Projekt „Scoring Girls“

Fußballspielen für die Freiheit

06:07 Minuten
Tugba Tekkal mit den "Scoring Girls"
Mädchen mit Migrationsgeschichte oder schwierigen Lebenswegen eine Chance geben: Tuğba Tekkal mit den "Scoring Girls" © Michael Romacker
Von Caroline Kuban |
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Tuğba Tekkal hat mehrere Jahre in der Frauen-Bundesliga gespielt. Die Tochter geflohener Jesiden fand ihr Selbstbewusstsein auf dem Bolzplatz. Mit dem Fußball-Projekt „Scoring Girls“ unterstützt Tekkal heute Mädchen dabei, ihre Chancen zu ergreifen.
Beim Wartenberger SV im Nordosten Berlins flitzt ein zierliches, dunkelhaariges Mädchen über das Spielfeld, umkreist die rot-weißen Kegel, stoppt und drischt den Ball aufs Tor. Drin steht Torhüterin Princess aus Nigeria und zeigt, was sie kann: Den einen Ball bekommt sie zu fassen, den anderen wehrt sie mit den Beinen ab. Es geht hoch her, beim Training der „Scoring Girls“, der „treffenden Mädchen“. Ein Projekt, das die in Hannover geborene Jesidin Tuğba Tekkal 2016 ins Leben rief:
„'Treffende Mädels', weil ich davon überzeugt bin, dass auch sie einen Treffer landen können, ungeachtet dessen, wo jemand herkommt, welche Religion jemand hat, welche Hautfarbe, sondern es einfach wichtig ist, für welche Werte man einsteht, und ich glaube, das ist elementar wichtig bei diesem Projekt.“

Selbstbewusstsein beim Fußball gefunden

Die 36-Jährige weiß, wovon sie spricht. Ihre Eltern, die der Glaubensgemeinschaft der Jesiden angehören, waren Ende der 60er-Jahre vor Repressalien aus der Türkei geflohen.
Tuğba wuchs mit zehn Geschwistern in Hannover auf, hatte als Kind lange das Gefühl, in der Großfamilie unterzugehen, wurde in der Schule gemobbt. Selbstbewusstsein fand sie auf dem Bolzplatz, wo sie nachmittags gegen den Willen der Eltern heimlich Fußball spielte. Ihre Brüder meldeten sie als Jugendliche schließlich im Verein an.

Und deswegen hat dieser Fußball mich sehr geprägt, im positiven Sinne, weil ich das Gefühl hatte, nicht nur dazu zu gehören, sondern ich konnte über mich hinauswachsen. Ich hatte auf einmal etwas gefunden, wo ich richtig gut drin bin. Und dieses Gefühl habe ich einfach adaptiert in alle Bereiche. Der Sport hat mein Leben verändert.

Tugba Tekkal, Gründerin der "Scoring Girls"

Sie wurde Schulsprecherin, konnte Selbstvertrauen aufbauen. Und diese Erfahrungen will sie weitergeben an Mädchen mit Migrationsgeschichte oder schwierigen Lebenswegen. Wie zum Beispiel Malak. Vor sieben Jahren kam die heute Zwölfjährige mit ihren Eltern aus dem Irak nach Deutschland, sie lebt in der Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete, freut sich jede Woche aufs Training und hat große Pläne für ihre Zukunft:
„Mein Ziel: studieren, Abitur machen, das ist mein Ziel. Und Fußballerin zu werden.“
150 Mädchen im Alter zwischen 8 und 18 Jahren aus 15 Nationen kicken mittlerweile an drei Standorten: in Köln, Berlin und jetzt auch im Nord-Irak. Hier will Tuğba Anfang Mai in einem Flüchtlingslager das Fußballcamp offiziell einweihen.

Mädchen sollen Interessen und Stärken erkennen

In den ersten Jahren war Tuğba Tekkal bei den „Scoring Girls“ nicht nur Trainerin, sondern auch große Schwester, Sozialarbeiterin, Nachhilfelehrerin, Berufsberaterin. Mittlerweile gehören sieben Mitarbeiterinnen zu ihrem Team, das Projekt bekommt Fördergelder von der Bundesregierung.
„Wir machen Workshops, Vorbild-Dialoge mit Frauen“, berichtet Tuğba Tekkal. „Ich persönlich hatte nie weibliche Vorbilder, ich hatte nur männliche Vorbilder, und das will ich einfach ändern, deshalb finde ich es wichtig, dass die Mädels auch mit Frauen in Berührung geraten, zu denen sie aufsehen können.“
Da ist zum Beispiel die Fernsehmoderatorin Anne Will. Sie ist Schirmherrin der „Scoring Girls“, schaut immer wieder mal beim Training vorbei:

Ich mag das Projekt total gerne, bin wirklich davon überzeugt, dass es den Mädchen hilft. Glaube auch eigentlich, dass du Integration gar nicht besser erreichen kannst als über einen Teamsport wie Fußball, wo die Mädchen ganz viel auf einmal lernen, ohne dass es ihnen überhaupt auffiele, also Taktik, Disziplin, Teamgeist, Zusammengehörigkeitsgefühl, und dann eben auch noch deutsche Sprache. Das finde ich super.

Anne Will, TV-Moderatorin

Tuğba Tekkal sagt, ihr gehe es vor allem darum, Mädchen – unabhängig von ihrer Nationalität, Herkunft oder Religion – die Chance zu geben, ihre Stärken und Interessen zu erkennen und zu verwirklichen:
„Wir haben zum Beispiel Silva, ein mega verschüchtertes kleines Mädchen. Die kam mit 13 Jahren zu den Scoring Girls, ist mittlerweile 17 und wollte immer Arzthelferin werden. Und irgendwann nimmt sie mich zur Seite und sagt: Ich möchte keine Arzthelferin mehr werden, ich will Ärztin werden. Dann sag ich: Warum? Und dann sagt sie: Du hast mir gezeigt, ich kann alles werden, wenn ich mich anstrenge.“

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