Apokalyptiker von links und rechts
Es steht eins zu null für die Freihandelsapokalyptiker. Doch die Kritik grenzt teilweise an Hysterie. Die Bundesregierung hat die Chance zu beweisen, dass die transatlantische Partnerschaft tatsächlich auf der Gemeinsamkeit von Werten beruht, meint Stephan Detjen.
"Die erste Runde haben wir verloren", gestand ein Akteur der transatlantischen Freihandelsverhandlungen dieser Tage ein. Die erste Runde: Das war der Versuch, in kleinen und klandestinen Expertenkreisen ein schwer überschaubares Dickicht von staatlichen Regulierungen, Industriestandards, Verbraucher- und Arbeitsschutzvorschriften zunächst einmal zu sichten und dann soweit als möglich aneinander anzupassen. Doch was die Unterhändler in Brüssel ebenso wie die Bundesregierung völlig unterschätzt hatten, war das Potential an Verunsicherung und Angst, dass sich mit der Dämonisierung der Freihandelsidee mobilisieren lässt.
Wenn es nach der bis ins hysterische gehenden Kritik daran geht, steht uns eine kollektive Nahrungsmittelvergiftung, die Schließung aller Staatsopern und Stadttheater sowie eine Übernahme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Hollywood bevor. Die Abschaffung deutscher Volksmusik wäre wahrscheinlich noch das geringste Übel. Es steht jedenfalls eins zu null für die Freihandelsapokalyptiker. Sigmar Gabriel hatte heute im Bundestag Recht mit seiner Beobachtung, dass sich an den extremen Rändern des Spektrums der Kritik linker Antiamerikanismus und der neue Nationalpopulismus der AfD die Hand reichen. Die Befürworter des Freihandels mussten heute im Bundestag aus der Defensive argumentieren.
Dass EU-Kommission und Bundesregierung inzwischen eine Transparenz- und Informationsoffensive gestartet haben, schafft im Augenblick kaum mehr als die Möglichkeit, die Aussicht auf einen Abschluss der Freihandelsabkommen überhaupt zu retten. Um den dafür nötigen Stimmungsumschwung zu befördern, hat die Bundesregierung bereits einige wichtige Frontbegradigungen vorgenommen. Vizekanzler Gabriel kündigte heute sogar an, Nachverhandlungen bei dem bereits fertigen Entwurf für das europäisch-kanadische Abkommen zu verlangen, das morgen vorgestellt werden soll.
Schiedsgerichte sind kein Teufelszeug
Dabei sind die Klauseln über transatlantische Schiedsgerichte, die Gabriel revidieren möchte, keineswegs jenes rechtsstaatliche Teufelswerk, als das sie von den Kritikern diffamiert werden. Weite Teile des internationalen Handelsrechts werden bereits heute durch weltweit akzeptierte Vertragskonventionen geregelt, über deren Auslegung von beiden Seiten bestimmte Schiedsgerichte entscheiden. Dass staatliche Gerichte, die allein nationalen Rechtsordnungen verpflichtet sind, dazu von vornherein besser in der Lage sind, kann mit guten Gründen in Frage gestellt werden.
Auf solche Argumente aber wagt sich die Bundesregierung aus Angst vor neuen Aufwallungen der Kritik schon gar nicht mehr einzulassen. Es geht im Augenblick darum, zu retten, was zu retten ist. Das ist nicht allein die Aussicht, durch den Wegfall von Handelsbarrieren Arbeitsplätze zu schaffen, neue Märkte zu erschließen und ausländische Investoren in ein krisengeschütteltes Europa anzulocken. Es ist auch die Chance zu beweisen, dass die transatlantische Partnerschaft tatsächlich auf der Gemeinsamkeit von Werten beruht, die nicht nur auf den militärischen Schlachtfeldern dieser Tage, sondern auch im Alltag des Arbeitens, Produzierens und Handelns besteht.