Türkischer Botschafter hofft auf Hilfe durch die NATO-Partner
Tausende Menschen seien seit Beginn der Syrien-Krise in die Türkei geflüchtet, sagt der türkische Botschafter Hüseyin Avni Karsilioglu. Er hofft auf internationale Hilfe aus Deutschland und den anderen NATO-Staaten.
Christopher Ricke: Es geht um den Bürgerkrieg in Syrien, der ja ein Krieg ist direkt vor der Haustür der NATO: Mehr als 800 Kilometer lang ist die Grenze zwischen Syrien und dem NATO-Partner Türkei. Die Regierung in Ankara hat relativ früh mit dem Regime in Syrien gebrochen: Aus ehemaligen Handelspartnern sind politische Gegner geworden. Die Türkei hat Flüchtlingslager eröffnet, gegen Schüsse über die Grenze protestiert, und Syrien lehnt jetzt türkische Blauhelme in Syrien ab. Ich spreche jetzt mit dem Botschafter der Türkei in Deutschland, mit Avni Karslioglu. Guten Morgen, Herr Botschafter!
Hüseyin Avni Karslioglu: Guten Morgen, Herr Ricke!
Ricke: Ist es denn für die Türkei erträglich, dass jetzt, wo sich etwas ein klein bisschen bewegt, Syrien sofort wieder neue Bedingungen stellt?
Karslioglu: Also insofern, dass die türkischen Blauhelme nicht in Syrien aufgestellt werden sollen, ist es kein Problem, solange das Volk in Frieden lebt, solange Menschen nicht getötet werden, ist es in Ordnung. Und wir sind ja sehr bemüht, die Menschen, die vor dem Regime fliehen, in die Türkei kommen, das sind ja inzwischen um die 25.000 - wir kümmern uns um deren Wohl.
Ricke: Die Türkei gibt ja vielen tausend Flüchtlingen aus Syrien Schutz und Zuflucht. Wie groß ist denn die Unterstützung in der türkischen Bevölkerung?
Karslioglu: Also das Volk unterstützt natürlich. Wir haben immer in unserer Geschichte den vor Regimen Flüchtenden, den Unterdrückten verschiedener religiöser oder ethnischer Herkunft die Türen offengehalten. Das war so im Osmanischen Reich, das war so in der Republikszeit, wie wir es jetzt haben. Und das Volk natürlich nimmt sie mit offenen Herzen auf, und so haben wir vier Flüchtlingscamps, Flüchtlingslager an der Grenze geöffnet.
Ricke: Schaffen Sie das denn alleine, oder braucht die Türkei in der Flüchtlingsfrage internationale Hilfe, zum Beispiel auch von den Europäern?
Karslioglu: Ja, bis jetzt hat die Türkei aus nationalen Mitteln mehr als 70 Millionen verwendet. Es sind, wie ich eben erwähnte, vier Flüchtlingslager, drei Zeltlager und ein Containerlager, errichtet worden, das von Tag zu Tag größer wird. Und auch 35 Klassenräume sind errichtet für die Kinder, Kleinkinder. So ist es doch nötig, auch von Deutschland her, dass wir internationale Hilfe brauchen und unsere Solidarität mit dem Volk zeigen können. So ist es natürlich erforderlich, dass wir auf europäische, deutsche und internationale Hilfe hoffen.
Ricke: Die Türkei hilft den geflohenen Syrern auf türkischem Territorium. Kann der Tag kommen, der einen türkischen Einsatz auf syrischem Territorium nötig macht?
Karslioglu: Momentan greifen wir sie auf an der Grenze. Wenn sich die Lage verschärfen sollte, also noch schlimmer kommen sollte, müsste man alle Optionen durchdenken, und ich möchte nicht darauf eingehen – jetzt hoffen wir, dass der Annan-Plan in Kraft tritt, obwohl es nicht dem entspricht, das wir eigentlich wollen, aber immerhin ist es ein Kompromissausgang mit den anderen UN-Staaten. Und so ist es momentan noch akzeptabel. Und wir hoffen auf die deutschen Mitbürger, die sich mit dem arabischen Volk, mit dem syrischen Volk besser gesagt, solidarisieren, dass sie Hilfe leisten. Und das können sie auf der Internetseite von der türkischen Botschaft finden, türkische Botschaft Berlin, da können sie die Zahlen und die Adressen dort sehen, wie man helfen kann.
