"Als wären wir ein Volk von Deppen"
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Plakate mit Grünfilter, Bildzeitungsoptik und Sprüchen, die wie Satire wirken. Wie schneiden die Parteien bei einem der besten deutschen Typografen ab? Erik Spiekermann ist "enttäuscht, dass von so vielen intelligenten Leuten so viel Flachzeug" komme.
Seit Samstag hängen bundesweit die Wahlplakate der Parteien zur Bundestagswahl, in manchen Ländern auch zur jeweiligen Landtagswahl.
Der Typograf Erik Spiekermann gilt als einer der besten Schriftentwickler Deutschlands. "Die Ästhetik ist dieses Jahr wirklich vollkommen verkommen", sagt er auf die Gestaltung der Parteiwerbung angesprochen. Dazu brauche es keine Werbeagentur.
"Da können wir beide uns auch einen Abend hinsetzen und drei Bier trinken." Er sei darüber enttäuscht, dass "von so vielen intelligenten Leuten so viel Flachzeugs" komme. In seiner Analyse besteht keiner der Parteien seinem Anspruch.
SPD: "Markante Birne"
Manche Plakate finde er sogar lustig, wie der Slogan "Respekt für dich. Olaf Scholz" vom Spitzenkandidaten der SPD. Zusätzlich sehe sein Foto so aus, als hätte er auf einem Jahrmarkt seinen Kopf durch ein Loch gesteckt und sei dann fotografiert worden.
"Seine markante Birne sieht so aus, als wenn sie jemand ausgeschnitten hat und auf so ein Plakat geklebt hat", sagt Spiekermann. "Ich weiß bei den ganzen Sachen nicht, ob ich lachen oder weinen soll." Die Sozialdemokraten würden am unangenehmsten auffallen, auch wenn alle Parteien "Waschmittelwerbung" gestaltet hätten, statt ernst zu nehmende Wahlplakate.
CDU: "Wie in der Waschmaschine"
Als Spiekermann über Waschmittelwerbung spricht, fallen ihm die Christdemokraten ein. Auf den Plakaten der CDU ist ein Kreis in schwarz-rot-gelber Farbe abgebildet. Darin befinden sich Fotos vom Spitzenkandidaten Armin Laschet oder zum Beispiel von Menschen in Berufskleidung, wie Polizistinnen oder Bauarbeiter.
"Da drin sind alle wie in einer Waschmaschine reingeschmissen, Slogans und Leute durcheinandergewürfelt", sagt der Typograf, "Jetzt gucken die da aus dem Glas der Waschmaschine raus und werben für ein gutes Leben im Alter."
Die Slogans seien austauschbar, wenig originell und alles werde "dreimal erzählt". "Es ist, als wenn wir ein Volk von Deppen sind, wir werden hier für dusselig verkauft." Spiekermann beleidigten die Werbesprüche.
AfD: "Ist das Satire?"
Bei der AfD könne er sich vorstellen, wie an einem großen Tisch zwölf Leute aus diversen Kreisverbänden sitzen würden, "wahrscheinlich bei viel Mettwurst oder Biergenuss und dann kommen diese Sprüche raus: ‚Berlin macht mehr Mist als unser Vieh‘". Spiekermann zweifle am Niveau der rechtspopulistischen Partei und frage sich, ob das schon Satire sei.
Auf die große Schrift angesprochen, die Aufmerksamkeit erreiche, sagt er: "Was nützt mir das, wenn da draufsteht: ‚Das Land muss leben‘. Können sie sich einen redundanteren Spruch vorstellen? Mein Deutschlehrer hätte mir die alle rausgestrichen". Spiekermann nennt dazu Beispiele wie "Hände waschen nicht Hirne" oder "Kinder machen. Renten sicher".
Die Linke: Ästhetisch völlig erschlagen
Die Linke wiederum habe die Bildzeitungsästhetik übernommen mit dem großen Wort "Jetzt". Spiekermann fühle sich ästhetisch davon völlig erschlagen. Er frage sich schlicht: Warum immer wieder diese "waschmittelmäßige" Werbung benutzt werde.
Die Grünen – "Unsäglich, unfassbar"
Die Grünen hätten "unsäglich lange Nebensätze" vor und nach wichtigen Aussagen, wie "Schützen wir die Erde. Sie ist die einzige, die wir haben".
"Warum steht da nicht: ‚Schützen wir die Erde‘? Das würde reichen", meint der Schriftgestalter. "Es ist unfassbar".
Oder im Slogan: "Ganz einfach: Gleiche Arbeit. Gleiche Bezahlung". Es würde ausreichen, den ersten Teil vor den Doppelpunkt zu streichen. Außerdem hätten sie über alle ihre Plakate einen blassgrünen Filter gelegt. So hätten sie nicht bedacht, wenn man Gesichter grün einfärbe, dass es so aussehe, "als wären sie alle auf dem Klo gewesen" oder hätten "drei Nächte durchgemacht".
FDP: Der große Vorsitzende
Spiekermann meint, wenn Parteien Plakate aufhängen, dann müssten sie Ideen finden, die noch keiner vorher gehört oder gesehen habe. "Witzige Bilder, die keine Erklärungen brauchen oder witzige Sprüche, die aber nicht das Foto des großen Vorsitzenden haben."
So habe die FDP ihren Spitzenkandidaten Lindner auf das Plakat mit dem Spruch "Aus Liebe zur Freiheit" gesetzt. "Natürlich regt das zum Widerspruch an." So seien die Plakate von Fremden umgeschrieben worden zu: "Aus Liebe zum Geld".
"Es gibt auch witzige Sprüche", sagt Spiekermann.
(sbd)