Udo Pollmers Mahlzeit

Der Traum vom Abnehmen durch braunes Fettgewebe

04:39 Minuten
Untersuchungsgeräte angesetzt in einer Arztpraxis bei einem Patienten am Bauch
Übergewicht: Eine ganze Industrie sucht ununterbrochen nach neuen Strategien, dieses Problems Herr zu werden. Jetzt soll es das braune Fettgewebe richten. © dpa-Zentralbild
Von Udo Pollmer |
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Braunes Fettgewebe ist anders als weißes: Statt Energie zu speichern, verheizt es die bösen Kalorien samt und sonders. Die Abnehme-Industrie wittert schon neue Geschäftsfelder - womöglich aber zu Unrecht.
Die Entdeckung des braunen Fettgewebes im menschlichen Körper löste ein großes Hallo unter Medizinern und Diätdichtern aus. Endlich sei das Tor offen für immerwährende Schlankheit. Das braune Fettgewebe ist nämlich kein Energiespeicher wie das weiße, im Gegenteil, es pflegt die bösen Kalorien samt und sonders zu verheizen, um daraus wohlige Wärme zu erzeugen.
Bisher hatte es in medizinischen Kreisen stets geheißen, nur der Säugling verfüge über braunes Fett. Denn dieser könne im Gegensatz zum Erwachsenen noch nicht zittern, um durch schnelle Muskelbewegungen seinen Körper zu wärmen.

Kein überflüssiges Anhängsel, kein Risikomaterial

Deshalb hält ihn das braune Fett wie ein Heizkissen warm. Als Brenner nutzen die Fettzellen ihre mikroskopisch kleinen Mitochondrien. Insgesamt besitzt der Mensch davon stolze 100.000 Trillionen, die meisten davon versorgen jedoch die Muskeln mit Energie.
Ganz allgemein gilt: Unser Fettgewebe ist kein überflüssiges Anhängsel, eine Art Risikomaterial, dessen Beseitigung zeitlebens unser Bestreben sein sollte. Es ist ein ganz normales Organ, so wie Magen oder Schilddrüse auch.
Das Unterhautfettgewebe beispielsweise ist ein wichtiger Pfeiler der Krankheitsabwehr. Wird die Haut von einem Erreger angegriffen, schütten die Fettzellen antibakterielle und antivirale Eiweiße aus. Sie sind die erste Immunantwort der Haut, noch bevor die weißen Blutkörperchen den Angriffsort erreichen.
Ebenso speziell sind die Aufgaben des braunen Fettes, das beim Erwachsenen mit insgesamt 50 Gramm zu Buche schlägt. Gelänge es, dieses dauerhaft zu aktivieren, dann würde der weiße Speck an Bauch, Beinen und Po wie von Geisterhand dem braunen Fettgewebe zugeführt und eingeschmolzen. So die Auffassung der Fachwelt, der offenbar die Erwartung eines gigantischen Geschäfts den Blick verstellt. Denn von Natur aus ist das braune Fett ein Heizsystem, das tunlichst vermeidet, seinen Besitzer zu verschlanken. Es soll ihn nur warmhalten.

Wer sich satt isst, dem wird warm

Wer sich den Bauch vollgeschlagen hat, dem wird danach meist wohlig warm. Das Hormon Sekretin vermeldet, dass nun das Öfchen angeworfen werden kann. Alle Kalorien, die der Körper grade nicht benötigt, werden nun verbrannt.
Wer bei Tisch Kalorien "spart", dem ist weiterhin kalt. Er zieht sich dicker an und pflegt seine Wohnung stärker zu heizen als jene, die sich sattessen. So kann der Körper seine Energiebilanz und sein Gewicht trotz Diät nach Gutdünken steuern.
Inzwischen weiß man, dass sich weißes Fettgewebe in braunes umwandeln lässt. Besonders wirksam ist logischerweise Kälte. In einem Experiment genügten bereits sechs Stunden Aufenthalt in einem 16 Grad kühlen Raum, um das braune Fettgewebe binnen von zehn Tagen zu verdoppeln.
Wenn‘s kalt ist, muss eben der Körper selbst heizen. Schon gilt unter Abnehmexperten die Kälte als Schlankmacher. Das ist ebenfalls blanker Unsinn: Wenn‘s kälter wird, verstärkt der Körper zusätzlich sein Unterhautfettgewebe, um besser isoliert zu sein. Das Fett wird dank Kälte mehr statt weniger.
Da bleiben nur noch medikamentöse Ansätze, die innere Steuerung des Körpers auszutricksen und das braune Fett dauerhaft in den Dienst der Abspeckmedizin zu stellen: So regte im Mausversuch eine Mixtur aus gleich neun gebräuchlichen Antibiotika die Bildung von braunem Fettgewebe an.

Keine wirksame Methode in Sicht

In der Folge verloren die Mäuslein tatsächlich an Gewicht. Doch das war womöglich das Resultat einer Antibiotikavergiftung. Es ist zweifelhaft, ob eine solche "Therapie" beim Menschen überhaupt sinnvoll ist. Wenn es gelingen sollte, bei Patientinnen, die in den Wechseljahren in die Breite gehen, das braune Fett zu aktivieren, dann könnte die gesteigerte Heizleistung gänzlich unerträgliche Hitzewallungen zur Folge haben.
Noch ist keine wirksame Methode in Sicht, um durch mehr braunes Fettgewebe abzunehmen. Der umgekehrte Weg dürfte da etwas einfacher sein: Denn viele Menschen schlucken zur Senkung ihres Cholesterins die dafür gewöhnlich verschriebenen Statine. Diese aber wandeln das hochgelobte braune Fett doch glatt in weißes um. Schon wieder ein Traum zerplatzt. Mahlzeit!

Literatur:
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