Twitteraktion #dichterdran

Schriftstellerinnen wehren sich gegen Sexismus

04:55 Minuten
Illustration einer Frau, die die Hand hochhält und einen Mann zum Schweigen bringt.
"Wie lange müssen wir uns diese großväterlichen Kritiken noch gefallen lassen", twitterte die Schriftstellerin Nadia Brügger. © imago stock&people / Gary Waters
Von Gerd Brendel |
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Ein Kritiker beschrieb die Schriftstellerin Sally Rooney mal als "aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen". Drei Autorinnen sind von solchen Kritiken genervt. Auf Twitter beschreiben sie nun Schriftsteller so, wie es sonst Männer mit Frauen tun.
Drei Frauen – ein klassisches Motiv: Drei Grazien bringen Anmut, Schönheit und gute Feierlaune, und die drei Göttinnen Aphrodite, Hera und Athene streiten auf einer Hochzeit um den begehrten "Miss Olympia"-Titel.
Im aktuellen Fall geht es allerdings um die drei Autorinnen Nadia Brügger*, Güzin Kar* und Simone Meier, die statt auf einer griechischen Hochzeit Anfang des Monats in einem Züricher Wohnzimmer zusammenhockten.
"Drei Frauen saßen gelangweilt, das heißt nicht gelangweilt, wir prokrastinierten vor uns hin", erinnert sich Simone Meier. "Wir hätten alle drei Dinge schreiben sollen: Nadja Brügger ihre Dissertation, Güzin Kar ihr nächstes Drehbuch und ich meinen nächsten Roman."

Genervt vom männlichen Blick auf weibliche Reize

Die drei Göttinnen buhlten bekanntlich darum, vom Playboy namens Paris einen Apfel mit der Aufschrift "der Schönsten" überreicht zu bekommen. Auch im Fall ihrer drei Schweizer "Geschlechtsgenossinnen" ging es um den männlichen Blick auf weibliche Reize, allerdings – und hier nimmt die Geschichte eine entschieden andere Wendung: Statt den männlichen Blick auf Frauen zu verinnerlichen wie die drei Göttinnen, ärgerten sich Brügger, Kar und Meier über die fortgesetzte Objektivierung. Genervt von einem Rezensenten, der die irische Kollegin Sally Rooney als "aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen" beschrieb, beschlossen die drei in der Nacht vom 1. auf den 2. August zu handeln.
"Wie lange müssen wir uns diese großväterlichen Kritiken noch gefallen lassen", twitterte Nadia Brügger. "Und ich hab dann geschrieben: Vielleicht drehen wir den Spieß einfach mal um", sagt Simone Meier. Und zwar unter dem Hashtag dichterdran – wo seitdem vom Klassiker bis zum Gegenwartsautor "Dichter ran genommen werden". Zum Beispiel Arthur Miller.
In einem Tweet heißt es: "Als Ehemann von Marilyn Monroe hatte er keine Schwierigkeiten, einen Verlag zu finden." Über Bertolt Brecht twitterte Güzin Kar am 3. August: "Sorgte früh dafür, im Windschatten seiner Liebhaberinnen wie der großen Helene Weigel etwas Unsterblichkeit zu erlangen."
Sybille Berg twittert am 9. August über Ernest Hemingway:
"Zeigt in seiner Fisch-Novelle wie famos ein Mann scheitert, wenn er sich statt der Beschreibungen von Familie, Pferden oder Lifestyle-Themen an den großen Fragen der Weltgeworfenheit versucht."
Auch die Klassiker werden nicht verschont, zum Beispiel Heinrich von Kleist: "Da kann man sagen, der hat sich versucht an Frauenfiguren wie Penthesilea und Käthchen und da war das Scheitern ja schon vorprogrammiert. So wie man das als Frau oft hört, wenn man Männerfiguren entwirft, die den männlichen Kritikern nicht passen."

Euphorisches Medienecho

Nach zwei Wochen unzähliger Tweets ist Simone Meier immer noch überrascht über das euphorische Medienecho: "Verrückt! Wir haben es in den 'Guardian', in die 'Times' geschafft. Alle sind total begeistert!" Erstaunlich, zumal Meier in ihrer Arbeit als Kulturredakteurin in der Vergangenheit das genaue Gegenteil erlebt hat.
Sie sagt: "Ich hab das relativ bald bei mir eingeführt, dass ich über Männer so schreibe, wie Kollegen über Frauen." Zum Beispiel über die Lesung eines Kollegen im Rentenalter: "Das war ein 60-jähriger Mann mit sehr engen Lederhosen. Und ich fand: Echt Leute, wie sieht der denn aus? Das habe ich geschrieben", erzählt Meier. "Und das fanden ein paar Leute: Echt jetzt? Ist es nicht total sexistisch, wie Du über den schreibst?"
Meier antwortet mit einer Gegenfrage: "Für mich hängt es davon ab, wer ist in der privilegierteren Position? Und das kann man relativ einfach beantworten, oder?" Denn auf denen sitzen im Literaturbetrieb wie anderswo Frauen eben weitaus seltener als Männer. Und wie geht es weiter?

Weinerliche Tweets männlicher Autoren

Unter #dichterdran finden sich mittlerweile auch ein paar ziemlich weinerliche Tweets männlicher Autoren und alles liest sich ein bisschen ernster. Meiers Verlag denkt über eine Veröffentlichung als Buch nach und ich – weiß und männlich – freue mich schon auf meinen nächsten Reporter-Einsatz auf einer Lesung eines männlichen, möglichst berühmten Autors: Mein Paris-Kenner-Blick auf diesen Gott der Literatur, seine Frisur, seinen Anzug und das ganze Drumherum der Inszenierung ist ihm gewiss.
(Onlineversion / mwl)
* Gegenüber einer vorherigen Version haben wir an mehreren Stellen die Schreibweise von Namen korrigiert.
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