Ricke: Jetzt hat Syrien ja die Grenze zur Türkei bereits verletzt und Ihr Regierungschef Erdogan hat auf einer Reise gesagt, die NATO habe eine Verantwortung zum Schutz der türkischen Grenzen. Das stimmt ja auch. Es gibt den Artikel 5 des NATO-Vertrags, der beschreibt den Bündnisfall, der den Einsatz von Waffengewalt legitimieren würde. Wird das in der Türkei wirklich ernsthaft erwogen?
Karslioglu: Ja, wenn eine Grenze verletzt wird, ist es schon etwas sehr Ernstes, sodass man im gegebenen Falle Solidarität zeigt. Und wenn es zu diesem Zeitpunkt kommen sollte, dass es noch ernster wird – natürlich muss man mit der NATO erwägen, zusammen zu handeln. Wenn man bedenkt, dass die NATO in Afghanistan Aufgaben erfüllt, das viele, viele tausend Kilometer weit weg liegt, so ist es doch angemessen, dass die NATO dabei hilft. Aber momentan können wir es noch schaffen. Wir hoffen, dass die Syrer sich zusammennehmen und nicht auf die türkische Seite schießen, denn es gibt mehr als vermutet Verletzungen. Die syrischen Streitkräfte schießen auf die Lager. Es gab etliche Verletzte und auch Tote. So ist es doch schon ernst.
Ricke: Die Lage ist ernst, die Hoffnung gibt es noch, aber man muss natürlich auch das Risiko des Scheiterns einplanen. Was tun wir, wenn es keine positive Entwicklung in Syrien gibt?
Karslioglu: Na, das werden wir dann neu betrachten. Jetzt hoffen wir auf eine Lösung im Rahmen des Annan-Plans. Und wenn es doch ernster werden sollte, so wird sich die Weltöffentlichkeit, die Arabische Liga in erster Linie natürlich, denn das ist die Organisation, die sich insbesondere damit befasst, und natürlich auch die Vereinten Nationen, der Sicherheitsrat, damit beschäftigen.
Ricke: Der Botschafter der Türkei in Deutschland, Avni Karslioglu. Vielen Dank, Herr Botschafter!
Karslioglu: Danke auch!
"Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen."
Redaktioneller Hinweis: Die verschriftete Fassung weicht leicht von der Audio-Fassung ab.
Links bei dradio.de:
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Kommentar: Brüchige Waffenruhe und ein diplomatischer Durchbruch
Themen der Woche: Angespannte Ruhe in Syrien - Vereinbarter Waffenstillstand unter dem Assad-Regime
Hüseyin Avni Karslioglu: Guten Morgen, Herr Ricke!
Ricke: Ist es denn für die Türkei erträglich, dass jetzt, wo sich etwas ein klein bisschen bewegt, Syrien sofort wieder neue Bedingungen stellt?
Karslioglu: Also insofern, dass die türkischen Blauhelme nicht in Syrien aufgestellt werden sollen, ist es kein Problem, solange das Volk in Frieden lebt, solange Menschen nicht getötet werden, ist es in Ordnung. Und wir sind ja sehr bemüht, die Menschen, die vor dem Regime fliehen, in die Türkei kommen, das sind ja inzwischen um die 25.000 - wir kümmern uns um deren Wohl.
Ricke: Die Türkei gibt ja vielen tausend Flüchtlingen aus Syrien Schutz und Zuflucht. Wie groß ist denn die Unterstützung in der türkischen Bevölkerung?
Karslioglu: Also das Volk unterstützt natürlich. Wir haben immer in unserer Geschichte den vor Regimen Flüchtenden, den Unterdrückten verschiedener religiöser oder ethnischer Herkunft die Türen offengehalten. Das war so im Osmanischen Reich, das war so in der Republikszeit, wie wir es jetzt haben. Und das Volk natürlich nimmt sie mit offenen Herzen auf, und so haben wir vier Flüchtlingscamps, Flüchtlingslager an der Grenze geöffnet.
