TTIP-Verhandlungen

"Schiedsgerichte gehören auf den Müllhaufen der Geschichte"

In einer Tasse mit einem EU-Symbol steckt eine US-Fahne, aufgenommen in einem Büro in Dresden.
Wie geht es weiter mit dem TTIP-Verhandlungen? © picture-alliance / dpa / Arno Burgi
Bernd Lange im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Eigentlich sollen die derzeit laufenden TTIP-Verhandlungen die letzte Sondierungsrunde sein, bevor dann ab Sommer Nägel mit Köpfen gemacht werden. Allerdings kommen die Verhandlungen nicht voran, auch nicht bei den umstrittenen Schiedsgerichten, kritisiert der SPD-Europapolitiker Bernd Lange.
Wieder einmal wird in Brüssel über TTIP verhandelt - und wieder einmal gehe es nicht voran, beklagt der Vorsitzende des Handelsausschusses der Europäischen Parlaments, Bernd Lange (SPD). Ihm zufolge liegt das an den USA: "Die wirklich heiklen Themen sind noch gar nicht angepackt. Also, wenn sich da die Vereinigten Staaten nicht bald bewegen, dann muss man wirklich darüber nachdenken, ob man da die Verhandlungen noch erfolgreich abschließen kann."

"Klar ist, dass wir keine Standards absenken"

Auch in der Frage der umstrittenen privaten Schiedsgerichte sei noch keine Einigung erzielt. Bisher gebe es lediglich "einen europäischen Vorschlag, und die amerikanische Seite denkt darüber nach". Der SPD-Politiker hält wenig von solchen Schiedsgerichten, vor denen ausländische Investoren klagen können, wenn sie durch Behördenentscheidungen ihre Investitionen in einem Land gefährdet sehen: Wenn die Frage der Diskriminierung ausländischer gegenüber inländischen Investoren gesondert behandelt werden solle, müsse das vor einem "normalen öffentlich bestellten Gericht sein mit klaren Prinzipien".
In der ebenfalls umstrittenen Frage der Angleichung von Verbraucherschutz- und Umweltstandards versichert der Vorsitzende des Handelsausschusses der Europäischen Parlaments: "Klar ist, dass wir keine Standards absenken." Keine Gefahr sieht Lange dagegen für die europäische Kulturförderung: Da könne nichts mehr anbrennen.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Eine riesengroße Wachstums- und Jobmaschine, das sagen die einen über TTIP, das geplante transatlantische Freihandelsabkommen zwischen EU und USA. Ein sozialer, ökologischer und kultureller Plattmacher, das sagen die anderen über das Vertragswerk. Seit gestern wird in Brüssel weiterverhandelt, die zwölfte Runde. Mit großem Interesse und dem wahrscheinlich einen oder anderen Blick hinter die Kulissen dabei ist Bernd Lange, Europaabgeordneter für die SPD und Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament, jetzt bei uns in "Studio 9", guten Morgen, Herr Lange!
Bernd Lange: Ja, guten Morgen!

"Die wirklich heiklen Themen sind noch gar nicht angepackt worden"

Frenzel: Wenn die Informationen stimmen, die herausgesickert sind, dann könnten Himbeeren in der Europäischen Union billiger werden, weil die Zölle fallen sollen. Können Sie sich darüber freuen?
Lange: Ja, das ist ja ein ganz kleines Beispiel. Also, die Zölle spielen nicht mehr die ganz große Rolle. Es gibt ein paar Ausnahmen, zum Beispiel auf Schuhe, die zum Beispiel aus Italien kommen, erheben die USA 56 Prozent Zoll. Also, da lohnt es sich, darüber zu reden. Aber das Wichtige beim Handelsabkommen sind natürlich die Fragen, ob man Standards gegenseitig anerkennen kann und ob man Regeln für den fairen Handel wie Arbeitnehmerrechte etablieren kann. Darum geht es.
Frenzel: Darüber werden wir gleich sprechen, aber erst mal zunächst die Frage, egal nun, ob man sich Himbeeren wünscht, die über den Atlantik geflogen sind, oder italienische Schuhe in Amerika: Haben Sie den Eindruck, dass das Abkommen vorankommt, dass die Verhandlungen vorankommen?
Lange: Nein, gar nicht. Also, wir haben ja von der europäischen Seite unsere Position, basierend auf unseren europäischen Werten und auch gerade als Antwort auf die vielen Befürchtungen, die in der Bevölkerung vorhanden sind, eine klare Positionierung und auch klare Vorschläge gemacht. Der Partner auf der anderen Seite des Atlantiks hält sich da sehr, sehr, sehr zurück und bewegt sich so gut wie gar nicht. Und insofern gibt es nun seit über zwei Jahren Gespräche. Aber die wirklich heiklen Themen, die sind noch gar nicht angepackt. Also, wenn sich da die Vereinigten Staaten nicht bald bewegen, da muss man wirklich darüber nachdenken, ob man die Verhandlungen noch erfolgreich abschließen kann.

