Türkische Leseperlen

Von Stefan May |
Dass die türkische Literatur mehr als die Werke des Nobelpreisträgers Orhan Pamuk zu bieten hat, will das Berliner Literaturhaus an diesem Wochenende beweisen. Das öffentliche Symposium "Türkische Gegenwartsliteratur" bietet Gelegenheit, den großen Facettenreichtum des literarischen Schaffens in der Türkei kennen zu lernen, die in diesem Jahr auch Gastland der Frankfurter Buchmesse ist.
Die literarische Tradition gründet sich in der Türkei hauptsächlich auf die mündliche Überlieferung: auf Märchen und Heldenepen. Erst im 19. Jahrhundert erschienen Erzählungen in schriftlicher Form, noch später Romane. Metin Celal ist Lyriker. In Berlin tritt er in einer Doppelfunktion auf: Als Generalsekretär des türkischen Verlegerverbands und als Mitglied im Organisationskomitee für das Gastland Türkei auf der Frankfurter Buchmesse. Das wichtigste Datum für die türkische Literatur ist 1923, sagt er:

" Da müssten wir vom Wandel sprechen. Es fand ja ein sehr wichtiger Wandel statt in der Türkei. 1923, mit der Gründung der Republik. Und mit dem Zusammenbruch des Sultanats wurde ja das lateinische Alphabet eingeführt. Bis dahin benutzte man die arabischen Buchstaben. Und das war natürlich ein sehr wichtiger Einschnitt. "

Beim Symposium im Berliner Literaturhaus referierten heute vier türkische Dichter, die in ihrer Heimat auch als Kritiker arbeiten. Mechmet Can Dogan sprach über die Lyrik vom 19. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts: Den Wandel des Obrigkeitsstaates etwa zur selben Zeit wie in Europa, der auch einen Wandel in der Lyrik bedeutete, die Abkehr von der orientalischen Ästhetik. Die dichterische Sprache wandte sich ab von der arabisch-persischen Literatur, hin zur französischen. Orient und Okzident wurden in Gedichtform verglichen. In den 20er Jahren erfolgte eine Öffnung in der Lyrik, die Befreiung vom festen Versmaß.

Die Dichterin Nilay Özer referierte über die Lyrik der 40er bis 60er Jahre: Garip, was sowohl "absurd" wie "arm" heißt, wurde zum Namen einer ganzen Gruppe: Die Dichter suchten nach etwas Neuem, das vom Volk verstanden wird. 1940 setzte der gesellschaftliche Realismus ein, der sich für die Rechte der Arbeiterklasse einsetzte und behauptete, dass seine Literatur ästhetisch keinen Wert habe. In den 50ern kam die so genannte zweite Neue auf. Die Form war nun der Maßstab.

Wie sehr die Politik die Dichtung beeinflusste, zeigte Özers Kollege Gökcenur C. In den 60er Jahren hatten die Dichter unter Repression zu leiden, in Zehnjahresabständen putschte das Militär, ebenso oft entstanden neue literarische Strömungen. Baki Asiltürk schließlich präsentierte die die letzten Jahre. Die türkischen Lyriker betrachteten das Gedicht nun als das Zentrale an, es sei wie ein Hochhaus, in dem jeder Dichter seine Wohnung habe und nach seiner Art schaffen konnte.

Der zweite Teil des Symposiums, Samstag ab 14 Uhr, und die Lyriknacht ab 19 Uhr im Berliner Literaturhaus, sollen Informationen über das Gastland auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse geben. Metin Celal:

" Bis heute ist die türkische Literatur mehr eine introvertierte Literatur, das heißt, die Werke von sehr wenigen Dichtern oder Schriftstellern wurden in Fremdsprachen übersetzt. Als Orhan Pamuk den Nobelpreis erhielt letztes Jahr, erwachte auf einmal Interesse an türkischer Literatur. Das ist natürlich eine große Chance. Und dann kam dieser gute Zufall, dass es zusammentraf mit dem Auftritt als Gastland auf der Buchmesse. Ich denke, das sind wirklich Ereignisse, die dazu führen werden, dass sich die türkische Literatur auch öffnen kann. "

" Das brachte unter anderem mit sich, dass Projekte gestartet wurden in der Türkei, beispielsweise unterstützt das Kulturministerium nun Übersetzungen in andere Sprachen, hauptsächlich ins Deutsche. Es werden sehr viele Übersetzungen zur Buchmessezeit, und ich denke, das ist wirklich eine sehr große Chance. "