Turiner Schatztruhe im Palazzo Madama

Von Thomas Migge |
Das Museum gilt mit Kunstwerken aus 2000 Jahren Kulturgeschichte und einer Bibliothek von unschätzbarem Wert als eines der reichsten in Italien. Mitten in der Altstadt von Turin erhebt sich der Palazzo Mama, der als Heimatstatt der Schätze nicht nur renoviert, sondern auch in seinem Untergrund archäologisch erforscht und zugänglich gemacht wurde.
Ein seltsamer Palazzo. Auf der einen Seite sieht er aus wie ein Barockschloss, wie ein etwas zu klein geratenes Barockschloss, denn es scheinen die Seitenflügel zu fehlen. Von einer anderen Seiten aus betrachtet, wirkt das Gebäude wie eine Burg aus dem Mittelalter, mit Wehrmauern und Schießscharten. Kurios sind zwei Türme, die so gar nichts Mittelalterliches an sich haben, sondern an ein Tor aus dem römischen Reich erinnern.

Auch der Ort, an dem sich der Palazzo Madama erhebt, ist seltsam: mitten in der Altstadt von Turin und mitten auf dem riesigen Platz Piazza Castello. Doch da der Abstand zwischen dem Palazzo Madama und den anderen Gebäuden auf der Piazza immens ist, entsteht auf allen vier Seiten ein großer Freiraum, der den Eindruck erweckt, als ob der Palazzo eine freistehende Skulptur sei - die er auch, wenn man es genau nimmt, ist, denn wohl kein anderes Gebäude Turins, Piemonts und vielleicht auch Italiens repräsentiert auf so faszinierende Weise 2000 Jahre Bau- und Kulturgeschichte, meint Enrica Pagella, Direktorin des Palazzo Madama in Turin:

" Die Geschichte des Palazzo Madama reicht bis ins 1. Jahrhundert nach Christus zurück. Eine Teil der Außenmauern dieses Gebäudes war Teil eines der größten Stadttore von Augusta Taurinorum, jener Stadt, aus der später Turin wurde. Es handelt sich um jenes Tor, von dem aus man nach Rom weiterreiste. Nach dem Ende des römischen Reiches wurde dieses Tor zu einer Verteidigungsanlage. Im Keller haben wir auch noch eine fast komplett erhaltene römische Straße."

Eine antike Straße, die der Besucher des Palazzo Madama gleich am Eingang bestaunen kann. Beim Gang durch die Säle und Flure, die Kammern und Treppenhäuser bekommt man die architektonischen Verwandlungen dieses Gebäudes zu sehen. Im 13. Jahrhundert wird es zu einer Burg und 100 Jahre später zu einer königlichen Residenz für das Haus Savojen ausgebaut.

1637 lässt sich Maria Christina von Frankreich in der Burg nieder, die fortan Palazzo Madama genannt wird, um sich dem ihr feindlich gesinnten Savojenhof zu entziehen. 60 Jahre später beginnt Maria Giovanna Battista von Savojen-Nemours, die Witwe von König Carlo Emanuele II., mit dem prachtvollen Umbau, der vor allem von dem barocken Architekturzauberer Filippo Juvarra realisiert wird, der wie kein anderer Einflüsse des verspielten römischen mit dem strengen französischen Barock zu verbinden wusste und damit einen ganz neuen Stil, den turiner Barockstil, schuf.

Enrica Pagella: " Die Umwandlung in einen königlichen Palast führte dazu, das aus der Burg eine der prächtigsten Residenzen Italiens wurde. Eine Residenz, die von König Carlo Alberto von Savojen im 19. Jahrhundert zu einem Museum gemacht wurde, in dem die Schätze Piemonts ihren Platz fanden. Das Haus kam später sehr herunter und so erklärt es sich, dass wir es lange restaurieren mußten. Eine Totalrestaurierung. "

Die Kunstsammlungen sind heterogen: Gezeigt werden Meisterwerke aus den Sammlungen der Königsfamilie der Savojen: 1.070 Bronzeskulpturen aus der Zeit zwischen dem 13. und dem 19. Jhdt., 4.000 alte Keramiken, 6.000 Zeichnungen, 1.800 Holzskulpturen, 1.000 Gemälde etc. etc... Nur ein Teil, zirka 7.000 Exponate, werden in den Ausstellungssälen gezeigt - von denen die meisten, wie der Festsaal, der Senatssaal, die barocken Räumlichkeiten im ersten Stock und das monumentale Treppenhaus von Filippo Juvarra, schon für sich allein einen Besuch lohnen: barocke Pracht vom Feinsten, so perfekt restauriert, dass man sich wie im 18. Jahrhundert. fühlen kann, frohlockt Museumsdirektorin

Enrica Pagella: " Sämtliche historischen Fußböden wurden entfernt, restauriert und wieder installiert. Jede noch so kleinste Verzierung im Palazzo wurde in ihren Originalzustand zurückversetzt. Eine Sisyphusarbeit. In den prächtigsten Sälen sowie in den römischen Türmen zeigen wir unsere Schätze, darunter Werke von Antonello da Messina, das Stundenbuch von Jean de Berry, Bilder von Jan Van Eyck. Wie Sie sehen: wir haben uns wirklich um alles gekümmert. "

Die Arbeiten haben zwar ganze 18 Jahre gedauert, dafür waren sie aber - für italienische Verhältnisse - sehr gründlich. In einem der ehemaligen Türme des altrömischen Stadttores wird ein ganz besonderer Schatz ausgestellt: Goldschmuck aus verschiedenen Jahrhunderten. Die ältesten und vielleicht schönsten Stücke stammen aus byzantinischer und spätantiker Zeit. Komplett zu sehen ist jetzt endlich einer der Höhepunkte des Museums: der Schatz von Desana. Es handelt um einen Schmuckschatz aus ostgotischer Zeit, aus dem 6. Jahrhundert., der bei Vercelli, im Piemont entdeckt wurde und komplett erhalten geblieben ist.