"Wir brauchen Schutzmaßnahmen"
Auch die Bundesregierung macht sich jetzt für Schutzmechanismen im Bereich Kultur und Medien im TTIP-Abkommen stark, die Gefahr für die kulturelle Vielfalt sei damit aber nicht vom Tisch, meint Kulturrats-Geschäftsführer Olaf Zimmermann.
In Berlin wollen heute zehntausende Menschen gegen das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP auf die Straße gehen. Die Organisatoren rechnen mit 50.000 Teilnehmern aus ganz Deutschland. Getragen wird der Protest von Umwelt- und Verbraucherschützern, Sozialverbänden und Gewerkschaften sowie dem Deutschen Kulturrat, dem Spitzenverband der Bundeskulturverbände.
Der Deutsche Kulturrat dringt weiter auf Schutzmaßnahmen für den Kultur- und Medienbereich im geplanten Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA .
"Wir werden in Konkurrenz gestellt zu den ganz großen Anbietern in den Vereinigten Staaten, also von Google, Amazon, Apple (...) und da brauchen wir einfach Schutzmaßnahmen", sagte Rats-Geschäftsführer Olaf Zimmermann im Deutschlandradio Kultur. Das von der Bundesregierung jetzt vorgelegte Positionspapier zur kommenden TTIP-Verhandlungsrunde, in dem die Bundesregierung auf rechtlich wirksame Schutzmechanismen im Bereich Kultur und Medien drängt, sei als Wendepunkt in der Politik der Bundesregierung zu begrüßen. Damit erkenne die Bundesregierung endlich an, dass der Kultur- und Medienbereich durch das Freihandelsabkommen gefährdet sei. Das Problem sei damit aber noch nicht gelöst und der heutige Protest weiter notwendig, um europäische Kultur dauerhaft zu erhalten. "Es geht darum, ob wir es hinbekommen, ob wir eine gewisse europäische Kultur auch dauerhaft letztendlich produzieren können," erklärte Zimmermann.
TTIP wird den Marktdruck auf die europäische Kultur weiter verstärken
Hauptanliegen der Freihandelsabkommen TTIP und CETA sei der Abbau von Handelshemmnissen, allerdings seien im Bereich der Kultur in Deutschland solche Handelshemmnisse "gewollte Handelshemmnisse, die man künstlich eingebaut hat, damit man eine kulturelle Vielfalt ermöglichen kann", erklärte Zimmermann weiter. Die öffentliche Finanzierung von Museen, Theatern oder Opern oder die Buchpreisbindung sichere beispielsweise den Erhalt vieler verschiedener Buchhandlungen im Land oder Veröffentlichungen zunächst unbekannter, noch nicht marktgängiger Autoren. "Wir leisten uns eine große kulturelle Vielfalt und sind deswegen letztendlich auch eine Kulturnation (...) Wir haben ein sehr unterschiedliches Verständnis davon, was kulturelle Vielfalt erst ermöglicht", betonte Zimmermann. Der bereits vorhandene Marktdruck auf die europäische Kultur werde durch die geplanten Freihandelsabkommen noch einmal verstärkt, "und dass wir uns dagegen wehren wollen, ist mehr als nur legitim."
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Meinungsvielfalt sichern, Buchpreisbindung erhalten, Museen und Theater weiterhin fördern. All das soll möglich sein, auch wenn die Freihandelsabkommen mit den USA und mit Kanada abgeschlossen sind. So sieht es zumindest ein Positionspapier der Bundesregierung vor. Ungeachtet dessen ruft heute ein Bündnis zur Demonstration gegen eben jene Freihandelsabkommen auf, gegen TTIP und CETA. Dazu aufgerufen hat unter anderem auch der Deutsche Kulturrat, das ist der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, in dem sich fast 250 Bundeskulturverbände und Organisationen angeschlossen haben. ARD und ZDF sind mit dabei, die Tanzlehrer, die Kunstlehrer, Architekten und Übersetzer, also ein breites Bündnis sogenannter Kulturschaffender. Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates ist Olaf Zimmermann. Guten Morgen!
