Türken sind keine Bittsteller mehr

Von Gunnar Köhne |
Angenommen, Deutschland höbe morgen die Visumspflicht für Türken auf, wie es der türkische Staatspräsident Gül auf seinem Deutschlandbesuch gerade gefordert hat? Gäbe es dann einen ähnlichen Ansturm von Arbeit suchenden Anatoliern wie vor 50 Jahren, als Deutschland mit der Republik Türkei das Anwerbeabkommen für Gastarbeiter schloss? Wohl kaum.
Weder die Türken noch die Türkei sind heute noch Bittsteller, aus dem armen Agrarland ist eine der 20 stärksten Volkswirtschaften der Welt geworden – wenngleich mit ähnlich großen sozialen Verwerfungen wie in den übrigen 19 auch. Deutsche Unternehmer stehen am Bosporus genauso Schlange wie mehr und mehr arbeitslose Griechen aus dem EU-Nachbarland.

Dass Türken für ein Deutschlandvisum immer noch mehr als 20 Dokumente beibringen müssen – darunter Grundbucheintrag, Gehaltsabrechnungen und Kreditkarten – zeigt, wie sehr in den Köpfen der Regierenden in Berlin – und nicht nur dort - immer noch das alte Türkeibild vorherrscht. Es passt nicht zusammen, einerseits die historische Freundschaft zwischen der Türkei und Deutschland und die Verdienste der türkischen Einwanderer zu beschwören – und die Türken andererseits einem Visaverfahren zu unterwerfen wie Nigeria. So verprellt man gerade diejenigen, die man für einen erfolgreichen Austausch zwischen beiden Völkern braucht: Unternehmer, Künstler, Sportler, Wissenschaftler.

Verprellt hat man hierzulande auch viele der besten aus der dritten Generation türkischer Einwanderer. Sie kehren dem Land, das ihren Großvater einst angeworben hatte, den Rücken, weil sie nicht mehr tagtäglich lesen wollen, sie – die Türken - sollten endlich mal Deutsch lernen. Diese Juristen, Bankkaufleute und Ingenieure gehen in die Türkei, wo sie mit ihrer guten Ausbildung willkommen sind, gestalten und aufsteigen können. Längst verlassen mehr Menschen Deutschland Richtung Türkei als umgekehrt hier einwandern.

Hier wie dort erwarten die Türken von den deutschen Freunden mehr Anerkennung – die Grundlage eines echten Dialoges. Der größte Handelspartner der Türkei zu sein und die meisten Pauschaltouristen zu stellen – das allein macht noch keine guten deutsch-türkischen Beziehungen aus. Wie im französisch-deutschen Verhältnis braucht es den Austausch zwischen den Menschen – zu viele Einreisebeschränkungen stehen da im Weg. Die Deutschtürken könnten Vermittler in diesem Dialog sein – man müsste sie nur fragen.

Landauf und landab wird in diesen Wochen an das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei gedacht. Dabei sollte nicht vergessen werden: Die Türkei ist heute kein Auswanderungsland mehr. Damals träumten die Arbeiter aus Konya und Trabzon von einem Grundig-Fernseher. Heute ist Grundig eine türkische Marke.