Udo Pollmer über Ernährungsethik

Pflanzen-Ethiker sind so nützlich wie Flöhe auf einem Pudel

Eine Fliege hat sich in den Tentakeln eines Mittleren Sonnentaus (Drosera intermediare) verfangen.
Auch fleischfressende Pflanzen müssen damit leben, dass sie ihrerseits als Nahrung dienen. © dpa/ picture-alliance/ Arne Dedert
Von Udo Pollmer |
Zuerst sind diejenigen gekommen, die Tiere nicht töten wollten, um sie zu essen. Dann kam eine noch unverständlichere Spezies. Nämlich die, die noch nicht einmal Pflanzen aus dem Boden reißen, um sie zu essen. Der bekennende Anti-Veganer und -Frutarier Udo Pollmer schüttelt angesichts der Logik der Ernährungsethiker nur mit dem Kopf.
Fragen der Ethik drängen zunehmend Sachfragen in den Hintergrund. Ethikkommissionen wuchern in unserer Überflussgesellschaft wie Geschwüre, selbsternannte Ethikkommissare okkupieren immer neue Lebensbereiche. Je komplexer die Zusammenhänge werden, desto willkommener sind einfache Bewertungsschemata. Sie bieten schnelle Orientierung und ersparen eigenes Nachdenken.
So ist beispielsweise die Frage, ob man Tiere töten darf, um sie zu verspeisen, rein sachlich wertlos, klingt aber ethisch ziemlich anspruchsvoll. Rein sachlich wertlos, weil zur Produktion von Pflanzenkost ebenfalls viele Tiere ihr Leben lassen müssen - und sei es nur, weil der Pflug die Kinderstuben der Feldmäuschen zerstört und den Nachwuchs tötet. Aber auch Wildschweine werden geschossen, weil sie die Felder verwüsten. In Afrika jagen die Bauern Elefanten, weil die Dickhäuter natürlich lieber vom gedeckten Tisch der Plantagen fressen, statt sich mühsam in der Savanne ihr Futter zu suchen.
Die Frage also, ob man Tiere töten darf, um sie zu essen, wäre demnach unvermeidlich um die Frage zu ergänzen, ob man Tiere töten darf, um Pflanzen zu essen. Falls die Antwort auch diesmal negativ ausfällt, dann bleiben uns zumindest noch Luft und Liebe zum Leben. Immerhin!

Dürfen Veganer fleischfressende Pflanzen essen?

Die simple Logik der neuen Tier-Ethik rief die noch exotischere Spezies der Pflanzen-Ethiker auf den Plan. Die widmen sich der Frage, welches Leid auf unseren Äckern und in den Gärten durch die Tötung von Pflanzen entsteht, wenn wir sie ungefragt ernten und verspeisen. Im Alltag sind diese Philosophen für die Menschheit so nützlich wie Flöhe auf einem Pudel. Dagegen führt die spitzfindige Frage, die im Internet die Gemüter erhitzt, nämlich ob Veganer - rein ethisch gesehen - fleischfressende Pflanzen verspeisen dürften, zu erhellenden Antworten.
Fleischfressende Pflanzen werden fachsprachlich gern als Karnivoren bezeichnet, ein Wort, das gemeinhin Löwen oder Adlern vorbehalten ist, sowie über 100 verschiedenen Pilzarten, die ihrerseits allerlei Tiere fangen und verdauen. Auch karnivore Pflanzen haben einen wählerischen Speisezettel. Die kleineren unter ihnen naschen vorzugsweise Insekten. Doch in der dickbauchigen Falle der Kannenpflanze auf Borneo befinden sich gleich mehrere Liter Verdauungssaft, genug um eine feiste Ratte oder ein niedliches Spitzhörnchen bei lebendigem Leib langsam zu zersetzen.
Die Kritik an der karnivoren Lebensweise ist, wenn es sich um Pflanzen handelt, durchaus berechtigt: Da wird erst mühsam aus dem Nitrat im Boden pflanzliches Eiweiß gebildet, dessen Verzehr dann zu hochwertigem tierischen Protein führt, bis dieses schließlich wieder als Pflanzendünger endet. Das ist aus ökologischer Sicht verwerflich, eine Verschwendung von Ressourcen.

In der Ethik-Runde fehlen noch pflanzenfressende Pflanzen

Allerdings müssen auch fleischfressende Pflanzen damit leben, dass sie ihrerseits bei zahlreichen Tieren auf dem Speiseplan stehen: Nicht nur Vögel, Nacktschnecken und Raupen machen sich mit Appetit drüber her, auch Insekten haben Wege gefunden, sich an ihnen gütlich zu tun. Vor allem Blattlauskolonien können den Insektenfängern schwer zu schaffen machen. So ist das nun mal: Das Gesetz vom Fressen und Gefressen werden funktioniert vorwärts wie rückwärts - und dazwischen hocken unsere Ethikexperten in ihrer warmen Stube und glauben in beneidenswerter Selbstüberschätzung, ihren Senf dazugeben zu müssen.
Was in der illustren Ethik-Runde gerade noch gefehlt hat, sind pflanzenfressende Pflanzen. Auch so etwas gibt es, ja wir können Lianen und Würgefeigen in tierethischer Hinsicht sogar als Vorbild betrachten. Sie tun Tieren nichts zuleide, sondern strangulieren lieber den Stamm ihres Wirtsbaumes, bis dieser nach einem jahrelangen und aussichtslosen Todeskampf endlich stirbt. Der Baumwürger - wie dieser Pflanzentyp auch genannt wird - kann nun aus dem verrottenden Baum die Nährstoffe saugen.
Was lehrt uns das? Das wohl größte ökologische Verdienst des Ernährungsethikers besteht darin, eines schönen Tages den Würmern als Speise dienen zu dürfen. C'est la vie. Mahlzeit!
Literatur
Adlassnig W et al: Das neue Bild carnivorer Pflanzen. Naturwissenschaftliche Rundschau 2016; 69: 5-10
Fischer L: Fleisch fressende Pflanzen essen auch Gemüse. Spektrum.de vom 14. Januar 2015
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Berkowitz B: Plant rights party to contest next Dutch election. Reuters 29. 3. 2010
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Bogenrieder A et al: Lexikon der Biologie. Herder, Freiburg 1983
Schnitzer SA, Bongers H: Increasing liana abundance and biomass in tropical forests: emerging patterns and putative mechanisms. Ecology Letters 2011; 14: 397-406
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