Olaf Zimmermann: Einen schönen guten Morgen!
Welty: Sie kennen das Positionspapier der Bundesregierung, sie haben es auch begrüßt. Eigentlich könnten Sie sich doch jetzt gemütlich zurücklehnen und die Demonstration für heute absagen, oder?
"Die Bundesregierung erkennt jetzt zumindest an, dass es ein Problem gibt"
Zimmermann: Schön wäre es. Erst mal freue ich mich, dass es dieses Positionspapier gibt. Wir haben zwei Jahre darum gekämpft, weil bislang die Bundesregierung ja immer behauptet hat, der Kultur- und Medienbereich ist von TTIP und von CETA gar nicht betroffen. Jetzt schreibt sie selbst, dass man passgenaue, konkrete und rechtsverbindliche Vorkehrungen treffen muss, damit man den Kultur- und Medienbereich vor diesem Freihandelsabkommen schützt. Das heißt, wenn Sie so wollen, jetzt den ersten Schritt getan. Der Protest hat gewirkt. Die Bundesregierung erkennt jetzt zumindest an, dass es ein Problem gibt, aber damit ist das Problem natürlich noch nicht gelöst, und deswegen ist es gut, dass wir heute noch mal auf die Straße gehen.
Welty: Wenn wir uns mal des Pudels Kern dieses Problems nähern wollen – wo liegt das Hauptproblem mit TTIP, CETA und der Kultur?
Gewollte Handelshemmnisse ermöglichen kulturelle Vielfalt
Zimmermann: Das Hauptproblem liegt einfach daran, dass diese Freihandelsabkommen eine bestimmte Grundidee haben. Die wollen sogenannte Handelshemmnisse abbauen. Das hört sich ja erst mal ganz positiv an, Handelshemmnisse abzubauen. Aber bei uns sind diese Handelshemmnisse gewollte Handelshemmnisse, die man nämlich künstlich eingebaut hat, damit man eine kulturelle Vielfalt ermöglichen kann, also zum Beispiel die öffentliche Kulturfinanzierung ist im Sinne eines solchen Freihandelsabkommens ein Handelshemmnisse. Oder die Buchpreisbindung ist im Sinne eines solchen Freihandelsabkommens ein Handelshemmnis. Aber für uns ist das der Garant, dass es überhaupt öffentlich geförderte Kultur gibt, dass es eine Vielfalt an Kultur gibt, dass Sie viele Buchhandlungen im Land haben. Also, wir haben ein unterschiedliches Verständnis davon, was letztendlich kulturelle Vielfalt erst ermöglicht.
Welty: Was ist so wertvoll an einem Film, den keiner sehen möchte, oder an einem Buch, das keiner lesen will?
Zimmermann: Na gut – wenn es so einfach wäre. Ich glaube schon, wir müssen gerade im Kulturbereich das fördern, was es auch besonders schwer hat, weil möglicherweise ist der Autor, der heute noch ein Buch schreibt, was noch nicht so marktgängig ist, dass es also ein Bestseller wird, trotzdem auch der Autor von morgen. Wir leisten uns letztendlich eine große kulturelle Vielfalt und sind deswegen, glaube ich, auch wirklich eine Kulturnation. Dafür müssen wir auch etwas investieren, und das kann nicht immer nur das Marktgängige sein. Aber mir ist es ganz wichtig. Gerade TTIP und CETA, also die beiden Freihandelsabkommen, die wollen ja auch den Markt regulieren, dort wo wir auch einen funktionierenden Kulturmarkt haben – und da werden wir in Konkurrenz gestellt zu den ganz großen Anbietern in den Vereinigten Staaten von Amerika, also von Google, Amazon, Apple. Und das wird für uns ganz schwer werden, da brauchen wir einfach Schutzmaßnahmen.
