Rechtliche Regeln und moralische Verpflichtungen
Bei der Klärung von Raubkunst-Fragen stehen die Erben der Opfer in Verhandlungen mit den Rechtsnachfolgern der Täter. Diese Fälle berühren sowohl Recht als auch Moral - und werden die Fachleute noch lange beschäftigen, zeigte eine Raubkunst-Tagung in Tutzing.
Sie fällt – bildlich gesprochen – aus dem Rahmen, die Debatte über die Raubkunst. Denn eigentlich ist der Umgang mit der NS-Zeit mittlerweile ritualisiert, sagt der Historiker Axel Drecoll vom Münchner Institut für Zeitgeschichte. Mit Gedenktafeln, Jahrestagen, Zeremonien wird den Schrecken des Nationalsozialismus, der dunklen Zeit gedacht. Aber beim Thema Raubkunst stehen die Erben der Opfer plötzlich wieder in Verhandlungen mit den Rechtsnachfolgern der Täter – Kommunikation also statt Rituale, sagt Drecoll:
"Und ich glaube, so pauschal das jetzt ist, ich glaube, die ganze Aufregung bei dem Thema Kunstraub – auf einmal sind wir wieder mitten in der Verhandlung und in Für und Wider, das kennen wir vom Nationalsozialismus vom normalen Umgang ja gar nicht mehr, weil da eigentlich Konsens besteht, wie verdammenswert das ist."
Doch der Umgang mit der Raubkunst ist kompliziert: Eigentlich wären diese Fälle der Nazi-Zeit längst verjährt. Die Bundesrepublik Deutschland hat aber1998 wie viele andere Staaten die Washingtoner Erklärung unterzeichnet, eine Selbstverpflichtung, während der Nazizeit beschlagnahmte Kunstwerke zurückzugeben. Museen in öffentlicher Hand, Archive und Bibliotheken können sich seitdem eben nicht mehr darauf berufen, dass die Ansprüche der Vorbesitzer verjährt sind.
Für Privatbesitzer, die Raubkunst bei sich zu Hause stehen haben, gilt die Washingtoner Erklärung erst einmal nicht. Johannes Nathan, Kunsthändler und Kunstmarktforscher in Potsdam und Zürich sagt dazu: Die Washingtoner Erklärung ist für Privatleute sogenanntes Soft Law – also keine bindende Regel, aber eine moralische Verpflichtung. Privatsammler bräuchten dafür aber einfach mehr staatliche Hilfestellung bei der Provenienzforschung, also der Spurensuche nach der Herkunft der Kunstwerke, nach Vorbesitzern und Käufern.
"Es gibt auch tatsächlich einen handfesten Anreiz dafür es zu tun, weil es heute zunehmend schwierig wird, sich von Kunst auf dem Markt zu trennen, die eine ungeklärte oder belastete Provenienz hat. Und aus diesem Grund sehen zunehmend auch die Privatbesitzer, dass es eine Notwendigkeit gibt."
Aber gerade in Zweifelsfällen sind die Privatbesitzer doch ein bisschen zurückhaltender damit, Kunstwerke zu restituieren, als die Museen, das glaubt auch Johannes Nathan. Und Zweifelsfälle gibt es viele. Konflikte auch. Schließlich sind nicht immer von Anfang an alle Vorbesitzer der Kunstwerke bekannt und in den wenigsten Fällen ist klar, ob einer von ihnen das Werk unter Zwang abgeben musste.
Zeitaufwendige, manchmal aussichtslose Detektivarbeit
Wer die Provenienz erforschen will, muss oft Archivalienkataloge wälzen, in Archive in ganz Deutschland reisen, Akten auswerten und sich Schritt für Schritt zurückarbeiten in der Geschichte des Kunstwerks. Es ist Detektivarbeit. Zeitaufwändige, manchmal aussichtslose Detektivarbeit – oft genug gibt es am Ende Indizien dafür, dass das Objekt Raubkunst ist, der Beweis bleibt aber aus. Jutta Limbach hat viel mit solchen Fällen zu tun: Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts leitet heute die so genannte Limbach-Kommission beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg:
"Die Kommission empfiehlt in Konfliktfällen, wie eine nach ihrer Meinung faire und gerechte Lösung aussehen sollte. Das sind also im Grunde genommen, weniger juristische als vielmehr moralische Reflektionen, wo insbesondere die Tatsache eine Rolle spielt, dass nach so vielen Jahren, 70 Jahre danach, solche Beweisschwierigkeiten vorhanden sind, dass man eigentlich die wenigsten Fälle absolut klären kann."
Die Kommission vermittelt allerdings nicht, wenn sich zwei Privatpersonen um das Kunstwerk streiten, sie wird auch nur dann tätig, wenn sie von beiden Seiten angerufen wird, sie spricht nur Empfehlungen aus – die Entscheidungen sind rechtlich nicht bindend. Durch ihre Empfehlungen soll es zu einer fairen und gerechten Lösung kommen – auch das klingt eher unbestimmt …
"Aber ich denke es war nach so vielen Jahren wirklich nichts anderes möglich, als die Aufgaben der Museen, derjenigen, die die Bilder haben und der beratenden Kommission so offen zu umschreiben. Es gibt uns dann nämlich die Möglichkeit bei dieser fairen und gerechten Lösung auch die Beweisschwierigkeiten zu berücksichtigen."
Das heißt: Die Kommission empfiehlt immer wieder auch dann die Restitution eines Bildes, wenn es nur deutliche Hinweise darauf gibt, dass es sich um Raubkunst handelt – aber keine Beweise. Wenn am Ende ein starker Verdacht da ist, aber Fragen offen bleiben, ist eine Restitution moralisch naheliegend. Für die Museen ist das keine einfache Situation, sagt der Historiker Axel Drecoll.
"Wann hat denn der jüdische Sammler das Bild wirklich verloren? Unter welchen Umständen? Hat er es überhaupt nach 33 verloren oder war es nicht kurz vor 33? Da haben wir häufig überhaupt keine Unterlagen mehr. Es ist ganz schwierig, das genau zu eruieren. Es ist daher für Museen – so zumindest mein Eindruck – deutlich schwieriger zu sagen, wir restituieren nicht, weil uns einfach die Faktenlage zu unklar ist, als zu sagen, wir restituieren es, weil wir tun uns in der Öffentlichkeit immer leichter zu sagen, wir geben es zurück, weil das Skandalierungspotenzial enorm ist, wenn wir sagen, nein, das tun wir nicht."
Und Irrtümer können passieren sagt auch Kunsthändler Johannes Nathan. All diese Eigentumsfragen werden die Fachleute noch lange beschäftigen, dass sich jemals alle Fälle klären lassen, ist sehr unwahrscheinlich, zu lange liegt die NS-Zeit mittlerweile zurück. Klar ist aber: Die Diskussion um die Raubkunst muss weitergehen. Denn immer noch warten Betroffene und ihre Erben auf Gerechtigkeit.