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Gesundheitsfalle "Vitamin H"
04:38 Minuten
"Vitamin H" wird für schönere Haut oder Nägel eingenommen. "Vitamin H" verfälscht aber auch Laborwerte und ist auch sonst keineswegs so harmlos, wie die Werbung oft glauben lässt. Die Arzneimittelbehörden warnen deshalb davor.
Manche Warnungen verhallen ungehört, obwohl sie weit mehr Aufmerksamkeit verdient hätten als der übliche Ernährungsalarmismus. Beispielsweise eine Warnung der Arzneimittelbehörden vor einem Vitamin, das sein Dasein bisher als Mauerblümchen fristete und nun für schwere Zwischenfälle verantwortlich gemacht wird: Das Biotin, auch als "Vitamin H" bekannt.
Aktueller Anlass war eine US-Bürgerin, die eine Uniklinik aufsuchte, weil es ihr nicht gelingen wollte, abzunehmen, so sehr sie sich auch mühte. Ihre Blutwerte deuteten auf einen Tumor an der Nebenniere. Gerade noch rechtzeitig vor der OP entdeckten die Ärzte die Ursache für die besorgniserregenden Laborergebnisse: Sie hatte Biotin eingenommen, 5 Milligramm am Tag – und das hatte die Messwerte verfälscht. Daher die Krebsdiagnose.
Wechselwirkungen verschwiegen
Das Vitamin verfälscht zahlreiche Laborwerte, die mit immunologischen Verfahren bestimmt werden: Schilddrüsenhormone, Troponin, ein Marker für die Herzgesundheit, Sexualhormone wie Testosteron und Progesteron, aber auch Stresssteroide wie Cortisol. Der simple Grund für die folgenreichen Analysenfehler ist, dass das Biotin nicht nur in Supplementen steckt, sondern zugleich zentraler Bestandteil immunologischer Reagenzien ist. Die Hersteller der Test-Kits haben den Medizinern etwaige Wechselwirkungen bei der Analytik verschwiegen.
Die üblichen Tests liefern nur dann korrekte Werte, wenn der Patient keine Supplemente geschluckt hat. Falls doch, dann sind die Ergebnisse oftmals entweder zu hoch oder zu niedrig. Das führt zwangsläufig zu Fehldiagnosen und falschen Therapien, manchmal mit tödlichem Ausgang. In dem beschriebenen Fall war die Sache dadurch aufgeflogen, dass die Ärzte ausnahmsweise ihre Ergebnisse noch mit einem Verfahren nachbestimmen ließen, das in chemischen Labors üblich ist und korrekte Werte liefert. Das ist allerdings erheblich aufwendiger.
"Vitamin H" hat viele Namen
Da fragt man sich doch, wofür das ominöse "Vitamin H" eigentlich gut sein soll: Der Buchstabe "H" ist der werbliche Hinweis auf Haut und Haare, die es ebenso verschönern soll wie die Nägel. Als Beleg dürfen allerlei kuriose Experimente herhalten: Beispielsweise hätten Schweine mit Biotin eine bessere Klauenqualität bekommen, bei Nerzen sei das Fell nachgedunkelt und in geschlachteten Hühnern sei beim Ausnehmen doch glatt weniger Nierenfett zu sehen gewesen. Wenn das kein Zeichen dafür ist, dass herumhühnernde Zeitgenossen damit ihr Hüftgold einschmelzen können!
Um den Verkauf der Chemikalie zu fördern, heißt Biotin nicht nur "Vitamin H", sondern auch "Vitamin B7" sowie "Coenzym R". Enthalten ist es zudem in B-Komplex-Präparaten und Multivitamin-Pillen, es wird Schwangeren und Senioren verpasst, sowie Süßwaren und Säften beigemengt. Notorische Vitaminschluckspechte beziehen es gewöhnlich aus mehreren Quellen. Die Verkäufer empfehlen Dosierungen von bis zu 10 mg am Tag, Naturheilmediziner raten Patienten gar zu Megadosen von bis zu 300 mg. Falsche Messwerte treten bereits ab einer täglichen Extraportion zur üblichen Nahrung von 0,3 mg af, also einem Tausendstel.
Fehlende Warnung
Es ist schon bezeichnend, dass die einschlägigen Websites mit ihren halbseidenen Schönheits- und Gesundheitstipps ungeniert versichern, Biotin vollbrächte nicht nur kosmetische Wunder bei der alternden Kundin, sondern sei in beliebig hoher Dosis vollkommen unschädlich. Ja nicht einmal Portale, die mit ärztlicher Expertise prahlen, hielten es für nötig, die Vitamin-Warnung an die Ratsuchenden weiterzureichen.
Nicht nur Biotin-Supplemente sorgen für fehlerhafte Laborergebnisse. Auch andere Vitamine wie Ascorbinsäure bringen die Blut- und Urin-Diagnostik durcheinander. Vitamin C kann in höherer Dosis dazu führen, dass bei Gesunden fälschlich Krankheiten wie Diabetes diagnostiziert werden, oder – je nach Messmethode – bestehende Krankheiten maskiert werden. Der Patient glaubt dann, er sei geheilt. Auf diesem Wege kommt so manch eine "Erfolgsgeschichte" durch "gesunde Vitamine" zustande. Mit Pizza und Currywurst wäre das nicht passiert. Mahlzeit!