Deutschland hat 131 Abkommen getroffen, die private Schiedsgerichte zulassen

Frenzel: Eine dieser Befürchtung, die Sie da angesprochen haben, sind ja die Schiedsgerichte, diese unabhängigen Schiedsgerichte, bei denen Konzerne Staaten verklagen können. Also, das sind Sorgen letztendlich um die demokratische Selbstbestimmtheit unserer Länder, unserer Demokratie. Gestern gab es nun Signale, dass hier eine Lösung gefunden wurde, die den Kritikern entgegenkommt. Können Sie das bestätigen?
Lange: Zuerst einmal, in der Tat, diese außergerichtlichen privaten Schiedsstellen sind ein Instrument des letzten Jahrhunderts und gehören auf den Müllhaufen der Geschichte. Aber nicht nur in zukünftigen Abkommen. Deutschland hat 131 dieser Abkommen mit allen möglichen Ländern dieser Erde, wo in der Tat Konzerne Deutschland verklagen können und das ja auch machen. Und da muss man auch ran. Und in zukünftigen Handelsabkommen gehört so was nicht mehr hinein.

Auch ordentliche Gerichte können Diskriminierung verhandeln

Wenn überhaupt also die Frage der Diskriminierung von ausländischen Investoren gegenüber inländischen zusätzlich behandelt werden müsste, dann muss das in einem normalen, öffentlich bestellten Gericht sein, mit klaren Prinzipien. Und vor allen Dingen darf es nicht so sein, dass Gesetzgebung oder Änderung von Gesetzgebung oder Kürzung von Subventionen als Klagegrund genommen werden darf. Und da sind wir bei, ein vernünftiges System zu etablieren. Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob das zwischen USA und Europa überhaupt notwendig ist, weil wir in beiden Bereichen ordentlich entwickelte Gerichte haben, die Diskriminierung auch aufgreifen können.
Frenzel: Aber Herr Lange, dass Sie da jetzt noch im Bereich der Forderungen sind, das macht mir deutlich: Offenbar gibt es auch da noch keine Einigung.
Lange: Ja, überhaupt nicht. Nein, nein, nein. Es gibt einen europäischen Vorschlag und die amerikanische Seite denkt darüber nach. Und das ist ja, wie gesagt, wenn man sich mal anguckt: Wir haben ja drei grobe Körbe unterteilt in 25 einzelne Kapitel, und erst zu 13 Kapiteln haben wir auch eine klare Ansage von den amerikanischen Partnern, in welche Richtung die so denken. Und in anderen, wichtigeren und sensibleren Bereichen noch nicht. Und das ist symptomatisch für die ganze Verhandlungsgeschichte.

