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"Das einzige, was zählt, ist die Einschaltquote"

Moderation: Matthias Hanselmann |
Erstarrt, fantasielos und fixiert auf die Quote: Der Regisseur Dominik Graf stellt den öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen ein verheerendes Zeugnis aus - und warnt vor einer drohenden "Selbstentleibung" der Sender.
Matthias Hanselmann: "Es werde Stadt – 50 Jahre Grimme-Preis in Marl", so der Titel eines Essayfilms von Dominik Graf und Martin Farkas zum Zustand des Fernsehens in Deutschland. Ich konnte kurz vor der Sendung mit dem berühmten Film- und Fernsehregisseur Dominik Graf sprechen zu diesem Film, und meine erste Frage – am Anfang des Films wird der Satz gesagt: Was haben wir das Fernsehen geliebt. Ist dies der Anfang eines Nachrufes, wie es der Medienjournalist Stefan Niggemeier geschrieben hat?
Dominik Graf: Ich weiß nicht. Ich habe es eigentlich nicht als Nachruf empfunden und ich glaube, der Martin auch nicht. Was wir wollten, war, einfach darauf hinzuweisen, dass das Fernsehen ohne Not Positionen, vor allem formale und sagen wir mal formalistische Positionen aufgegeben hat, die sie sich früher leisten konnten und die damals dazu geführt haben, dass man das Fernsehen doch eigentlich sehr ins Herz geschlossen hatte.
Hanselmann: Es wird viel geträumt, besonders im ersten Teil Ihres Films, von den guten alten Fernsehzeiten, von "Mr. Ed", dem sprechenden Pferd, von der "Sesamstraße", vom Testbild, dem nächtlichen Flimmern, dem Schneegeriesel, das uns damals sagte, gute Nacht, Leute, Programm zu Ende, morgen ist ein neuer Fernsehtag. Wie haben Sie denn als Kind und Jugendlicher selbst das Fernsehen erlebt?
Eine halbe Stunde Fernsehen am Tag
Graf: Na, das war natürlich sehr limitiert, also in einem bürgerlichen Haushalt durfte man damals nur ungefähr eine halbe Stunde pro Tag sehen als kleineres oder schon etwas größeres Kind, und eigentlich habe ich die volle Fernsehdröhnung dann erst genossen, als ich aus dem Haus war und mir selber einteilen konnte und durfte, wann ich fernsehe und was ich sehen will und was nicht.
Hanselmann: Von dem, was Sie selbst erlebt haben und auch in Ihrem Film beschreiben – wie viel davon ist Verklärung der Vergangenheit, und wie viel ist wirklich berechtigte, sagen wir mal, Trauer um ein Fernsehen, das es heute so nicht mehr gibt?
Graf: Ich glaube, dass überhaupt nichts davon Verklärung ist. Ich glaube, dass das Fernsehen 100-prozentig auf einem höheren Standard war, sowohl intellektuell als auch ästhetisch und emotional. Verklärt wird da gar nichts. Ich versuche ja auch, an Beispielen im Gegensatz zu heutigen, was weiß ich, allein Logos, Logos von ZDF-Sendungen zu erklären, dass einfach jegliche Fantasie verlorengegangen ist und man das offenbar auch gar nicht mehr für notwendig hält, die Leute so zu locken, dass sie tatsächlich etwas sehen, was sie noch nicht gesehen haben. Inzwischen werden sie damit gelockt, dass sie etwas sehen, was sie so schon 100 Mal gesehen haben. Das ist einfach ein Riesenunterschied. Mit Verklärung hat das gar nichts zu tun.
Hanselmann: So hört man denn auch in Ihrem Film von ehemaligen und heute noch leitenden Verantwortlichen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wie beispielsweise Bettina Reitz, der Fernsehdirektorin des Bayrischen Rundfunks, Dinge wie: "Das Fernsehen ist ein Medium der Bequemlichkeiten geworden, der künstlerisch-kreative Spielraum wird immer kleiner", und noch, wie ich finde, deprimierender: "Ich glaube, wir können uns gar nicht mehr so viel selber helfen, ich glaube, man muss uns von außen zwingen", das sagt Barbara Buhl, Fernsehchefin des WDR. Das klingt ja, als hätten die Verantwortlichen ihre Ressorts überhaupt nicht mehr selbst im Griff, als seien sie irgendwie fremdbestimmte Marionetten.
