Wimmelbild einer verstörten Stadt
Guter Marokkaner, schlechter Marokkaner - ganz so einfach macht es sich der neue "Tatort" aus Köln zum Glück nicht. Es geht um Differenzierung und gesellschaftliche Relevanz. Das klingt furchtbar bemüht und ist trotzdem packend. Unsere TV-Kritik.
Ach, wäre Deutschland doch so überschaubar wie das Terrarium, in dem sich eine Schildkröte zum Kunstlicht reckt. Fischfutter fällt ins Wasser, sie frisst es. Alle sind zufrieden.
Die Beziehung eines Zoohändlers zu seiner Schildkröte ist die einzige, die intakt zu sein scheint, im neuen Tatort aus Köln. In der Wohnung des Ladeninhabers liegen Unterlagen für den Waffenschein. Eines von etlichen Details, die die Aug-um-Aug-Stimmung in der einstigen Hauptstadt des Frohsinns in Bilder fasst.
Katerstimmung nach der Kölner Silvesternacht
Die Folge "Wacht am Rhein" ist durchtränkt von der Katerstimmung nach den sexuellen Übergriffen der Kölner Silvesternacht 2015/2016. Mitglieder einer Bürgerwehr patrouillieren durch ein Viertel, in dem auch das Geschäft des Zoohändlers liegt. Ein junger Nordafrikaner soll den Laden überfallen und den Sohn des Inhabers erschossen haben.
Jeder Protagonist zückt die Klischees, die ihm am passendsten erscheinen. Dieter Gottschalk (Sylvester Groth), Anführer der Bürgerwehr, steigt am Tag nach der Tat vorm Laden auf eine Leiter und wütet los:
"Wir sind tolerant, wir sind sehr tolerant. Aber irgendwo ist eine Grenze - und die Grenze die ziehen wir."
Köln, wie es wimmert und kracht
Ein anderer Anwohner fühlt sich von der Hetze, die im Gewand der Höflichkeit daherkommt, angegriffen. Er attackiert den Agitator, die Mutter des Mordopfers geht dazwischen. Bevor die ersten Fäuste fliegen, schmeißt sie die Flugblätter der Wutbürger in die Luft. Sie erkämpft sich ihr Recht zu trauern.
Köln, wie es wimmert und kracht. Sebastian Ko (Regie) und Jürgen Werner (Drehbuch) gelingt mit dem Film, der als Thriller beginnt und als Drama endet, das Wimmelbild einer verstörten Stadt. Trotz einiger Schwächen entwickelt der Tatort einen düsteren Sog, so wie schon in dem Gefängnisthriller "Franziska" (2014), zu dem ebenfalls Werner das Drehbuch schrieb. "Wacht am Rhein" zeigt unbeleuchtete Stichstraßen und beschmierte Wände, vor denen Dealer lauern. Der Dom ist nur noch ein Postkartenmotiv aus alter Zeit.
Bratwurst statt Döner?
Mit "Hätz und Jeföhl", wie der Kölner sagen würde, zeichnen Ko und Werner die Zerrissenheit der Protagonisten. Keine Helden, keine Bösewichte. Vor allem die Protagonisten ohne deutsche Wurzeln wirken in ihrem Ringen um Identität glaubwürdig. Der marokkanischstämmige Adil Faras (Asad Schwarz) schließt sich der Bürgerwehr an und sagt:
"Ich war immer stolz auf mein Land. Unsere Werte, unsere Gastfreundschaft. Es war gut, Marokkaner zu sein. Aber ihr kommt hierher und macht das kaputt."
Es wird gekämpft, geflucht, geschluchzt - und erbrochen. Auch die Kommissare kabbeln sich. Schenk (Dietmar Bär) würde seinen Kumpel Ballauf (Klaus J. Behrendt) am liebsten rausschmeissen, als der sich mit einem fettriefenden Döner in seinen Oldtimer setzt. Die beleidigte Antwort: "Soll ich mir lieber eine deutsche Bratwurst kaufen?"
Chameo-Auftritt von Klaus Doldinger
Der Tatort ist keinesfalls durchgehend brilliant. Die Handlung ist überladen mit Parallelgeschichten. Besagter Marokkaner, der mit dem Verhalten anderer Nordafrikaner ringt, wird selbst zum Rassisten und sperrt einen tunesischen Studenten in seinem Keller ein. Der dunkelhäutige Kollege von Schenk und Ballauf gerät zufällig zwischen die Fäuste der Bürgerwehr. Dann taucht noch eine angebliche sexuelle Belästigung auf, um das Engagement einer flüchtlingsfreundlichen Webdesignerin geht es auch – aber irgendwie auch nicht. Vieles in diesem Film ist einfach zu viel. Die gesellschaftliche Relevanz kommt allzu oft in Erklärbär-Monologen daher. Es geht um den Personalmangel der Polizei, Alltagsrassismus und die Asylbestimmungen für die Maghreb-Staaten.
Trotzdem ist der neue Kölner Tatort ein Gewinn. Weil er viel riskiert und jedem Klischee das Scheitern folgen lässt, jeder Hoffnung aber auch. So entwickelt er seinen Sog. Lustige Scherze am Imbisswagen? Diesmal nicht. Es gibt einen Cameo-Auftritt von Jazzmusiker Klaus Doldinger – dem Erfinder der Tatort-Melodie – das war's mit der Heiterkeit.
Ballauf und Schenk wirken wie vom Leben verkatert, kein Klaps auf den Rücken des Kollegen, keine Flapsigkeit. Die Handschellen klicken im Akkord. Alle sind irgendwie schuld, Opfer sind Täter und umgekehrt. Es ist, als trinke man Wermut aus einem Kölschglas.