar nicht, weil, da hat Herr Theurer recht, da leben wir auch von. Aber man muss sich die Sache schon ein bisschen genauer anschauen! Er hat ja eben ein Beispiel genannt, die sogenannten audio-visuellen Dienstleistungen seien ausgenommen. Das heißt, dort haben mal die europäischen Staaten gesagt, wie sie der Europäischen Kommission das Verhandlungsmandat gegeben hatten, darüber verhandelt ihr nicht. Aber da ist nie geklärt worden, was sind die denn überhaupt, diese Dienstleistungen.
Und so sagen die Amerikaner zum Beispiel: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der uns sehr nahesteht, der für uns ein ganz wichtiger Kulturträger ist, der ist gar nicht eine audio-visuelle Dienstleistung. Sondern die Amerikaner sagen, das ist Telekommunikation und deswegen muss selbstverständlich darüber verhandelt werden. Und deswegen hilft es uns überhaupt nichts, wenn wir Beschwörungsformeln der Europäischen Kommission hören, die dann sagt, die Buchpreisbindung ist nicht gefährdet. Sie kann es noch gar nicht wissen!
Das heißt, die Verhandlungen laufen im Moment gerade, es wird gerade über diese Bereiche diskutiert, und wir wissen eben nicht – das ist ein ganz großes Problem –, wir wissen nicht, was nachher in den abschließenden Verträgen steht. Aber der Kulturbereich ist eben nicht aus den Verhandlungen ausgenommen. Und es gibt ein großes Interesse gerade der Amerikaner, Liberalisierung im Kulturbereich zu erreichen, damit sie einen besseren Marktzugang in Europa haben.
Die Verhandlungen laufen noch
Brink: Aber es geht ja für uns auch um Werte. Sie haben es genannt, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, wen könnte das mehr interessieren als uns zum Beispiel auch, oder die Buchpreisbindung. Es ist klar, die Verhandlungen laufen noch, es kann kein Ergebnis geben. Aber Sie hören ja die Beteuerungen zum Beispiel von Herrn Theurer, nach dem Motto: Wir haben ein klares Mandat erteilt, wir wollen das nicht!
Zimmermann: Na gut, aber diese Beteuerungen kann man so letztendlich nicht wirklich abgeben. Es ist ja allen auch noch nicht klar, über was wie verhandelt wird. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor. Es ist ja noch nicht einmal klar, ob unser nationales Parlament, das heißt der Deutsche Bundestag und der Bundesrat – das müsste einen Baden-Württemberger ja ganz besonders interessieren – überhaupt darüber abstimmen dürfen nachher, über das Ergebnis, was dann vorliegt.
Und die Kultur ist einfach im Fokus dieser Verhandlungen, weil man eine andere Verhandlungsarchitektur dieses Mal gewählt hat. Früher hat man den Kulturbereich automatisch ausgenommen bei solchen Verhandlungen, da hat man nach sogenannten Positiv-Listen verhandelt. Jetzt hat man das umgedreht, jetzt kann man den Kulturbereich gar nicht ausnehmen. Und deswegen ... Ich bestreite ja nicht, dass die Leute, glaube ich, den Kulturbereich gar nicht in den Fokus unbedingt mittig hineinstellen wollen. Aber sie können ihn gar nicht ausnehmen. Das macht uns so große Sorgen.
Brink: Herr Theurer, warum haben Sie nicht darauf gedrängt?
Theurer: Da gab es eine starke Diskussion drüber, mit was man in die Verhandlungen hineingeht. Die allgemeine Kritik an den Verhandlungen in Deutschland gegenüber dem TTIP-Abkommen teile ich nicht. Es ist völlig normal, dass eine Exekutive verhandelt, das war auch früher, bevor es die EU-Kommission gemacht hat, so, dass die Regierung verhandelt und anschließend das Parlament dann verabschiedet.
Das Europäische Parlament muss dem Abkommen zustimmen. Wenn wir nicht zustimmen, tritt es auch nicht in Kraft. Auch die nationalen Parlamente werden wahrscheinlich, weil es ein geteiltes Abkommen ist, zustimmen müssen. Und da ist die pauschale Kritik des Deutschen Kulturrats nach meinem Dafürhalten unredlich, da wird Angstmache betrieben, das sei alles intransparent. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Ist das Verfahren transparent?