Kreativität der Redakteure immer mehr eingeschränkt
Graf: Ich glaube, dass von oben aus einer apparatschikhaften, sagen wir mal, Organisation heraus das Fernsehen permanent quasi par Ordre du Mufti sich dahin wenden soll, wo die, was weiß ich, die Intendantur oder wer auch immer das sein mag das so gerade sich vorstellt. Das erlebt man ja jetzt auch beim BR, wird ja auch von der Bettina Reitz kommentiert. Ich glaube, dass das, worauf es wirklich ankommt und worauf vor allem Rohrbach ja auch abzielt, die Kreativität der Redakteure – denn die Redakteure sind kreativ ihrer Definition nach –, dass die immer mehr eingeschränkt wird, dass die Filme nicht mehr … dass die alle gleich lang sein müssen, dass sie bestimmten Standards sozusagen allein schon in der Dramaturgie inzwischen genügen müssen. Es gab ja genug Süßstoff und andere Dramaturgiepapiere, die dann als, ja, auch als orders, als Gesetze ausgegeben wurden in den 90er- und den 00er-Jahren. Ich denke einfach, dass das Fernsehen auf dem Weg ist, zu erstarren komplett, und auch für alle Erstarrungsgründe wiederum erstarrte Begründungen formulieren kann, warum es denn nicht anders sein muss, anders sein kann, als es jetzt sein muss. Und das kann natürlich irgendwann tatsächlich zur Selbstentleibung führen.
Hanselmann: Dazu passt gut, dass die Produzentin Katja Herzog, 38 Jahre alt, sagt: "Mein Zuschauer ist gute 60 Jahre alt, das heißt im Prinzip, ich muss meinen Eltern Geschichten erzählen", sprich, die Zielgruppe ist oft doppelt so alt wie die Macher. Werden wir in dieser Erstarrung, die Sie nennen, werden wir mit der leben müssen und die Fernsehmacher auch, auf ewig, so lange es noch öffentlich-rechtliches Fernsehen gibt?
Quotenzwänge en masse
Graf: Es wirkt im Augenblick so, als seien seit den 90ern sozusagen Zwänge, Formalzwänge, juristische Zwänge, Copyright-Zwänge, was auch immer, Quotenzwänge quasi en masse eingeführt worden, die das Fernsehen absolut so bleiben lassen wollen, wie es ist. Und wenn es mal geändert wird wie jetzt dort mit der Öffnung zum Internet, dann kommen neuerliche Zwänge, die aber auch dann so auf die Kreativen weitergegeben werden, die Gelder werden immer nur da gestrichen, wo eigentlich Programm gemacht werden muss. Ich glaube, dass das Fernsehen tatsächlich im Begriff ist, sich selber einzuzementieren in eine Position, aus der es eventuell dann nicht mehr rauskommt.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", ich spreche mit dem Film- und Fernsehregisseur Dominik Graf, der zusammen mit dem Kameramann Martin Farkas den Film "Es werde Stadt – 50 Jahre Grimme-Preis in Marl" gemacht hat. Herr Graf, wie der Titel sagt: Sie verquicken in diesem Film die Geschichte der Stadt Marl, wo ja seit jetzt 50 Jahren der Grimme-Preis verliehen wird, mit der Geschichte des deutschen Fernsehens. Wo liegen da die Vergleichbarkeiten, die Parallelen?
Graf: Eigentlich in den großen Anfängen, also in dem, was gewollt war, in dem, was erwähnt war, in der Utopie, überhaupt in dem Wagnis einer Utopie, Fernsehen damals als Volksbildung sozusagen begriffen, so zu machen, wie man sich das vorstellt, als ein demokratisches Erfüllungsmedium in gewissem Sinn, vielgestaltig, formal gewagt und lehrreich auch, wenn Sie so wollen. Das kann man vergleichen, denke ich, mit der Art und Weise, wie so eine, ja, Retortenstadt aus dem Boden gestampft wurde, allerdings mit teilweise höchsten architektonischen Ansprüchen. Das wollte irgendwo hin, das wollte Gemeinschaft, Gesellschaft, das wollte Diskurs und offene Auseinandersetzung, und das wollte eben auch das Abseitige mit dem Populären in Einklang bringen, und nicht für alles, was ein bisschen anders ist als der Mainstream sozusagen einen Spartensender eröffnen. Das hat sich inzwischen geändert.
