Tuberkulose in den Slums von Kalkutta

Von Katharina Nickoleit |
Es ist noch gar nicht so lange her, dass Tuberkulose in Deutschland eine weit verbreitete Krankheit war. Doch weltweit gesehen gehört Tuberkulose zusammen mit AIDS und Malaria zu den Krankheiten mit den meisten Todesfällen. Alleine in Indien gibt es jedes Jahr zwei Millionen neue Fälle.
Tobias Vogt sitzt an einem wackeligen Campingtisch und befragt mit Hilfe einer Dolmetscherin einen alten Mann, der Blut spuckt. Tuberkulose. Die Praxis des deutschen Arztes besteht aus einem baufälligen Häuschen mit gestampftem Lehmboden. Es ist dämmrig und die drei Ventilatoren schaffen es kaum, der Hitze etwas entgegen zu setzen. Gleich hinter der Praxis fließt ein stinkendes Gewässer durch einen der vielen Slums von Kalkutta.

"In Indien die normale Wohneinheit heißt ja zehn Quadratmeter für eine Familie von sieben Personen. Das ist halt extrem eng. Dann haben sie solche Wohnblöcke und Baracken wo dann 500 Leute auf mehreren Etagen leben, zwei oder drei von denen haben Tuberkulose und das geht dann rasend schnell. Diese Baracken haben ja keine Fenster, das ist nicht durchlüftet. Die Bakterien stehen in der Luft und haben es extrem einfach sich zu verbreiten. Jeder Tuberkulosekranke steckt im statistischen Mittel in einem Jahr 14 weitere Personen an."

In Deutschland ist Tuberkulose inzwischen so selten, dass sie im normalen Medizinstudium gar nicht mehr vorkommt. In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, Afrika, Lateinamerika und Asien hingegen ist die Krankheit nach wie vor weit verbreitet. Alleine in Indien gibt es jedes Jahr 2 Millionen Neuinfektionen und über 330.000 Tote. Tuberkulose verläuft meistens wie eine hartnäckige Lungenentzündung, gegen die die gängigen Antibiotika nicht helfen. Die Krankheit kann aber auch den Bauch, die Knochen oder die Hirnhaut befallen und dort Zerstörungen anrichten.

Tobias Vogt gehört zu der Organisation "Ärzte für die 3. Welt", die in den Elendsvierteln Kalkuttas kostenlos Kranke behandeln. Er tastet seinen Patienten ab und stellt weitere Fragen.

Eine abgebrochene Tuberkulosebehandlung, wieder einmal. Dabei lässt sich die Krankheit eigentlich gut heilen. Dazu muss allerdings konsequent über mindestens sechs, manchmal aber auch bis zu 24 Monate lang eine Kombination aus vier verschiedenen Antibiotika eingenommen werden. Für viele seiner Patienten ist das einfach nicht machbar.

"Viele haben auch noch andere Probleme in ihrem Leben, sie sind Tagelöhner, sie müssen Geld reinbringen, sonst hat die Familie nichts zu essen. Sie wissen nicht, wovon sie morgen noch Brot bezahlen sollen. Und wenn sie sagen, sie müssen zu Behandlung kommen, es geht ihnen aber inzwischen ganz gut, dann lassen sie das fallen. Das würden wir wahrscheinlich ganz genauso machen."

Abgebrochene Tuberkulosebehandlungen haben verheerende Konsequenzen, denn die Bakterien entwickeln Resistenzen gegen die Medikamente.

"Einmal abgebrochene TB-Therapie heißt sehr häufig, dass die Krankheit danach nicht mehr heilbar sein wird. Nicht nur, dass sie damit sich selbst gefährden, sondern dass sie auch diese resistenten Keime um sich herum streuen, noch ihre Familie mit ins Grab nehmen."

In Deutschland ist Tuberkulose heute sehr selten, in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts galt die Krankheit hierzulande als weitgehend besiegt. Doch seit einigen Jahren nimmt die Zahl der Fälle nicht mehr stetig ab sondern steigt langsam wieder an. Knapp 5000 Fälle sind es jedes Jahr. Die meisten Patienten stammen aus der ehemaligen Sowjetunion.

"Wir haben ja das Phänomen der Migration, der Zuwanderung und daher nimmt die Zahl der Neuerkrankungen an Tuberkulose auch zu."

Der Wuppertal Lungenspezialist Professor Kurt Rasche muss jeden Tuberkulosefall der Gesundheitsbehörde melden, das schreibt das Bundesseuchengesetz vor. Jeder Patient bekommt einen Amtsarzt zur Seite gestellt.

"Der übernimmt dann einerseits sogenannte Umfelduntersuchungen, das heißt, er schaut nach, könnte irgendjemand im Umfeld angesteckt sein. Und er wird auch den Betreffenden dann überwachen, in dem Sinne, dass er schaut, ob die Medikamente regelmäßig genommen werden, ob der sich in lungenfachärztliche Behandlung auch im ambulanten Bereich begeben hat."

Das ist ein ziemlich großer Aufwand, der da betrieben wird. Aber er ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Medikamente wirklich mindestens ein halbes Jahr lang eingenommen werden. Nur so kann verhindert werden, dass sich weitere Resistenzen gegen die Tuberkulose bilden. Im Moment sind hierzulande etwa drei Prozent der Erkrankungen sind mit den gängigen Medikamenten nicht mehr zu behandeln.

"Auch wenn das zahlenmäßig keine Bedeutung hat, ist der einzelne Krankheitsfall mit einer Multiresistenz immer ein Problem, weil dies Patienten wiederum andere infizieren können, aus der Bevölkerung, so dass sich das dann verbreitet und dadurch natürlich langsam diese Multiresistenz zunehmen wird."

