"Erdogan kann sein Präsidialsystem nicht durchsetzen"
Mit seinem Plan, die Türkei zu einem Präsidialsystem umzubauen, ist der türkische Präsident Erdogan bei den Wahlen im Juni schon einmal gescheitert. Auch ein weiterer Anlauf über Neuwahlen wäre chancenlos, meint Türkei-Experte Oliver Ernst.
Manche sehen in den türkischen Angriffen auf die PKK und den Verfahren gegen Abgeordnete der pro-kurdischen HDP vor allem ein Manöver, mit dem Präsident Erdogan seine innenpolitische Machtbasis festigen und einen erneuten Anlauf in Richtung eines Präsidialsystems starten will. Sollte das Erdogans Strategie sein, geht sie nach Ansicht Oliver Ernsts, Türkei-Experte bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, nicht auf. Auch nicht über Neuwahlen:
"Die aktuellen Umfragen sprechen ganz klar dafür, dass die AKP überhaupt keinen hier Boden gut machen konnte nach den Wahlen und auch von dem aktuellen Konflikt, der jetzt in der Türkei seit einer Woche herrscht, auch nicht profitiert hat."
Demnach könne die AKP derzeit mit etwa 43 Prozent der Wählerstimmen rechnen, sagt Ernst. "Das ist immer noch weit davon entfernt, dass die AKP und Erdogan ihre Vorstellungen von einem Präsidialsystem auch nur ansatzweise durchsetzen könnten, denn dazu brauchen sie einfach satte Mehrheiten."
Eine Demokratie mit Defiziten, aber eine Demokratie
Zudem hätten alle Oppositionsparteien deutlich gemacht, selbst die nationalistische MHP als wahrscheinlichste Koalitionspartnerin der AKP, dass für sie ein derartiges System überhaupt nicht vorstellbar sei.
Die Türkei habe seit 1950 ein Mehrparteiensystem, das abgesehen von den Militärputschen der letzten 50 Jahre nie von den politischen Kräften infrage gestellt worden sei, betont Ernst. "Die Türkei ist eine Demokratie mit Defiziten, aber sie ist eine funktionierende Mehrparteiendemokratie, die tatsächlich auch aus allen Krisen, die die Türkei erleben musste und bis heute erlebt, immer wieder gestärkt hervorgegangen ist."