Eine Zeitreise in die 1920er Jahre
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Im Jahr 1927 wurde er eröffnet: Heute ist der Berliner U-Bahnhof Schönleinstraße ein Ort, den viele Menschen gerne schnell wieder verlassen. Das könnte sich ändern, denn die Station soll zum ersten Mal in mehr als 90 Jahren grundsaniert werden.
Berlin, 1927. Wenige Monate nach der Eröffnung des neuen U-Bahnhofs Schönleinstraße am Kottbusser Damm feiert Walther Ruttmanns "Sinfonie der Großstadt" Premiere. Der experimentelle Stummfilm zeigt Berliner Alltag: Am Morgen strömen Arbeiter und Angestellte in U-Bahnstationen wie die an der Schönleinstraße. Gearbeitet wird nach der Stechuhr, alle sind gleichzeitig unterwegs, gerade in Arbeiterbezirken wie Kreuzberg und Neukölln herrscht ein Gewusel wie in einem Ameisenhaufen.
Für die Menschen rund um den Kottbusser Damm Ende der 20er-Jahre bedeutete der neue Bahnhof Schönleinstraße etwas mehr Bequemlichkeit: Stück für Stück wurde die Linie U8, damals noch Linie D, verlängert, bis sie die Arbeiterquartiere im Süden und Norden mit den Fabriken und Büros im Zentrum verband.
Vom Arbeiterbezirk zum Ort ohne Illusionen
Zahllose pinkfarbene Kreise aus Sprühfarbe markieren die Mängel an Wänden und Decke, Vorbereitung für die Sanierung. In einer beleuchteten Vitrine sind die Modelle eines Neuköllner Streetwear-Labels drapiert. Der winzige Sushi-Stehimbiss hat schon vor Jahren zugesperrt, ein offenbar illusionsloses Paar hat sein Liebesschloss an das Gitter vor seinem Fenster gehängt.
Es riecht streng, nach Urin und Schweiß, trotz der riesigen halbkugelförmigen Lampen herrscht ein merkwürdiges Zwielicht. Der U-Bahnhof Schönleinstraße ist einer, den man gern wieder verlässt. Das Grau der Wandfliesen betont die Tristesse des U-Bahnhofs Schönleinstraße. Doch die Farbwahl hat System: Wer öfter mit der U8 fährt und dabei vielleicht liest oder am Handy surft, kennt das: Ein Blick aus dem Fenster genügt, um sich zu orientieren - selbst wenn gerade kein Stationsschild in Sichtweite ist.
Und darum trägt auch der Bahnhof Schönleinstraße noch heute jenes bläuliche Grau, das ihm der Schwede Alfred Grenander Ende der 1920er-Jahre zugedacht hat. Die Farbe änderte sich auch nicht, als der Bahnhof über Jahrzehnte gar nicht mehr Schönleinstraße hieß. Immer wieder wurden die Namen von Berliner U-Bahn-Stationen geändert und den baulichen Veränderungen angepasst.
Denkmalschutz und Drogenszene
Die Nähe zu Kottbusser Tor und Hermannplatz macht die ruhigere Station Schönleinstraße heute zu einem Treffpunkt für Obdachlose und Drogenabhängige, wie überall in Berlin sind es in den letzten Jahren immer mehr geworden. Ein Vorfall im Dezember 2016 warf kurzzeitig ein Schlaglicht auf den Bahnhof: Mehrere Jugendliche hatten einen schlafenden Obdachlosen angezündet, glücklicherweise griffen Fahrgäste ein.
Jetzt sitzt ein Mann zusammengesunken in seinem Rollstuhl neben der einzigen Rolltreppe. Eine Frau bettelt um Kleingeld. Wer den Bahnhof häufiger nutzt, muss abgehärtet sein - nicht alle Fahrgäste sind das.
Die trostlose Atmosphäre soll sich mit der Sanierung ab 2020 bessern. Mehr Licht, ein neuer Aufzug, mehr Sauberkeit. Doch es gibt Hürden: Wie die meisten anderen steht auch der U-Bahnhof Schönleinstraße seit Mitte der 1990er unter Denkmalschutz.
Aufwendiger Ersatz der Originalfliesen
Der Teufel steckt auch bei der denkmalgerechten Sanierung im Detail: Die vielen hundert handgemachten Fliesen an den Wänden der Station stammen noch aus dem Eröffnungsjahr. Um gründlich zu renovieren, müssen die erst einmal entfernt werden - und dann? Für den möglichst originalgetreuen Ersatz werden nun Angebote von Fliesenherstellern aus Tschechien und Italien eingeholt und Probestücke gebrannt.
Der Aufwand ist enorm - und am Ende soll man ihn am besten gar nicht bemerken. Vier Jahre werden die Arbeiten in Anspruch nehmen, größtenteils wird bei laufendem Betrieb gebaut. Auch nach dieser Zeit wird der Bahnhof Schönleinstraße höchstwahrscheinlich nicht gemütlicher sein - dafür aber ein Ort, an dem man dem Berlin der nicht ganz so "Goldenen 20er" besonders nahe kommt.