Türkische Außenpolitik

Die gefährlichen Alleingänge der Türkei

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält eine Rede, hinter ihm sind zwei türkische Flaggen zu sehen.
Recep Tayyip Erdogans außenpolitischer Führungsanspruch stehe auf tönernen Füßen, meint Thomas Seibert. © picture alliance / dpa / Turkish President Press Office
Von Thomas Seibert |
Die Türkei unter Erdogan beansprucht eine Vormachtstellung in der Region. Freunde und Partner unter den Nachbarstaaten habe das Land allerdings kaum noch, kommentiert Thomas Seibert: Hinzu kommt ein schweres Zerwürfnis mit Russland - und auch im Innern brodelt es.
Die Türkei erlebt derzeit die schwersten Tage seit der Gründung der Republik vor 93 Jahren, sagt der frühere Staatspräsident Abdullah Gül. Das Land steht im Zentrum mehrerer internationaler Krisen. Es wird von Terrorakten wie dem Anschlag von Ankara diese Woche erschüttert.
Der Kurdenkonflikt im Südosten des Landes flammt wieder auf: Zu dem Anschlag von Ankara bekannten sich die so genannten Freiheitsfalken, eine Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Zudem greift die Türkei immer mehr in den Krieg im benachbarten Syrien ein, etwa mit dem Artilleriebeschuss auf kurdische Stellungen jenseits der Grenze.

Belastete Beziehungen zu Iran, Irak, Ägypten, Israel, Russland

Freunde und Partner hat die Türkei nur noch wenige in der Region. Die Beziehungen zum Iran, zum Irak, zu Ägypten und zu Israel sind belastet. Hinzu kommt ein schweres Zerwürfnis mit Russland. Selbst mit dem wichtigsten Partner der Türkei, den USA, gibt es Streit, und zwar um die amerikanische Unterstützung für die syrischen Kurden.
Erdogans Präsidenten-Vorgänger Abdullah Gül fordert angesichts der Vereinsamung der Türkei im Nahen Osten eine Neuausrichtung der Außenpolitik. Sie soll wieder realistischer werden, warnt er. Gül und andere sehen große Gefahren auf die Türkei zukommen – doch Erdogan lehnt jede Kursänderung ab.
Denn er sieht die Türkei in einer neuen Rolle, er spricht sogar ausdrücklich von der "Neuen Türkei", die ihren Platz auf der internationalen Bühne behaupten müsse. Erdogan hat sich vom traditionellen Rollenverständnis – nämlich der Türkei als Vorposten des Westens in Nahost verabschiedet. Zusammen mit dem Vordenker der neuen türkischen Außenpolitik, dem heutigen Ministerpräsidenten Davutoglu, verfolgt Erdogan die ehrgeizige Vision einer türkischen Vormachtstellung. Im Nahen Osten werde sich nicht einmal ein Blatt regen können, ohne dass die Türkei davon erfahre, sagte Davutoglu einmal.

Führungsanspruch als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches

Im Arabischen Frühling vor fünf Jahren sahen Erdogan und Davutoglu ihre Chance für die "Neue Türkei". Als muslimische Demokratie mit starker Wirtschaft sah sich Erdogans Türkei als Vorbild für andere Länder. Ankara unterstützte sunnitische Gruppen wie die Muslim-Bruderschaft in Ägypten und trat gegenüber Israel als Sachwalter palästinensischer Interessen auf.
Einen Zustand von Null Problemen mit allen Nachbarn strebte Davutoglu damals an – Spötter sagen, heute habe die Türkei jede Menge Probleme, dafür aber null Freunde. Denn der Führungsanspruch der Türkei als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches stieß vielerorts auf Widerstand.
Auch begründet Erdogan sein Vorgehen oft mit moralischen Kriterien, die den Bewegungsspielraum der Außenpolitik einschränken. In Syrien zum Beispiel strebt Erdogan offen und kompromisslos den Sturz von Präsident Assad an, weil dieser sein Volk unterdrücke – die Opposition in Ankara sieht darin eine verhängnisvolle Entscheidung. Denn damit habe die Türkei in einem Konflikt Partei ergriffen, der sie eigentlich nichts angehe.
Die Regierung wischt solche Einwände vom Tisch. Außenpolitische Rückschläge wertet sie als Versuch fremder Mächte, dem Aufstieg der Türkei Steine in den Weg zu legen.

Besorgter Ex-Präsident Gül

Doch Erdogans Führungsanspruch steht auf tönernen Füßen. Die Türkei gebärdet sich als Regionalmacht, während sie im Innern durch den wieder eskalierenden Kurdenkonflikt destabilisiert wird und die Wirtschaft ins Stottern gerät. Mit seinem kompromisslosen und manchmal arrogant wirkenden Auftreten vergrätzt Erdogan andere Länder. Doch ohne Partner und Freunde in der Region wird die Türkei keine wirkungsvolle Politik betreiben, geschweige denn eine Führungsrolle spielen können.
In Syrien zum Beispiel beansprucht Erdogan für die Türkei eine Art Vetorecht gegen die Etablierung einer homogenen kurdischen Autonomiezone in Syrien. Sogar zur Entsendung von Bodentruppen ist die Türkei bereit. Manche Beobachter sehen das Land deshalb schon am Rande eines Krieges – nein, es ist schon im Krieg. Es ist kein Wunder, dass sich Ex-Präsident Gül große Sorgen macht.
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