Turner Prize 2019
Ausstellung von Werken der Nominierten
28. September 2019 - 12. Januar 2020
Rendezvous, Margate CT9 1HG, Großbritannien
Eine Sensation in der Kunstwelt
06:31 Minuten
Der diesjährige Turner-Preis geht zum ersten Mal in seiner Geschichte an alle vier Nominierten - und zwar auf deren ausdrücklichen Wunsch. Kritiker Carsten Probst sieht in der Preisverleihung aufgrund aktueller Trends eine gewisse Plausibilität.
Im Vorfeld der diesjährigen Preisverleihung zum Turner-Preis hatten die vier Nominierten die Jury aufgefordert, den Preis nicht an eine einzelne Person zu vergeben, sondern im Zeichen von "Gemeinsamkeit, Vielfalt und Solidarität" an alle Nominierten. Die Jury ist diesem Wunsch einstimmig nachgekommen und hat die britischen Künstlerinnen Tai Shani und Helen Cammock, sowie den britisch-libanesischen Künstler Lawrence Abu Hamdan und den Kolumbianer Oscar Murillo.
Von einem "Kollektiv", wie sie der Jury-Sprecher bezeichnet habe, könne man bei den vier Preisträgern aber nicht sprechen, sagt unser Kritiker Carsten Probst. Dazu seien ihre Positionen zu unterschiedlich. Man habe hier aber einen Fall, bei dem die Künstler die Preisvergabe quasi selbst in die Hand genommen hätten.
Zunehmende Politisierung des Kunstmarkts
"Das ist ein Novum bei einem Preis, der schon von sich aus, seit seiner Gründung in den 80er-jahren, immer wieder versucht hat, Trends zu setzen oder zumindest Trends zu stärken, die auf die Gegenwartskunst zielen. Aber mit so einer Geste, wie wir sie jetzt erlebt haben, damit kann man überhaupt nicht rechnen." Wenn man sich aber den Vorlauf und die Debatten der letzten Monate anschaue, sei es doch relativ plausibel. "Da gab es zum Beispiel die Sackler-Debatte um Kunst- und Kultursponsoring durch Firmen oder reiche Sammler mit fragwürdigen Geschäftsmodellen. Der Turner Preis selber hatte eine Debatte, weil einer seiner Förderer homophobe Äußerungen gemacht hatte", erklärt Probst.
Hinzu komme eine Hierarchisierung des Kunstmarktes, die Künstlern zunehmend sauer aufstoße. Der Kunstbetrieb selber sei inzwischen enorm politisiert. Auch habe der Turner-Preis in den letzten Jahren verstärkt versucht, Minderheiten zu stärken, gegen Diskriminierung zu wirken und für das soziale Engagement von Künstlern.
Das seien Gründe, warum sich die Bedeutung des Preises gehalten habe. "Man hat immer auf den Turner Preis geschaut, weil man wusste, das reflektiert das, was jetzt gerade eigentlich diskutiert wird. Und so ist es, wie gesagt, dieses Mal auch, nur das offenkundig die Künstler selber einen Teil der Kontrolle übernommen haben", so Probst.
Für ihn persönlich sei Lawrence Abu Hamdan der schärfste Anwärter auf den Preis gewesen, sagt Probst. Das habe sich auch in der englischen Presse gespiegelt.
"Das lag vor allem eben daran, dass seine Installation emotional tief berührt und zugleich hoch konzeptionell ist." Porbst zufolge versteht er sich als eine Art künstlerischer Akustiker und hat eine Recherche zu einem Foltergefängnis des Assad-Regimes in Syrien gemacht, bei dem er dann ehemalige Insassen interviewt hat und versucht hat, deren Erinnerungen, die meistens nur akustische Erinnerungen waren, durch Imitation der Geräusche, die sie damals wahrgenommen hatten, zu reaktivieren. "Das ist sehr ergreifend, weil er das in Filmen, aber auch in Geräuschen festgehalten hat, in diesem 'Soundarchiv'. Das ist eine Herangehensweise, die so ungewöhnlich ist, dass man das ohne weiteres auch hätte auszeichnen können."