Ricke: Schaffen Sie das denn alleine, oder braucht die Türkei in der Flüchtlingsfrage internationale Hilfe, zum Beispiel auch von den Europäern?
Karslioglu: Ja, bis jetzt hat die Türkei aus nationalen Mitteln mehr als 70 Millionen verwendet. Es sind, wie ich eben erwähnte, vier Flüchtlingslager, drei Zeltlager und ein Containerlager, errichtet worden, das von Tag zu Tag größer wird. Und auch 35 Klassenräume sind errichtet für die Kinder, Kleinkinder. So ist es doch nötig, auch von Deutschland her, dass wir internationale Hilfe brauchen und unsere Solidarität mit dem Volk zeigen können. So ist es natürlich erforderlich, dass wir auf europäische, deutsche und internationale Hilfe hoffen.
Ricke: Die Türkei hilft den geflohenen Syrern auf türkischem Territorium. Kann der Tag kommen, der einen türkischen Einsatz auf syrischem Territorium nötig macht?
Karslioglu: Momentan greifen wir sie auf an der Grenze. Wenn sich die Lage verschärfen sollte, also noch schlimmer kommen sollte, müsste man alle Optionen durchdenken, und ich möchte nicht darauf eingehen – jetzt hoffen wir, dass der Annan-Plan in Kraft tritt, obwohl es nicht dem entspricht, das wir eigentlich wollen, aber immerhin ist es ein Kompromissausgang mit den anderen UN-Staaten. Und so ist es momentan noch akzeptabel. Und wir hoffen auf die deutschen Mitbürger, die sich mit dem arabischen Volk, mit dem syrischen Volk besser gesagt, solidarisieren, dass sie Hilfe leisten. Und das können sie auf der Internetseite von der türkischen Botschaft finden, türkische Botschaft Berlin, da können sie die Zahlen und die Adressen dort sehen, wie man helfen kann.
Ricke: Jetzt hat Syrien ja die Grenze zur Türkei bereits verletzt und Ihr Regierungschef Erdogan hat auf einer Reise gesagt, die NATO habe eine Verantwortung zum Schutz der türkischen Grenzen. Das stimmt ja auch. Es gibt den Artikel 5 des NATO-Vertrags, der beschreibt den Bündnisfall, der den Einsatz von Waffengewalt legitimieren würde. Wird das in der Türkei wirklich ernsthaft erwogen?
Karslioglu: Ja, wenn eine Grenze verletzt wird, ist es schon etwas sehr Ernstes, sodass man im gegebenen Falle Solidarität zeigt. Und wenn es zu diesem Zeitpunkt kommen sollte, dass es noch ernster wird – natürlich muss man mit der NATO erwägen, zusammen zu handeln. Wenn man bedenkt, dass die NATO in Afghanistan Aufgaben erfüllt, das viele, viele tausend Kilometer weit weg liegt, so ist es doch angemessen, dass die NATO dabei hilft. Aber momentan können wir es noch schaffen. Wir hoffen, dass die Syrer sich zusammennehmen und nicht auf die türkische Seite schießen, denn es gibt mehr als vermutet Verletzungen. Die syrischen Streitkräfte schießen auf die Lager. Es gab etliche Verletzte und auch Tote. So ist es doch schon ernst.
Ricke: Die Lage ist ernst, die Hoffnung gibt es noch, aber man muss natürlich auch das Risiko des Scheiterns einplanen. Was tun wir, wenn es keine positive Entwicklung in Syrien gibt?
Karslioglu: Na, das werden wir dann neu betrachten. Jetzt hoffen wir auf eine Lösung im Rahmen des Annan-Plans. Und wenn es doch ernster werden sollte, so wird sich die Weltöffentlichkeit, die Arabische Liga in erster Linie natürlich, denn das ist die Organisation, die sich insbesondere damit befasst, und natürlich auch die Vereinten Nationen, der Sicherheitsrat, damit beschäftigen.
Ricke: Der Botschafter der Türkei in Deutschland, Avni Karslioglu. Vielen Dank, Herr Botschafter!
Karslioglu: Danke auch!
"Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen."
Redaktioneller Hinweis: Die verschriftete Fassung weicht leicht von der Audio-Fassung ab.
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