Kurdwin Ayubs Film "Sonne"

Der Stoff, aus dem die Träume sind

11:03 Minuten
Die drei Freundinnen Yesmin, Nati und Bella erregen mit einem Video Aufsehen. Im Bild singen sie gemeinsam in ein Mikrofon.
Zwischen Social Media und Selbstfindung: Yesmin, Nati und Bella erregen mit einem Video Aufsehen. © Stadtkino Filmverleih
Kurdwin Ayub im Gespräch mit Susanne Burg · 26.11.2022
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Nur ein Stück Stoff? Oder mehr? In "Sonne", dem Spielfilmdebüt von Regisseurin Kurdwin Ayub, ist der Hidschab zugleich der Stoff, aus dem die Träume sind. Als ein Video von drei Freundinnen im Netz landet, muss sich ihre Freundschaft bewähren.
Die drei Freundinnen Yesmin, Nati und Bella hüllen sich in Hijabs von Yesmins strenggläubiger Mutter und nehmen ein Video auf. Nati und Bella stellen das Video ins Netz und im Social-Media-Universum geht die Post ab.
Das ändert die Dynamik zwischen den Freundinnen. Denn die beiden haben sich etwas genommen, was eigentlich die Kultur von Yesmin ist, findet die Regisseurin Kurdwin Ayub – weil sich die beiden davon Fame erhofften.
Teenager Yesmin sitzt im Film Sonne auf dem Bett und dreht ein TikTok-Video.
Ziemlich meta: Teenager Yesmin dreht im Film Sonne ein TikTok-Video. © Stadtkino Filmverleih
Sie habe das selbst erlebt, dass eine Freundin – „die war komplett österreichisch, würde ich sagen“ – so getan hat, als wäre sie eine bessere Migrantin, erzählt Ayub. Das habe etwas sehr Postkolonialistisches.

Das hat sehr weh getan. Man lebt damit, und dann kommt irgendeine Europäerin und sagt: Ich kann das besser als Du!

Regisseurin Kurdwin Ayub

Sie wollte dieses Gefühl auch im Film darstellen: Die Figuren von Bella und Nati seien nicht komplett böse, wie sie sagt. „Sie sind verloren, sie suchen etwas.“ Und vielleicht habe das ja auch etwas Positives, sagt Ayup: „Sie schätzen Yesmin und wollten das, was sie hat.“

"Du bist kein Migrantenmädel wie ich"

Sie finde es „sehr interessant und lustig“, wie sich ganz viele Non-POC-Leute über kulturelle Aneignung streiten. „Non-POC-Leute übernehmen dann das Narrativ, setzen Regeln, und dann sitzt man als Mensch mit Migrationshintergrund wieder da.“  Die würden dann sagen, wie´s läuft. „Und das finde ich furchtbar“, so Ayup. „Aber was soll´s.“
Diese kulturelle Aneignung findet sich auch im Film: „Bella und Nati nehmen sich ihrer Kultur an – und dann erklären sie ihr, was richtig ist. Und erklären ihr sogar, dass sie Rassistin ist.“

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Das deckt sich mit ihrer eigenen Erfahrung, erzählt Ayup. Ein 50-jähriger Deutscher habe ihr neulich erklärt, wie ihre eigene Geschichte kulturelle Aneignung betreibe. „Wieso sagst du das?“, frage sie sich. „Du bist kein Migrantenmädel wie ich.“

"Du gehörst nicht hierher"

Yesmin im Film schweigt lange zum Tun ihrer Freundinnen. Das käme von einer Grundangst, meint Kurdwin Ayup:

Ganz wenige Menschen, die Migrationshintergrund haben, melden sich.

Regisseurin Kurdwin Ayub

Es sei ein Grundphänomen, dass Leute wie sie ruhig seien, glaubt sie. „Weil sie die ganze Zeit Angst haben, weil sie nicht hergehören.“
Die Regisseurin und Künstlerin Kurdwin Ayub auf einem Portraitfoto. Sie trägt einen dunklen Pullover.
Geboren im Irak, aufgewachsen in Österreich: Kurdwin Ayub. © Stadtkino Filmverleih
Sie habe selbst schon gehört „Du gehörst nicht hierher“. Das führt dazu, dass man eher ruhig bleibt, sagt Ayup. „Und dann kommt die Explosion.“ Ihre Figur Yesmin finde allerdings auch so ihren Weg. „Sie muss niemanden anpacken.“ Das Heranwachsen sei ohnehin immer auch Identitätssuche, findet sie.

Man weiß ja nie, wer man ist – egal, aus welcher Kultur man kommt. Bevor man überhaupt weiß, wer man ist, kommen andere Leute und erklären einem, was man ist.

Kurdwin Ayub

"Das macht mich immer so wütend"

Auch der Ärger ihrer Filmfigur ist biografisch geprägt. Wenn sie im Irak ist, erzählen ihre Onkels und Cousins oft, was richtig ist, erzählt Kurdwin Ayup. „Das macht mich immer so wütend.“ Das mache sie viel wütender, als wenn irgendeine Europäerin dasäße und ihr sage, was sie machen soll. „Dann lache ich drüber.“  
Das findet sie auch im Iran so schrecklich:
"Jede Frau sollte für sich selber entscheiden, ob sie ein Kopftuch trägt oder nicht. Das sollte keine männliche Regierung bestimmen, was man darf oder nicht darf."

Kurdwin Ayub wurde im Irak geboren und wuchs in Österreich auf. Ihr Spielfilmdebut "Sonne" läuft ab Donnerstag, 1.12. im Kino. Er gewann unter anderem den Debütpreis der Berlinale und hat beim Europäischen Filmpreis Anfang Dezember die Chance auf die Auszeichnung in der Kategorie Europäische Entdeckung.  

(ros)
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