Wer sich in Deutschland mit so einem resistenten Tuberkelbakterium infiziert, bekommt noch eine Chance: Die Forschung entwickelt ständig neue Antibiotika, mit denen Kurt Rasche vom Helios Klinikum Wuppertal seine Patienten behandeln kann.

"Uns stehen sie zur Verfügung, aber wenn sie benutzt werden, dann sind die auch sehr teuer."

Mit finanzieller Unterstützung der Bill und Melinda Gates Stiftung wird derzeit auch an einem Impfstoff gegen Tuberkulose gearbeitet. Gerade Schwellenländern wie Indien könnte das bei der Bekämpfung der Krankheit helfen. Doch bis dieser Impfstoff wirklich einsatzbereit ist, werden wohl noch mindestens zwei bis drei Jahre vergehen. Die neuen Medikamente sind für das indische Gesundheitssystem nicht zu bezahlen. Sie würden vermutlich wesentlich weniger dringend benötigt, wenn die herkömmlichen Tuberkulosemittel weiter entwickelt würden. Doch an diesem Punkt meint auch Tobias Vogt, steht die Forschung still.

"Das liegt auch daran, dass das die Krankheit der armen Leute ist und dass man da kein Geld mit verdienen kann und es die pharmazeutische Industrie nicht interessiert daran zu forschen. Es wär sicherlich möglich, die Krankheiten in drei Wochen oder vier Wochen auszuheilen. Aber nicht mit den Medikamenten, die wir haben, die haben sich seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht mehr geändert, das ist das Gleiche geblieben. Forschungsanstrengung gleich Null."
Seit inzwischen über zehn Jahren arbeitet Tobias Vogt in den Slums von Kalkutta als Arzt für die Ärmsten.

"Es ist mir noch nicht langweilig geworden. Die Arbeit ist sehr herausfordernd, sehr spannend, sehr interessant. Hat mich bis jetzt immer noch hier gehalten."

Wer in Indien gegen Tuberkulose kämpft, darf nicht auf schnelle Erfolge hoffen. Trotz aller Aufklärung, trotz allen Anstrengungen die Behandlungen über Monate aufrecht zu erhalten und auch die Angehörigen der Erkrankten zu untersuchen, ist die Zahl der Neuinfektionen gleichbleibend hoch. Für die schwersten Fälle haben die "Ärzte für die 3.Welt" mit Spenden aus Deutschland Krankenhäuser eingerichtet. 120 Betten und noch ein paar Notbetten auf der Veranda stehen für diejenigen zur Verfügung, die so krank sind, dass sie es nicht mehr schaffen zum Arzt zu gehen.
25 Frauen liegen oder sitzen dicht an dicht in dem Krankensaal auf einfachen Metallbetten.

Der Raum ist sauber, aber schlicht, geschmückt wird er nur von ein paar Kinderzeichnungen. Ventilatoren sorgen für ein wenig Durchlüftung und etwas Kühle. Manche der Frauen sind so dünn und ausgemergelt, dass man jeden Knochen sieht, viele so schwach, dass sie es kaum schaffen sich aufzurichten und zum Gruß die Hände vor der Brust zusammen zu legen. Die Leiterin des Frauenhospitals stellt eine Patientin nach der anderen vor. Zum Beispiel die 23jährige Anju.

"Sie war so dünn und hatte solche Probleme mit dem Bauch. Aber jetzt ist sie seit drei Monaten hier und es geht ihr besser und sie nimmt auch zu."

Oder die 18-jährige Osha, bei der die Tuberkulose die Wirbelsäule befallen hatte.
"Sie wurde operiert aber sie hat immer noch viele Probleme. Sie kann nicht laufen und bekommt Physiotherapie. Wir sind nicht sehr erfolgreich – sie kam sehr spät, als die Lähmung bereits eingesetzt hatte. Ich glaube, sie muss noch eine Weile bleiben."

Frauen und Mädchen, so sagt Monika Naik, sind besonders anfällig für Tuberkulose. Ein Mädchen gilt weniger in der Familie und wird oft schlechter ernährt als ihre Brüder und die Frauen sind durch die vielen Geburten per se geschwächt. Je schlechter der Allgemeinzustand, desto größer ist die Gefahr, sich anzustecken. Außerdem verbringen Frauen die meiste Zeit zu Hause und sind so in den überbevölkerten Wohnblocks ständig den Tuberkelbazillen ausgesetzt. Mindestens acht Monate, manchmal aber auch zwei Jahre lang bleiben die Frauen in der Klinik. Diese Zeit soll möglichst gut genutzt werden.

"Wir haben einen Lehrer. Wenn es sein muss, unterrichtet er die Frauen auch am Bett. Viele sind ja nie zur Schule gegangen. Hier lernen sie das Alphabet und Lesen und Schreiben. Außerdem lernen sie zu schneidern, damit sie etwas Geld verdienen können, wenn sie schließlich aus dem Krankenhaus entlassen werden."

So werden zumindest diese Frauen sich und ihre Kinder etwas besser ernähren können, vielleicht nicht ganz so beengt wohnen müssen und auf diese Weise weniger anfällig für eine weitere Infektion sein. Zumindest für sie gibt es Hoffnung. Trotzdem kämpft ist Tobias Vogts Kampf gegen die Tuberkulose auf verlorenem Posten.

"Jeden Tag soundso viele schwer kranke Leute. Junge Leute, die behindert zurück bleiben, junge Leute, die uns unter den Händen wegsterben. Das Kinderkrankenhaus ist voll mit tuberkulosekranken Kindern. Wir wissen manchmal nicht, was wir noch mehr machen oder anders machen sollen, um da mal endlich voranzukommen. Also, es ist erdrückend."
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