Welty: Aber steckt dahinter nicht auch ein recht integriertes Weltbild, nämlich dass die Europäer und vor allem die Deutschen die gute Kultur machen und die Amerikaner die schlechte, weil kommerzielle Kultur?
Zimmermann: Nein, überhaupt nicht. Ich liebe Hollywood-Filme, aber ich möchte nicht nur Hollywood-Filme sehen.
Welty: Ja, die gibt es in Amerika ja auch nicht nur.
Dem sowieso vorhandenen Marktdruck etwas entgegensetzen
Zimmermann: Nein, vollkommen richtig. Aber es geht letztendlich darum, ob wir es hinbekommen, dass wir letztendlich eine gewisse europäische Kultur auch dauerhaft letztendlich überhaupt produzieren können oder ob wir uns auch letztendlich diesem Marktdruck, der ja einfach da ist, ob wir uns dem ein wenig entgegensetzen können. Diesen Marktdruck gibt es auch ohne TTIP und CETA, aber er wird durch diese Freihandelsabkommen noch einmal ganz besonders stark letztendlich vergrößert, und wenn wir uns dagegen wehren wollen, finde ich, ist das mehr als nur legitim.
Welty: Sie sagen, Kultur darf nicht nur Geschäft sein. Sie verweisen aber gleichzeitig darauf, wie wichtig Kultur für die deutsche Wirtschaft ist, weil eben in der Kulturwirtschaft mehr Menschen arbeiten als zum Beispiel in der Automobilindustrie. Wie passt das denn zusammen?
Zimmermann: Das passt ganz wunderbar zusammen. Wir haben zwei Teile der Kultur: Wir haben den ökonomischen Bereich, wir setzen im Kulturbereich im Jahr knapp 150 Milliarden Euro um. Wir sind eine der ganz großen Wirtschaftsbereiche, und deswegen wollen wir auch gerne, dass wir als ein solch großer Wirtschaftsbereich von der Bundesregierung auch einmal wahrgenommen werden. Da wird ständig die Automobilwirtschaft gepäppelt, da versucht man, jede Sonderleistung für diesen Markt letztendlich durchzuwinken, aber wenn es um die Kultur- und Kreativwirtschaft geht, dann sagt man, na ja, das ist uns eigentlich egal, da schauen wir mal an, dass wir uns einfach den Amerikanern anpassen. Wir wollen genauso behandelt werden wie die Automobilwirtschaft und die chemische Industrie behandelt wird. Dann hätten wir jetzt schon ganz andere Regeln und würden auch ganz anders über TTIP reden.
Welty: Eine kurze Schätzfrage: Für die heutige Demonstration erwarten die Veranstalter, also unter anderem Sie, 50.000 Teilnehmer. Was glauben Sie, wie viele wissen tatsächlich, worum es bei TTIP wirklich geht?
Zimmermann: Ich glaube, die Menschen, die heute demonstrieren, die diesen Weg auf sich nehmen, viele von denen sind heute Nacht schon in Bayern, in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein losgefahren...
Welty: Die lesen sich dann ein ...
Zimmermann: Bitte?
Welty: Die lesen sich dann noch mal ein während der Fahrt?
Zimmermann: Nein, nein. Die sind ja schon – also, wenn Sie – wissen Sie, wenn Sie mitten in der Nacht aufstehen, in einen Bus steigen oder in einen Zug steigen, um dann nach Berlin zu fahren, dann müssen Sie sich nicht erst einlesen, dann haben Sie sich schon informiert. Und ich glaube, dass wir heute eine großartige Demonstration hinbekommen. Und das wird eben auch ein Zeichen sein, dass die Menschen große Sorgen haben. Und wir erwarten einfach nur, dass diese Sorgen von der Bundesregierung endlich ernst genommen werden.
Welty: Heute wird gegen TTIP demonstriert. Dazu aufgerufen hat unter anderem der deutsche Kulturrat, mit dessen Geschäftsführer Olaf Zimmermann ich gesprochen habe. Danke dafür!
Zimmermann: Ich bedanke mich bei Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.