Tyrannei eines verleumderischen Nachbarn
Ein Mieter im Souterrain mit düsterer Vergangenheit erweist sich schon bald als Albtraum. Dirk Kurbjuweits Roman erzählt davon, wie sich Angst in die Köpfe auch derjenigen einschleicht, die vermeintlich angstfrei leben könnten.
Ein Vater hat sich für seinen Sohn und dessen Familie geopfert. Ein Vater – der 78-jährige Hermann Tiefenthaler – hat mit einem Kopfschuss aus seiner Walther PPK das Leben des Mannes beendet, der bereits seit Monaten den 45-jährigen Architekten Randolph Tiefenthaler und seine Frau Rebecca terrorisierte. So beginnt Dirk Kurbjuweit seinen sechsten Roman "Angst", der in der für diesen Autor so charakteristischen stilistischen Gelassenheit von den Zuspitzungen in der Psyche eines Menschen erzählt. Ich-Erzähler Randolph, der zu Anfang seinen zu acht Jahren Haft verurteilten Vater im Gefängnis besucht, muss sich "von der Seele schreiben", was ihn und seine Familie monatelang aus der Bahn warf.
Aus der Absicht, in einer Eigentumswohnung im Berliner Südwesten zu klassisch bürgerlicher Ruhe zu kommen, wurde nichts. Der Mieter im Souterrain, Dieter Tiberius, ein Hartz-IV-Empfänger mit düsterer Heimvergangenheit, erweist sich bald als Albtraum. Erst behelligt er Rebecca mit Liebesbeteuerungen; dann unterstellt er ihr und Randolph, ihre beiden Kinder sexuell zu missbrauchen, und erstattet Anzeige. Empört wendet sich das Ehepaar an die Polizei, schaltet eine Anwältin ein – und muss feststellen, dass ihr fester Glaube an den Rechtsstaat und seine Eingriffsmöglichkeiten tief erschüttert wird. Kein Weg scheint gangbar, um der Tyrannei des verleumderischen Mieters einen Riegel vorzuschieben, und auch die Versuche, den Widersacher mit Geld oder Drohungen einzuschüchtern, fruchten nichts.
Dirk Kurbjuweit erzählt auf beharrlich nachdrückliche Weise davon, wie sich "Angst" in die Köpfe auch derjenigen einschleicht, die vermeintlich angstfrei leben könnten, und wie aus Vorwürfen allmählich Fantasiebilder werden, die die Absurdität der Vorwürfe perfide untergraben und Misstrauen unter den Eheleuten säen. Dass die Entstehung von Angst unterschiedliche Ursachen hat, zeigt der Roman – ohne je zum illustrierten Psychologiekursus zu werden – am Beispiel der Tiefenthaler’schen Familiengeschichte.
Als Sohn Randolph (wie sein Autor übrigens) 1962 geboren wird, regieren die Kuba-Krise und die Furcht vor einem neuerlichen Weltkrieg. Vater Hermann reagiert darauf mit dem Bau eines Bunkers und der Bereitstellung eines Waffenarsenals, das seine Familie permanent in Angst und Schrecken versetzen wird. Gleichzeitig scheint auch die Stadt Berlin besonders geeignet zu sein, um eine allenthalben spürbare Überempfindlichkeit in die Katastrophe umschlagen zu lassen.
Wo alles "überladen mit Eindrücken, Geräuschen, Begegnungen, Zumutungen aller Art" ist, genügt ein "kleines Mehr", um seine Bewohner in die Verzweiflung zu treiben, in die "Neurasthenie, wie das früher hieß". Die Tiefenthalers halten diesem Druck nicht stand, und es zeigt Dirk Kurbjuweits großes literarisches Geschick, uns dieses explosive Gemisch beklemmend nah zu bringen. Darüber hinaus ist "Angst" ein bewegender Eheroman, der mit einer überraschenden Pointe endet, die hier gewiss nicht verraten sei.
Besprochen von Rainer Moritz
Dirk Kurbjuweit: Angst. Roman
Rowohlt Berlin 2013
253 Seiten, 18,95 Euro
Aus der Absicht, in einer Eigentumswohnung im Berliner Südwesten zu klassisch bürgerlicher Ruhe zu kommen, wurde nichts. Der Mieter im Souterrain, Dieter Tiberius, ein Hartz-IV-Empfänger mit düsterer Heimvergangenheit, erweist sich bald als Albtraum. Erst behelligt er Rebecca mit Liebesbeteuerungen; dann unterstellt er ihr und Randolph, ihre beiden Kinder sexuell zu missbrauchen, und erstattet Anzeige. Empört wendet sich das Ehepaar an die Polizei, schaltet eine Anwältin ein – und muss feststellen, dass ihr fester Glaube an den Rechtsstaat und seine Eingriffsmöglichkeiten tief erschüttert wird. Kein Weg scheint gangbar, um der Tyrannei des verleumderischen Mieters einen Riegel vorzuschieben, und auch die Versuche, den Widersacher mit Geld oder Drohungen einzuschüchtern, fruchten nichts.
Dirk Kurbjuweit erzählt auf beharrlich nachdrückliche Weise davon, wie sich "Angst" in die Köpfe auch derjenigen einschleicht, die vermeintlich angstfrei leben könnten, und wie aus Vorwürfen allmählich Fantasiebilder werden, die die Absurdität der Vorwürfe perfide untergraben und Misstrauen unter den Eheleuten säen. Dass die Entstehung von Angst unterschiedliche Ursachen hat, zeigt der Roman – ohne je zum illustrierten Psychologiekursus zu werden – am Beispiel der Tiefenthaler’schen Familiengeschichte.
Als Sohn Randolph (wie sein Autor übrigens) 1962 geboren wird, regieren die Kuba-Krise und die Furcht vor einem neuerlichen Weltkrieg. Vater Hermann reagiert darauf mit dem Bau eines Bunkers und der Bereitstellung eines Waffenarsenals, das seine Familie permanent in Angst und Schrecken versetzen wird. Gleichzeitig scheint auch die Stadt Berlin besonders geeignet zu sein, um eine allenthalben spürbare Überempfindlichkeit in die Katastrophe umschlagen zu lassen.
Wo alles "überladen mit Eindrücken, Geräuschen, Begegnungen, Zumutungen aller Art" ist, genügt ein "kleines Mehr", um seine Bewohner in die Verzweiflung zu treiben, in die "Neurasthenie, wie das früher hieß". Die Tiefenthalers halten diesem Druck nicht stand, und es zeigt Dirk Kurbjuweits großes literarisches Geschick, uns dieses explosive Gemisch beklemmend nah zu bringen. Darüber hinaus ist "Angst" ein bewegender Eheroman, der mit einer überraschenden Pointe endet, die hier gewiss nicht verraten sei.
Besprochen von Rainer Moritz
Dirk Kurbjuweit: Angst. Roman
Rowohlt Berlin 2013
253 Seiten, 18,95 Euro