Türkei

Viel Vertrauen für Erdogan

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan spricht nach dem Grubenunglück in Soma mit Hilfskräften.
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan spricht nach dem Grubenunglück in Soma mit Hilfskräften. © picture alliance / dpa
Erdogan Altindis im Gespräch mit André Hatting |
Der Istanbuler Architekt Erdogan Altindis über die Treuer der Wähler von Recep Tayyip Erdoğan: Sie glauben ihm, was er sagt.
André Hatting: August 2002 – die Elbe tritt an vielen Orten über die Ufer, die Katastrophe geht als Jahrhundertflut in die Geschichte ein. Und mit ihr Gerhard Schröder. Die Bilder von ihm als zupackender Bundeskanzler in Gummistiefeln auf Augenhöhe mit dem Volk, das sichert ihm die schon verloren geglaubte Bundestagswahl. Wie anders das Bild gerade in der Türkei: Ministerpräsident Erdogan kommentiert das schlimmste Bergwerksunglück in der Geschichte des Landes mit den Worten "Tja, solche Unfälle passieren ständig". Und von seinem persönlichen Berater gibt es ein Foto, wie der auf einen Demonstranten eintritt.
Mit der Trauer über 284 Tote Kumpel wächst die Empörung über einen Ministerpräsidenten, der mit einer Kandidatur bei der Präsidentenwahl im August liebäugelt. Erdogan Altindis, Architekt aus Istanbul, war schon im Sommer letzten Jahres bei den Gezi-Park-Protesten dabei, den ersten Massendemonstrationen gegen die Regierung. Guten Morgen, Herr Altindis!
Erdogan Altindis: Guten Morgen aus Istanbul, hallo!
Hatting: Wie erklären Sie sich dieses Verhalten von Erdogan?
Altindis: Das ist seine Art, wie er immer reagiert. Ich meine, Sie haben jetzt gerade den Vergleich mit Schröder gemacht – er ist, wenn er anreist, wenn er irgendwo ankommt, dann ist er umzingelt von vielen Aufpassern, vielen Bodyguards und auch Polizisten. Der hat extra eine ganze Menge Polizisten bestellt, bevor er überhaupt nach Soma gefahren ist. Und das macht natürlich nicht unbedingt so einen Eindruck zuerst, ich bin der Freund des Volkes.
Natürlich muss er als Ministerpräsident dorthin gehen und sich artikulieren und sagen, dass ich bei euch bin, aber der hat eben eine Art als Mensch und als Politiker, dass er sehr provoziert und auch in diesen Situationen hat er im Prinzip leider mit seinem Tonfall auch daneben gegriffen, und deshalb die Empörung der Leute auf sich gezogen.
Hatting: Hat, Herr Altindis, diese Art auch etwas mit Arroganz der Macht zu tun? Denn bei den Kommunalwahlen Ende März hat Erdogans AKP ja einen sensationellen Erfolg errungen trotz YouTube-Verbots und Korruptionsvorwürfen.
"Schwierigkeiten, Fehler zuzugeben"
Altindis: Ja, ja, es ist wirklich so, dass das Volk, was ihn eigentlich wählt, sagen wir mal, diese 44 Prozent, das ist, so wie er auch sich gibt, sind auch die Leute. Also, die stehen auf solche Parolen, die er von sich gibt. Aber in diesem Fall jetzt, bei Soma, sind auch die Leute, die ihn ja auch gewählt haben. Aber er hat es bis jetzt immer geschafft, diese Dinge so zu verstecken, zu verschleiern. Und das schafft er leider Gottes auch immer wieder.
Also die Leute sind nicht sehr kritisch genug, die ihn wählen. Die glauben ihm, was er sagt, und prüfen nicht nach. Und in Soma ist das jetzt eindeutig zutage gekommen, dass eben hier auch viel Nachlässigkeit dabei ist. Und es gibt keine richtigen Argumente. Anstatt zu sagen, auch die Größe zu besitzen, ja, wir haben auch mal Fehler gemacht.
Die sind seit zwölf Jahren gewöhnt, immer Erfolge zu verzeichnen, und wenn jemand das irgendwie so lange gemacht hat, hat auch er Schwierigkeiten, Probleme zuzugeben. Und das ist das Hauptproblem, die Arroganz, Selbstherrlichkeit. Es ist wirklich ein Hindernis, um hier auch gesellschaftspolitisch, kulturell etwas voranzubringen.
