Im Maschinenraum der Literatur
Es geht um Strahlenkatzen, um Blogs, um Twitter – und darum, ob wer nicht drin ist, auch dazu gehört. Die Bachmann-Preisträger Clemens J. Setz und Kathrin Passing haben derzeit die Poetik-Dozentur in Tübingen inne. Im Fokus steht das Verhältnis von Literatur und neuen Medien.
Setz: "Meine Vorlesung heißt 'Strahlenkatze und Literatur'."
Die Katze ist schwarz, das sei gesagt, und leuchtet am Rücken. Sie strahlt! Strahlenkatzen haben mit Tschernobyl zu tun. Mehr kann hier nicht erklärt werden. Clemens J. Setz, Lesern durch Bücher wie "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre" oder "Indigo" bekannt, hat schon viele Preise bekommen unter anderem den Bachmannpreis. Ein Blog für "Betreutes Lesen" widmet sich allein seinem neuesten Buch.
Setz trägt zur Vorlesung einen Kapuzenpulli, darüber ein Jackett. Später wird er sagen: Es war sehr warm. Zurück zur Katze:
Setz: "Es ist nur eine artist's impression, es gibt ja keine wirklichen, es ist nur ein schwarzer Kater, der neben einem Aquarium liegt, auf dem sich das Licht teilt. Es war nur das Einzige, sich zu färbende Katzentier, das ich gefunden habe."
Autor Clemens J. Setz führt ungefähr mit der Geschwindigkeit durch die Vorlesung, wie man sich in der Regel bei der Suche nach einem bestimmten Thema im Internet durchklickt. Zu jedem Thema zeigt er ein anderes Bild.
20 Klicks in einer Stunde
Die Gäste gehen mit, der Vortragsstil fängt, auch wenn Setz keinen Kontakt zu seinen über Hundert Zuhörern aufnimmt. Zack und weiter. Neues Thema. Etwa 20 Klicks in einer Stunde. Vor der Katze ging es um Gertrud Stein, einen Brief von Thomas Mann, um unbekannte Philosophen und um Anfänge. In diesem Fall um die Anfänge von Clemens Setz:
"Um nicht gleich zu Beginn Weltliteratur aufzufahren, hier ein anderes Liebesgedicht von mir selbst geschrieben. Es richtet sich an die Schildkröte, in der alten Programmiersprache Logo."
Riesenmaschinistin und Sachenausdenkerin
Im Publikum sitzt auch die Schriftstellerin Kathrin Passig und tippt in ihr Handy. Die Bachmannpreisträgerin ist Redakteurin des Webblogs "Riesenmaschine", sie bezeichnet sich als Sachbuchautorin und Sachenausdenkerin.
"Ich habe halt gesehen, dass die Veranstalter relativ kurz vorher noch, glaube ich zumindest, einen Twitter-Account für die Poetik-Dozentur eingerichtet hatten und auch bei Facebook, mein flüchtiger Eindruck, noch relativ neu sind, darum habe ich gedacht ... Es ist oft so, dass bei Veranstaltungen, die nicht aus dem Netz heraus entstanden sind, nicht so viele Twitterer da sind, darum habe ich mich veranlasst gefühlt, da ein bisschen etwas aufzuschreiben."
Neue Generation von Schriftstellern
Dorothee Kimmich: "Wir haben die beiden eingeladen, weil sie etwas machen, was uns alle unglaublich umtreibt, nämlich das Verhältnis von Literatur und neue Medien. Also nicht Computer, sondern vor allem Internet."
Dorothee Kimmich ist Professorin für Literaturwissenschaftliche Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen und leitet die Poetik-Dozentur. Für Dorothee Kimmich stehen die beiden Autoren stellvertretend für eine neue Generation von Schriftstellern, die über neue Kommunikationsformen auch eine Altersklasse erreicht, die sich für tradierte literarische Formen kaum noch interessieren:
"Und tatsächlich ist das auch eine Form von Kommunikation, auf die wir uns sofort einlassen mussten. Wir sind gleich von der Autorin und dem Autor darauf hingewiesen worden, dass wir keinen Twitter-Account haben, da merkt man dann, dass das auch Herausforderungen für das Format sind. Natürlich haben die ganz andere Ideen, sehen, lesen ganz andere Dinge, haben beide auch eine andere Vorstellungswelt."
Vorlesungen stehen traditionell im Mittelpunkt der Poetik-Dozentur. Doch fast alle eingeladenen Autoren stellen sich auch in Workshops interessierten Studenten. Etwa ein Dutzend sind es heute Nachmittag gewesen, die mit sehr konkreten Anliegen an die Autoren herantraten.
Student: "Also beide AutorInnen behandeln in gewisser Weise ja auch die Flüchtigkeit von Sprache im digitalen Zeitalter, das finde ich eine ganz spannende Entwicklung, wie Sprachkritik gleichzeitig mit der Vergänglichkeit mit Sprache einhergehen kann."
Frau: "Ich hoffe, dass man auch einmal ein bisschen hinter die Kulissen schauen kann, also nicht nur über die Texte spricht, sondern auch über die Schreibpraxis."
Plan B zum Schriftstellersein in der Tasche
Clemens Setz erzählt im Workshop viel über seine wahrscheinlich begrenzte Zeit als Autor und gibt Auskunft über seinen Lebensrhythmus. Er schreibt völlig entgegen den Trends: lang, das heißt viele Hundert Seiten. Sein Stil gilt als einzigartig, jedes Buch überrascht. Doch es gibt Grenzen.
Was kommt nach dem Leben als Schriftstellerin, als Schriftsteller? Diese Frage stellten sich die beiden Autoren noch mit Leichtigkeit und vor allem Clemens Setz mit großer Ironie. Beide haben einen Plan B, das wurde im Rahmen der Poetik-Dozentur deutlich. Doch beim Zuhören wird auch klar: Wenn die beiden nicht durchkommen als Autoren, dann schaffen es auch die anderen nicht mehr.