"Der Westen muss die Fehler der Vergangenheit vermeiden"
Die revolutionären Bewegungen in Ägypten und Tunesien hatten einst Hoffnung auf mehr Demokratie und weniger Fundamentalismus gemacht, doch viel blieb davon nicht. Markus Loewe plädiert für vorsichtige Unterstützung von Bildungs- und Sozialreformen in den Ländern.
Die Hoffnungen auf eine Demokratisierung der arabischen Welt durch die "Arabellion" haben sich weitgehend zerschlagen. Sehr schnell wurde aus dem "Arabischen Frühling" ein arabischer Herbst. Die Idee, dass Demokratie in der arabischen Welt möglich sei, lebe dennoch weiter, so lange es ein positives Beispiel gebe, meint der Volkswirt Markus Loewe vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Ein solches Beispiel sieht er in Tunesien, das offenbar auf einem "gutem Weg zur Demokratie" sei.
Nicht autoritäre Regime stabilisieren, sondern die Bevölkerungen unterstützen
Die Länder des Westens müssten jedoch die Fehler der Vergangenheit vermeiden, mahnt Loewe. "Wir haben sehr viel mehr die Regime gestützt, um der Stabilität in der Region wegen, anstatt (...) den Bevölkerungen zu helfen", kritisierte er. "In Zukunft müssen wir darauf achten, dass unsere Unterstützung dieser Länder eben nicht wieder autoritäre Regime stärkt und stützt, sondern in erster Linie der Bevölkerung zugutekommt."
Es gehe darum, vorsichtig Unterstützung zu leisten in Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Sozialpolitik, bessere Regierungsführung, transparentere Administration und bessere Justiz, sagt Loewe. "Hier müssen die Länder auf dem Weg der Reformen unterstützt werden und nicht so sehr die Staaten selbst."
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Vor fünf Jahren, genau gesagt am 17. Dezember 2010, begannen in Tunesien die Menschen, gegen die Regierung aufzustehen. Der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi zündete sich an, weil er die Willkür und Demütigungen durch die Polizei nicht mehr ertragen konnte. In nur wenigen Wochen schwappten dann die Massenunruhen auf viele Staaten in Nordafrika und den Nahen Osten, das Ergebnis: Die Regime in Tunesien und Ägypten kippten, in Libyen stürzten Rebellen mit Unterstützung der NATO Staatschef Gaddafi und in Syrien folgte ein Bürgerkrieg, der bekanntermaßen noch andauert. Aber auch sonst ist aus dem positiven Begriff "Arabischer Frühling" oder "Arabellion" ein eher negativer geworden. Der Volkswirt Markus Loewe ist am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik zuständig für nachhaltige Wirtschaft und Sozialpolitik. Guten Morgen, Herr Loewe, hier in "Studio 9"!
Markus Loewe: Guten Morgen, Frau Brink!
Trotz gescheiterter Transformation: "Die Idee der Demokratie währt fort"
Brink: Kann man denn 2015 überhaupt noch von einem Arabischen Frühling sprechen?
Loewe: Das kommt natürlich immer darauf an, was genau beim Wort "Arabischer Frühling" im Vordergrund steht. Sie haben natürlich vollkommen recht, wenn man darunter die Transformation der arabischen Länder von autoritären Herrschaften in Demokratien versteht, dann, muss man sagen, ist das weitgehend gescheitert. Einige Länder sind zurückgekehrt in die autoritären Verhältnisse wie zum Beispiel Ägypten, andere Länder wie Libyen und Syrien sind im Bürgerkrieg versunken. Einzig Tunesien sieht so aus, als ob es auf gutem Wege zu Demokratie wäre.
Wenn bei dem Wort "Arabischer Frühling" aber die Idee im Vordergrund steht, dass überhaupt Demokratie in der arabischen Region möglich ist, dann würde ich sage: Diese Idee, die währt fort. Und die währt so lange fort, solange es zumindest ein Beispiel gibt, dem das gelingt. Solange nur Syrien da ist, wo der Bürgerkrieg ausgebrochen ist, wird das alle Menschen in der arabischen Welt abschrecken, so etwas wie den Arabischen Frühling noch einmal zu probieren. Aber solange sie sehen, dass es einem Land wie Tunesien gelungen ist, in die Demokratie zu gelangen, und dann womöglich noch eine positive wirtschaftliche und soziale Entwicklung anzufachen, dann wird die Idee fortwähren und wird wiederkommen.
Heterogenität der arabischen Gesellschaften als Problem
Brink: In Tunesien ist ja nicht umsonst das Nationale Dialogquartett mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden, das ist ja erst Mitte dieser Woche passiert. In Ägypten sieht es ja weitaus kritischer aus, über Syrien brauchen wir uns da gar nicht weiter zu unterhalten. Warum sind denn diese Entwicklungen so unterschiedlich verlaufen?