Hatting: Sie haben das schon angesprochen: Erdogan hat in der Landbevölkerung so starken Rückhalt, dass ihn scheinbar gar nichts anficht. Nun ist es aber so, das haben sie auch gesagt, dass die Menschen in Soma überwiegend AKP gewählt haben. Und nun kommt ein Ministerpräsident da hin und sagt, tja, solche Unfälle, die passieren halt. Glauben Sie, dass sich dadurch auch die Stimmung beim sogenannten einfach Mann ändern könnte? Glauben Sie, dass der möglicherweise nach diesen Worten, nach dieser Haltung von Erdogan kritischer wird?
"Jetzt mal die Augen öffnen!"
Altindis: Ich bin wirklich so skeptisch geworden in den letzten zwölf Monate, wo ich manchmal selber den Kopf schüttle : Wie kann man eigentlich all diese Dinge noch so hinnehmen, wie es ist? Man muss doch jetzt doch mal die Augen öffnen. Aber diese Partei und auch die Regierung ist immer noch so stark in jedem Bereich, in jedem Bereich sind sie extrem vertreten, sodass auch die Medienlandschaft immer wieder beeinflusst wird und dass man immer wieder diese Dinge in der Hand hat und versucht zu manipulieren.
Ich meine, es sind wirklich krasse Bilder, wo er auch seine Empörung praktisch nach außen bringt. Ich hoffe, dass die Leute irgendwann mal echt sagen, so, jetzt reicht es eigentlich mal, jetzt wollen wir nicht. Und diese Proteste, die jetzt auch seit zwei Tagen wieder in der Türkei sich ausgebreitet haben, der Anfang sein könnte, aber diese Dinge werden ganz brutal wieder im Keim erstickt.
Hatting: Herr Altindis, Sie haben gerade auch die Rolle der Medien angesprochen beziehungsweise von Manipulation gesprochen. Wie berichten denn die türkischen Medien gerade darüber? Sind sie immer noch sehr Erdogan-freundlich?
Altindis: Ja, also ich sage mal, die ersten zwei Tage wurde 24 Stunden, rund um die Uhr, wirklich berichtet, also tatsächlich, auf jeden Kanal konnte man umschalten – das sind ungefähr 20, 25 Kanäle – in jedem Kanal war eine Liveübertragung dabei, und, sagen wir mal, vielleicht zehn Prozent gibt es kritische Stimmen, Fragen, warum es so ist. Aber im Großen und Ganzen wird natürlich über diese Tragödie berichtet, die Schicksalhaftigkeit, und dass das eine Trauer für das ganze Volk ist, was es ja natürlich auch ist. Aber kritische Dinge kommen nicht sehr viel. Es gibt natürlich Medien, die das dann auch machen, aber das ist eher in der Minderzahl.
"Gül hätte die meisten Chancen"
Hatting: Erdogan tritt ja gern als starker Mann auf mit starken Sprüchen. Und der Parteikollege, Präsident Gül, ist es dann, der die Wogen wieder glättet. Er ist auch nach Soma gefahren, hat den Menschen sein Beileid ausgesprochen – ist das möglicherweise jetzt eine Chance für Gül, im August sich doch noch mal der Wiederwahl als Präsident zu stellen?
Altindis: Es ist ja nicht ganz klar, wie zwischen den beiden das Ganze besprochen wird. Also, der Gül ist sicherlich der Moderator, und er hätte auch nach meiner Meinung nach all diesen Dingen mehr Chancen als Erdogan. Ich würde selbst persönlich wünschen, dass auch insgesamt die AKP ihre Richtung ändert, weil, die sind ja untereinander so sehr auf Erdogan fixiert. Die obere Führungsliga ist wirklich versucht, in allen Bereichen Erdogan nach vorn zu bringen. Und es ist, glaube ich, intern muss das irgendwie abgewickelt werden, ob der Gül zum Zuge kommt. Ich denke, der Gül hätte auf jeden Fall die meisten Chancen.
Hatting: Erdogan Altindis, Architekt und Gezi-Park-Aktivist, zum Verhalten des türkischen Ministerpräsidenten und des Präsidenten. Vielen Dank für das Gespräch!
Altindis: Tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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