Hanselmann: Aber eben auch durch großen Druck durch die privaten Anbieter.
Private konnten wirkliche Quoten erzielen
Graf: Ja, der große Druck der privaten Anbieter, das war natürlich erst mal ein Schock, dass die tatsächlich dann irgendwann, nachdem man sie zunächst nicht ernst genommen hatte, dann wirkliche Quoten erzielen konnten, auch oft mit erkauften Dingen wie Fußball und so weiter. Und daraufhin hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen dann aber eben mit einer Sklerotisierung und einem ständigen Aufstellen von Programmatik und, wie soll man sagen, also Gesetzgebungen reagiert, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen, denen mehr geschadet haben als die Privaten, glaube ich. Also die eigenen Torturen, die sich die Öffentlich-Rechtlichen danach dann angetan haben, haben sie mehr beschädigt.
Hanselmann: Das wird sehr sinnlich, sehr plastisch geschildert in Ihrem Film mit dem Aufkommen der "Schwarzwaldklinik".
Graf: Ja.
Hanselmann: Sehen Sie, da reicht das Wort "Schwarzwaldklinik" und Sie müssen lachen! War das der Anfang vom Ende?
Graf: Nein. Die "Schwarzwaldklinik" ist ein, wie soll man sagen, ist ein Symbol. Die arme "Schwarzwaldklinik" oder das arme "Traumschiff" kann nichts dafür, dass es heute in gewisser Weise quasi ein Synonym ist für den Moment, wo die Öffentlich-Rechtlichen angeblich einen anderen Weg gegangen sind. Man sieht ja auch an Herrn Janke und seiner Reaktion im Nachhinein noch mal darauf, als wäre da so etwas wie ein Amüsement darüber, dass da plötzlich eine Sendung eine so unglaubliche Quote hatte, dass alle geschockt waren, sowohl im positiven wie im negativen Sinn. Aber es ist halt doch ein Menetekel in gewisser Weise gewesen, da können diese Filme gar nichts dafür. Es hat den Weg irgendwo hin gezeigt, wo er nicht unbedingt so heftig hätte hingehen müssen. Und es hat Begehrlichkeiten geweckt, glaube ich, in den oberen Etagen, die dann in der Konsequenz dann doch fatale Wirkung hatten.
Hanselmann: Nämlich Quotenbegehrlichkeiten.
"Das Einzige, was zählt, ist die Einschaltquote"
Graf: Ja, dass die Quote, die ja auch eine sehr einfache und sehr schlichte und auch nicht unbedingt immer nachvollziehbare Feststellungsform des Zuschauerinteresses ist, eben letzten Endes als Einziges gilt. Und das muss sich auch der Grimme-Preis klarmachen, dass er längst nicht mehr in der Lage ist, durch seine Wahl, durch seine Kür diejenigen, die er da wählt und kürt sozusagen auch wirklich zu rechtfertigen. Es gibt sehr viele Abteilungen in den Sendern, die auf diese Preise überhaupt nicht reagieren. Das ist ihnen vollkommen egal. Das Einzige, was zählt, ist die Einschaltquote.
Hanselmann: Ihr Film beginnt, wie gesagt, mit dem Satz "Was haben wir das Fernsehen einst geliebt", und er endet mit der Aussage: "Es geht schlicht um die Verbesserung der Welt – und wir waren schon mal mit allem wesentlich besser." Werden wir denn wieder besser werden können oder ist das Ende der Fahnenstange schon erreicht?
Graf: Wir waren weiter, wir waren einfach in dem Zusammenlegen von Intellektualität und Emotion wesentlich weiter. Wir machen jetzt zu viele Schubladen, wir engen die Sicht auf die Dinge ein, wir werden sozusagen, wenn Sie so wollen, kleiner. Und wir haben schon mal weiter geguckt, unser Horizont auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen war erheblich weiter.
Hanselmann: Sie haben den Film gemacht mit Unterstützung von öffentlich-rechtlichen Sendern. Wie finden Sie es, dass Ihr Film zwar in diversen Programmen gezeigt werden wird, aber jeweils zu nachtschlafender Zeit?
Graf: Damit habe ich gerechnet.
Hanselmann: Tja, und das heißt, heute um 23.15 Uhr im WDR Fernsehen "Es werde Stadt – 50 Jahre Grimme-Preis in Marl" und vielen Dank an Dominik Graf!
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