Zimmermann: Es ist intransparent. Es behauptet niemand, dass es transparent wäre!
Theurer: Nein, es ist nicht intransparent, denn wir haben eine Gewaltenteilung. Also, nehmen Sie mal das Beispiel in der Gemeinde: Wenn gerade eine Stadtverwaltung ein Grundstück kauft, dann verhandelt auch nicht der Gemeinderat. Es ist ein Irrsinn zu glauben, es könnten Nicht-Regierungsorganisationen oder Parlamente ein Freihandelsabkommen verhandeln. Es ist völlig in Ordnung, dass das die Regierung macht, in dem Fall die Europäische Kommission.
Es tritt ja dann auch erst in Kraft, wenn es demokratisch legitimiert ist. Wir haben als Liberale im Europäischen Parlament gefordert und dann auch durchgesetzt, dass für die Europäer das transparent ist, die Europäische Kommission stellt alles ins Internet. Und in der Podiumsdiskussion in Washington zum Beispiel haben dort die vertretenen Nichtregierungsorganisationen von der amerikanischen Regierung gefordert, dass soe genauso transparent sein solle wie die Europäische Kommission.
Brink: Gut, das machen sie aber nicht, weil die Amerikaner eine völlig andere Haltung auch zu diesen Dingen haben. Herr Zimmermann, reicht Ihnen das nicht an Transparenz?
Die Rolle der nationalen Parlamente
Zimmermann: Nein. Also, ich glaube, das wird auch von niemand eigentlich ernsthaft gesagt, dass wir bei diesen Verhandlungen genügend Transparenz haben. Es geht um unglaublich viel, in unserem Bereich, in vielen anderen Bereichen. Es ist unglaublich, dass die nationalen Parlamente darüber entscheiden dürfen. Aber selbst wenn sie entscheiden dürfen, ist eines klar: Man wird ja nicht mehr die Verhandlungen dann auseinanderpflücken können und einzelne Bereiche neu diskutieren können, sondern dann wird man nur noch Ja oder Nein sagen können zu einem solchen Verhandlungspaket. Nur deswegen muss man, glaube ich, einfach sehen, dass, ...
Theurer: Das ist falsch, Herr Zimmermann!
Zimmermann: ... wenn man ein solches wichtiges Papier verhandelt und wenn man so in die Lebensbereiche von vielen Menschen, vielen Bereichen, auch in unseren Kulturbereich eingreift, dann muss man anders verhandeln. Dann muss man offen die Sachen auf den Tisch legen. Gerade ist es ja bekannt geworden, dass die Amerikaner noch nicht einmal dem deutschen Bundestagsabgeordneten in ihrem sogenannten Leseraum in Berlin, in der amerikanischen Botschaft, den Zugang zu den Papieren gewähren wollen. Also, noch nicht einmal unseren gewählten Volksvertretern will man den Zugang gewähren. Solange dieser Mindeststandard an Transparenz nicht gewahrt ist, finde ich, kann man einer solchen Verhandlung nicht zustimmen.
Theurer: Die Aussage von Herrn Zimmermann ist insofern falsch: Wir können natürlich hinterher sagen, das wollen wir nicht. Dann muss nachverhandelt werden. Der US-Kongress beispielsweise hat es bei dem Südkorea-Abkommen gemacht, weil die Europäer bessere Konditionen verhandelt haben.
Und wenn zum Beispiel bei der Buchpreisbindung ausländische Anbieter nicht diskriminiert werden, kann die Buchpreisbindung auch in Zukunft bestehen bleiben. Also, diese ganzen Punkte – öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Subventionen für Theater und Opern und auch die Buchpreisbindung – sehen wir absolut nicht gefährdet durch das Freihandelsabkommen.
Brink: Also, da gibt es noch viel Gesprächsstoff, meine Herren! Ich danke Ihnen sehr, Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, und Michael Theurer. Er sitzt im Europaparlament im Ausschuss für Wirtschaft und Währung für die FDP. Ich danke Ihnen, meine Herren! Und die Diskussion wird in jedem Falle weitergehen, auch hier bei uns in "Studio 9".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.