Wo bleiben deutsche Politik-Serien?
Die Dänen und Amerikaner haben es vorgemacht: Politische TV-Serien können hochspannend sein. Der deutsche Versuch "Kanzleramt" vor wenigen Jahren floppte. Dabei wäre heute genug Erzählstoff da: Pegida, Einwanderung oder die Kieler Ex-Bürgermeisterin Susanne Gaschke.
Als das ZDF 2005 die Miniserie "Kanzleramt" zeigte, hatte das Serienfieber die meisten von uns noch nicht erwischt. Gut, es existierte bereits "West Wing", die Serie über einen charismatischen und wortgewandten US-Präsidenten. Das "Kanzleramt", ein Kopie von "West Wing", war der Versuch, es den Briten und Amerikanern gleich zu tun. Und man hatte mit Gerhard Schröder ja auch ein charismatisches Vorbild! Doch der Versuch misslang. Keine Quote, schlechte Kritiken. Zuviel Ballast, sagt der Fernsehdramaturg Gunther Eschke. Eine deutsche Serie sollte man lieber nicht im Kanzleramt ansiedeln.
"Man hat das dann immer verglichen. Das Kanzleramt hat auch nicht so einen Mythos wie das Weiße Haus in den USA, das war dann sehr überfrachtet. Der deutsche Zuschauer ist da auch sehr sehr kritisch."
Zumal er inzwischen ziemlich verwöhnt ist: Serien wie "House of Cards" oder "Borgen" haben Suchtfaktor. Und das, obwohl es um die Mühlen des politischen Geschäfts geht! Eines auch im wahren Leben von Intrigen durchzogenen Geschäfts, wie der Grünen-Abgeordnete und bekennende Serienfan Jürgen Trittin bestätigt, oder sollte man lieber sagen "zugibt"?
"Die Botschaft von 'Borgen' ist wahrscheinlich noch eine versöhnlichere, sie menschelt mehr, während bei 'House of Cards' Politik in fast schon Shakespeare’scher Manier auf Macht zurückgeführt wird. Und insofern bin ich fast geneigt zu sagen: 'House of Cards' ist ehrlicher!"
Filmausschnitt aus "House of Cards": "Was mich angeht, ich bin nur der Fraktionsführer unserer Partei... Mein Job ist die Rohre durchzublasen, damit die Scheiße abfließt. Aber ich muss nicht mehr lang den Klempner spielen, ich hab auf das richtige Pferd gesetzt. Geben und Nehmen. Willkommen in Washington!"
"House of Cards" - eine düstere, kalte Serie
Im Prinzip ist "House of Cards" der Rachefeldzug des zu kurz gekommenen Kongressabgeordneten Frank, gespielt von Kevin Spacey: eine düstere, kalte Serie, die als deutsche Version hier niemals die nötige Quote erreichen würde, sagt Fernsehdramaturg Gunther Eschke. Zu komplex, zu ungewöhnlich in der Erzählweise, dazu fehle dann doch noch der Mut in den Redaktionsstuben. Dafür aber in den mittleren politischen Ebenen genau richtig verortet, da ist er sich mit Jürgen Trittin einig:
"Ich glaube, dass Sie in einer deutschen Politikserie tatsächlich erzählen müssten, wie jenseits der Kämpfe, die man mit seinen Kreisverbänden zu führen hat, das gesamte Feld von Macht in dieser Gesellschaft aufgeblättert wird, und dazu gehört die Macht von Verbänden, von Zivilgesellschaft, dazu gehört die ökonomische Macht."
Filmausschnitt aus "House of Cards": "Das ist ja eine echte Scheiß-Nummer! War das ein Trick? Nur dass das klar ist: Ohne mich hätten Sie nicht gewonnen! – Sie haben Recht. Aber jetzt müssen wir regieren."
Eschke: "Interessant sind ja die Prozesse, in die so eine Figur, wenn sie in die Politik geht, eintaucht. Welchen Preis muss ich zahlen für die Macht? Welche Kompromisse muss ich eingehen? Wann bin ich bereit, die eigenen Werte zu verraten, für die ich mal in die Politik gegangen bin?"
Vorbilder in der Realität existieren genügend. So sei der Fall Susanne Gaschke in Kiel in dramaturgischer Hinsicht interessant gewesen, sagt Gunther Eschke. Wir erinnern uns: Eine Journalistin wird Bürgermeisterin, versucht sich moralisch treu zu bleiben und scheitert. Für ein Serien-Drama wäre das ein guter Ausgangspunkt. Wenn dann noch Konfliktthemen wie "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" und ein moralisches Dilemma dazukommen, hat man eigentlich schon den notwendigen Stoff für einen Mehrteiler. Also doch mehr "Borgen"?
Eschke: "Was Deutschland betrifft, um massenwirksam zu sein, circa fünf Millionen Zuschauer zu erreichen, sollten wir mehr versuchen, Wärme und Nähe zur Figur herzustellen, als von außen auf eine kalte Welt zu blicken wie bei House of Cards."
Deutsche Landtage sind "schlicht und unpathetisch"
Mit einem deutschen Tony Soprano, Walter White oder Don Draper ist also offenbar nicht zu rechnen. Einer Figur, die spaltet, unberechenbar ist. Schade eigentlich. Dann wenigstens Ästhetik! Schöne Menschen, elegante Garderobe, stylische Räume – wie bei Borgen!
Trittin: "Wer mal in einem durchschnittlichen Landtag gewesen ist, wird die Darstellung von 'Borgen' als beschönigend empfinden, es sieht teilweise doch sehr schlicht und unpathetisch aus und erinnert doch eher an die Räume einer Versicherung..."
Trotzdem: Betrachtet man sich die momentane politische Gemengelage, so kann man einem Serienmacher doch eigentlich nur empfehlen: Bitte sofort drehen!
Eschke: "Sie müsste deutsche Wirklichkeit abbilden..."
Trittin: "Wenn in Dresden 20.000 meist männliche, etwas ältere Mittelschichtsbürger demonstrieren…"
Eschke: "... mit dem Wutbürger umgehen, auch die Flüchtlingsproblematik. Umgang mit Zuwanderung, mit Politikverdrossenheit."
Themen, die uns wohl noch etwas länger erhalten bleiben.