Ex-Fußballerin Tekkal
Ex-Profifußballerin Tuğba Tekkal © HAWARhelp
„Der Fußballplatz hat mir Freiheit gegeben“
34:08 Minuten
Neun Jahre lang spielte Tuğba Tekkal als Fußball-Profi in der Frauen-Bundesliga. Doch der Völkermord an den Jesiden in Syrien und dem Irak veränderte ihr Leben. Seither engagiert sich Tekkal für Menschenrechte und Demokratie, auch für Flüchtlinge.
„Wir kämpfen für eine bessere Welt“, sagt Tuğba Tekkal. Die 36-Jährige weiß, wovon sie spricht. Denn Fußballspielen hat ihr Leben verändert. Das will sie weitergeben an Mädchen mit Migrationsgeschichte oder schwierigen Lebenswegen. „Scoring Girls“ („punktende Mädchen“), so heißt die Initiative, die Tekkal 2016 gegründet hat. 150 Mädchen im Alter zwischen acht und 18 Jahren kicken mittlerweile in Köln, Berlin und bald auch im Irak.
Die ersten fünf Jahre war Tekkal nicht nur Trainerin, sondern auch „große Schwester, Sozialarbeiterin, Nachhilfelehrerin und Berufsberaterin“. Ihr Ziel: Mädchen - unabhängig von ihrer Nationalität, sozio-ökonomischer Herkunft oder Glaubensrichtung - die Chance zu geben, ihre Stärken und Interessen zu erkennen und genug Selbstbewusstsein aufzubauen.
Die Eltern mitnehmen
„Es ist sehr wichtig, die Eltern bei diesem Prozess mitzunehmen“, meint Tekkal. Denn viele „haben Angst, die Mädchen könnten ihre Herkunft vergessen, die eigene Sprache nicht mehr sprechen. Da muss man erst Vertrauen aufbauen.“ Da ist zum Beispiel Silva. Sie zeigte so viel Talent, dass Tuğba Tekkal sie zur Mannschaftskapitänin machte. Mittlerweile ist Silva DFB-Juniorcoach, und statt Arzthelferin will sie nun Ärztin werden.
„Wenn wir es schaffen, dass Mädchen an sich glauben können und über sich hinauswachsen, und wenn wir das schaffen, bei nur drei, vier Mädchen, dann haben wir alles erreicht.“
Kindheit in der Großfamilie
Aufgewachsen ist Tuğba Tekkal in Hannover, als siebentes von elf Kindern. Ihre Eltern kamen Ende der 70er-Jahre als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland - auch, weil sie in ihrer Heimat Diyarbakir in der Ost-Türkei als Kurden und Anhänger der jesidischen Glaubensgemeinschaft unter Druck standen. In Deutschland arbeitet der Vater als Fliesenleger, wird überzeugtes SPD-Mitglied und setzt sich ein für die Anerkennung der Jesiden als verfolgte Glaubensgemeinschaft mit Asylanspruch. In ihrem Elternhaus spielt Bildung eine große Rolle, aber auch tradierte Regeln:
„Wenn unsere deutschen Freunde irgendwo übernachtet haben oder ins Landschulheim fuhren, durften wir das nicht. Später allerdings sind unsere Eltern mit uns mitgegangen und haben diese althergebrachten Rollenbilder in die Tonne getreten.“
Freiheit durch Fußball
Tuğba beschreibt sich als ruhiges Kind, das zeitweise in der Schule gemobbt wurde. Zum Fußballtraining geht sie damals heimlich, schummelt ihre dreckigen Sportsachen zwischen die Wäsche ihrer Brüder. „Ich hatte immer das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Ich war auch keine besonders gute Schülerin, aber der Fußballplatz hat mir etwas ganz Tolles zurückgegeben, nämlich Freiheit, Anerkennung, und das Gefühl, eben doch dazu zu gehören.“
Erst nach neun Jahren, als ihr Bruder sie mit 16 heimlich im Fußballverein anmeldet, erzählt sie ihren Eltern von ihrer Leidenschaft. Tuğba macht ihr Hobby zum Beruf, geht als Profi-Spielerin erst zum HSV, später wechselt sie zum 1. FC Köln, steigt in die 1. Bundesliga auf und macht sich einen Namen als Mittelfeld-Spielerin. Mit 32 hängt sie ihre Fußballschuhe an den Nagel, „weil ich mir zur Aufgabe gemacht habe, mit diesem Handwerk, das ich jetzt habe, lieber anderen, vor allem jungen Mädchen, zu helfen“.
"Unsere Arbeit überflüssig machen"
2015 gründet sie, gemeinsam mit drei ihrer Schwestern, den gemeinnützigen Verein für humanitäre Hilfe „HÁWAR.help“. Ursprünglich ist ihr Ziel, auf den Genozid der Jesiden aufmerksam zu machen und verfolgte Jesiden aus Syrien und dem Irak zu unterstützen. Mittlerweile setzt sich die Organisation in verschiedenen Projekten für Menschenrechte in Krisenregionen ein, aber auch in Deutschland. Eines dieser Projekte sind die „Scoring Girls“.
Ihr größter Wunsch ist aber, sich überflüssig zu machen, „dass unsere Arbeit irgendwann nicht mehr vonnöten sein wird. Wir kämpfen für eine bessere Welt und hoffen, dass uns das auch gelingt“, sagt Tuğba Tekkal.
(kuc)