Loewe: Ich sehe vor allem zwei Gründe: Der erste ist, dass die Gesellschaften sehr unterschiedlich aussehen. Nachdem es dann zu dem Aufstand gekommen war, traf dieser in Tunesien und Ägypten auf relativ homogene Gesellschaften, Gesellschaften, bei denen auch die Nationalität, das Tunesien-Sein, Ägypten-Sein im Vordergrund stand. Während in Syrien wir es mit einer Vielzahl verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen zu tun haben. Und nachdem der Aufstand ausgebrochen war, gingen dann die Kämpfe zwischen diesen Gruppen sehr schnell los.
Der andere Grund ist, dass die Systeme, die politischen Regime sehr unterschiedlich aussahen. Das Militär insbesondere war in Syrien doch sehr stark unter der Direktion des Präsidenten selbst und konnte sich nicht selbstständig machen, und hat sofort alles niedergeschlagen, was an Aufstand sich abspielte. Während in Ägypten sich das Militär selbstständig machte, das Regime zeitweise fallenließ, dem Volk eine Weile lang Möglichkeiten gab, Demokratie zu üben, und erst, nachdem das dann gescheitert war, sich wieder an die Macht brachte. Und in Tunesien war das Militär grundsätzlich von vornherein zu schwach, um eine Arabellion, einen Arabischen Frühling niederzuschießen.
Hilfe muss der Bevölkerung zugutekommen
Brink: Sie haben ja gesagt, man muss das Positive stützen, also diesen Gedanken, der sich ja in Tunesien dann irgendwie noch fortsetzt, wie wir sehen. Wie kann man das stützen oder sehen, dass diese zarte Pflanze sich weiterentwickelt?
Loewe: Das kann man insbesondere dadurch tun, dass man die Fehler der Vergangenheit vermeidet. Wir haben ja die arabischen Staaten stark durch verschiedene Instrumente gestützt. Wir, damit meine ich die Länder des Westens. Das Problems ist bei dem, was wir in der Vergangenheit gemacht haben: Wir haben sehr viel mehr die Regime gestützt um der Stabilität in der Region wegen, anstatt die Länder zu stützen, anstatt die Länder zu stabilisieren, den Bevölkerungen zu helfen. Dieser Fehler muss vermieden werden. In Zukunft müssen wir darauf achten, dass unsere Unterstützung dieser Länder eben nicht wieder autoritäre Regime stärkt und stützt, sondern in erster Linie der Bevölkerung zugutekommt.
Brink: Aber das klingt jetzt unglaublich plausibel, wenn ich aber dann nach Libyen gucke, ist es ja eigentlich doch fatal gelaufen. Weil, was haben wir denn damit gewonnen, dass ein Staat zerfällt?
Loewe: Das ist vollkommen richtig. Unsere Intervention ist ja aber genau in die Richtung gelaufen, dass wir sämtliche bestehende Ordnung, die noch dagewesen ist, kaputt gemacht haben, ohne dass wir dann einen Plan dafür hatten, auch eine neue Ordnung wieder aufzubauen danach. Gerade Libyen war ja ein ganz besonders fragiles Wesen, was im Prinzip alles auf den Diktator Gaddafi hinausgelaufen ist. Und gerade in Libyen wäre es wichtig gewesen, dass man einen Plan für nach der militärischen Intervention gehabt hätte.
"Vorsichtig Unterstützung leisten"
Brink: Das ist ja immer wichtig, wir haben ja ein vitales Interesse auch daran, dass in diesen Regionen stabile Verhältnisse herrschen. Was ist zu tun?
Loewe: Es geht darum, dass wir vorsichtig Unterstützung leisten auf Gebieten, wo die sozioökonomische Entwicklung der Bevölkerung gestützt wird, in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Sozialpolitik, in den Bereichen bessere Regierungsführung, transparentere Administration, bessere Gerichtsbarkeit, bessere Verfassungen, bessere Gesetze. Hier müssen die Länder auf dem Weg der Reformen unterstützt werden und nicht so sehr die Staaten selbst. Was ...
Brink: Also nicht nur Tunesien, sondern Sie meinen damit alle?
Loewe: Ich meine damit alle Länder, ich meine damit auch Länder wie Ägypten oder Marokko, die ja nach wie vor autoritäre Regime sind. Auch hier sollten wir uns nicht zurückziehen, wir sollten aber vorsichtig sein, dass wir nicht kurzfristig stabilisieren, sondern langfristig.
Brink: Vielen Dank, Markus Loewe vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Und wir sprachen über den Arabischen Frühling oder das, was von ihm übrig geblieben ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.