Tunesien

Mit Cannabis aus der Wirtschaftskrise

04:02 Minuten
In Plastikfolie eingewickelte Blöcke mit Cannabis, die von der tunesischen Polizei im Kofferraum eines Autos gefunden wurden.
100 Kilogramm beschlagnahmtes Cannabis: Noch gelten in Tunesien harte Anti-Drogen-Gesetze. © imago / Chokri Mahjoub
Von Jens Borchers |
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100 Millionen Euro Umsatz und 3000 neue Arbeitsplätze bereits im ersten Jahr: Cannabis sei wie Gold, prognostiziert Kais Ben Halima. Seine "Partei des Blattes" kämpft für eine Legalisierung in Tunesien und erhofft sich vom Anbau einen Wirtschaftsboom.
Im Oktober wird in Tunesien ein neues Parlament gewählt. Schon jetzt formieren sich neue Parteien und versuchen, sich auf den Wahlkampf vorzubereiten. Unter diesen politischen Gruppierungen sticht die "Partei des Blattes" heraus. Ihr etwas eigentümlicher Name hat einen konkreten Hintergrund: Die Partei will sich für die Legalisierung von Cannabis einsetzen. Das ist der zentrale Punkt ihres Programms. Warum?
Kais Ben Halima ist 36 Jahre alt, Jurist und offensichtlich auch ein Optimist. Ben Halima ist überzeugt davon, dass er und seine Parteifreunde beste Chancen haben, ins tunesische Parlament gewählt zu werden.
"Wir haben sehr gute Chancen", sagt der Mann mit dem langen schwarzen Bart. Warum? Kais Ben Halimas Rechnung geht so: Cannabis oder Hasch interessierten junge Tunesier. Erstens, weil viele es selbst konsumierten, und zweitens, weil Cannabis eine wirtschaftliche Perspektive eröffne. Und die jungen Wähler seien die Mehrheit in Tunesien. Deshalb habe die "Partei des Blattes" gute Chancen bei der Wahl, sagt Ben Halima. Wie der tunesische Staat bisher mit Cannabis umgeht, findet er absurd:
"Es ist unsinnig, Haschisch-Konsumenten immer noch als Kriminelle zu behandeln", sagt er. "Es ist unsinnig, dass der Staat die gefährlichste Droge - Alkohol - verkauft und besteuert. Oder Tabak, der viel gefährlicher ist als Haschisch und alle möglichen Krankheiten verursacht. Das ist irrational."

Jeder dritte Häftling sitzt wegen Haschisch-Konsums

Bis vor zwei Jahren wurde der schlichte Konsum von Haschisch mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Die Folge: Etwa ein Drittel aller tunesischen Gefangenen sitzt deswegen hinter Gittern. Kais Ben Halima behauptet, mehr als drei Millionen Menschen benutzen trotz des strengen Verbotes Haschisch. Das wäre ein Viertel der gesamten Bevölkerung Tunesiens. Über diese Zahlen wird gestritten, allein schon weil unklar ist, wer wie regelmäßig eine Tüte raucht. Unbestritten ist allerdings: Cannabis ist ein heiß diskutiertes Thema in Tunesien. Kais Ben Halima und seine Partei zielen vor allem auf die wirtschaftliche Ausbeutung. Ben Halima verweist auf Kalifornien, Israel oder Uruguay. Länder, in denen der Cannabis-Anbau für medizinische Zwecke massiv vorangetrieben werde.
"Fünf afrikanische Staaten diskutieren zur Zeit die Legalisierung. Die Welt entwickelt sich weiter, weil man erkennt, dass das wie Gold ist."
Die tunesische Partei des Blattes will errechnet haben, dass mit dem legalen Anbau von Cannabis im Land allein im ersten Jahr etwa 100 Millionen Euro Umsatz und ungefähr 3000 Arbeitsplätze entstehen könnten. Und zwar in den ländlichen Regionen Tunesiens, in denen es bisher extrem schwer ist, irgendeinen einen Job zu finden. Kais Ben Halima plädiert für die industrielle Ausbeutung von Cannabis, beispielsweise um Stoffe oder Papier herzustellen. Und dann gebe es ja auch noch die Chance, einen Teil des tunesischen Tourismus auf Haschisch auszurichten – Holland sei dafür ein gutes Beispiel.

Ben Halima hofft auf einen Wirtschaftsboom

Natürlich bekommen Kais Ben Halima und seine Partei ordentlich Gegenwind: Die Gegner beschreiben die negativen Folgen regelmässigen Haschisch-Konsums, die damit verbundene Kriminalität. Naja, sagt Ben Halima, die Legalisierung würde jedenfalls Schmugglern und Dealern schaden. Bisher wird in Tunesien nur wenig Cannabis angebaut:
"Es gibt gewisse Anpflanzungen gewisser Banden, die das heimlich machen. Aber man sollte sehen, dass da ein legaler Markt ist."
Diesen Markt soll Tunesien bedienen. Die klimatischen Bedingungen für den Cannabis-Anbau seien super, landwirtschaftliche Fläche ausreichend vorhanden. Ben Halima und seine Parteifreunde versprechen sich und den Wählern einen Wirtschaftsboom – wenn sie die "Partei des Blattes" wählen. Der Name "Partei des Blattes" hat natürlich mit den Blättern der Haschisch-Pflanzen zu tun. Aber Kais Ben Halima fallen auch noch ein paar andere Bedeutungen ein:
"Das kann für das weiße Blatt Papier stehen, auf dem ein neuer Gesellschaftsvertrag geschrieben wird. Oder für die rote Karte, die man den politischen Parteien zeigen will, die bisher nichts hingekriegt haben."
Die Partei des Blattes muss bis zur Wahl im Oktober ihre Botschaft unters Wahlvolk bringen. Dann entscheidet sich, ob die Cannabis-Politik Erfolg hat oder zum Horrortrip wird.
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