Das Parlament schützt die europäische Kulturförderung

Frenzel: Ich will mal drei große Kritikfelder kurz stichwortartig ansprechen: Die Sorge um den Schutz der Kultur, Filmförderung, die öffentlichen Theater ... Der deutsche Kulturrat ist immer noch ziemlich unhappy mit TTIP. Sie auch?
Lange: In der Frage nicht, und da bin ich auch in engem Kontakt mit Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Das europäische Parlament hat am 8. Juli eindeutig beschlossen, ein Handelsabkommen, wo in irgendeiner Weise die kulturelle Vielfalt, die Filmförderung oder die Buchpreisbindung angegriffen wird, wird das Parlament nicht mitmachen. Und dieses Signal haben wir den Verhandlerinnen und Verhandlern auch gegeben. Ich glaube, da besteht auf europäischer Seite keine Gefahr, dass da irgendwas anbrennen kann.
Frenzel: Okay, das ist vom Tisch. Stichwort Sozialstandards, auch die Gewerkschaften sind ja nach wie vor gegen den Freihandel. Was sagen Sie denen, können Sie denen schon was anbieten?
Lange: Das wird ein bisschen diffiziler, weil wir in der Tat ein umfangreiches Arbeitnehmerrechtskapitel vorgeschlagen haben, wo die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation – klare Prinzipien der Beachtung von gewerkschaftlichen Rechten, auch Mechanismen, um das durchzusetzen – vorgesehen werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn wir einen intensiveren Handel haben, der nur basieren kann auf fairen Bedingungen, damit es keinen unlauteren Wettbewerbsvorteil durch Sozialdumping gibt. Und auch da haben die Vereinigten Staaten bisher noch nicht drauf reagiert. Aber das ist natürlich auch ein Ankerpunkt, wenn es da keine vernünftigen Regelungen gibt, kann man das Abkommen nicht abschließen. Aber da muss man sehr genau drauf achten, dass da eine vernünftige Lösung gefunden wird.

"Es werden keine Standards abgesenkt"

Frenzel: Dann komme ich zum dritten Punkt: Greenpeace hat gestern massiv protestiert, hat auch einen kompletten Stopp der Verhandlungen gefordert, weil potenziell Verbraucher- und Umweltschutzgesetzt zerstört werden. Können Sie die beruhigen?
Lange: Das ist so eine typische Ja-Aber-Geschichte. Klar ist, dass hier keine Standards abgesenkt und auch keine Standards angeglichen werden, die nicht gleichwertig sind. Also, das Lebensmittelrecht oder Chemikalienrecht, das wir in der Europäischen Union haben, ist fundamental anders als das, was in USA Realität ist.
Aber man muss wirklich en détail gucken, welche Standards kann man gegenseitig anerkennen, welche sind wirklich gleichwertig und welche eben nicht. Und das kann man nicht hoppladihopp machen, um der Gefahr, dass irgendwas aufgeweicht wird, nicht einhergehen zu können. Und da sind wir noch nicht sehr weit.
Die europäische Position ist auch völlig klar, es wäre ja auch völlig absurd, dass wir ein sehr gut entwickeltes System haben, wo wir das eine oder andere auch noch verbessern müssen, dass so ein System aufgeweicht wird durch ein Handelsabkommen. Das kommt nicht in die Tüte.

Kommunikations-Super-GAU der letzten EU-Kommission

Frenzel: Herr Lange, Sie sind Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament, das am Ende ja dem Freihandel zustimmen muss. Wie gut fühlen Sie sich informiert, was den Stand der Verhandlungen um TTIP angeht?
Lange: Ich persönlich habe da keine Probleme, weil ich von Anfang an Zugang zu allen Dokumenten habe. Dass es natürlich nicht hinreichend ist, wenn Herr Lange das hat, das ist sicherlich eines der Hauptproblemfelder der ganzen Verhandlung, dass am Anfang die alte EU-Kommission den Kommunikations-Super-GAU geliefert hat, indem sie keine Informationen, keinen Zugang für die Zivilgesellschaft geliefert hat. Und so kann man moderne Handelsabkommen eben nicht angehen. Da haben wir lange gekämpft, jetzt ist es klar, dass die fundamentalen Dokumente ins Netz gestellt werden, dass auch die Protokolle der Verhandlungsrunden im Netz sind.
Also, insofern kann man jetzt in der Tat gewiss sein und nachgucken, worüber wirklich verhandelt wird. Aber das ist eine sehr missliche Ausgangsbedingung gewesen. Wenn man Handelsabkommen, die nicht nur mit Zöllen einhergehen, wirklich verhandeln will, dann muss man die Menschen mitnehmen, ihre Sorgen aufgreifen. Und das geht nur mit völliger Transparenz.
Frenzel: Zum Stand der Verhandlungen um TTIP der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament, der Sozialdemokrat Bernd Lange. Ich danke Ihnen für das Interview!
Lange: Ja, gerne, alles Gute!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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