Udo Pollmers Mahlzeit

Lasst euch den Schinken schmecken!

Spanischer roher Schinken hängt in einer Reihe in einer Metzgerei in Barcelona.
Spanischer roher Schinken hängt in einer Reihe in einer Metzgerei in Barcelona. © Unsplash/ Zoltan Kovacs
Von Udo Pollmer |
Man höre und staune: Fleisch und Wurst erhöhen laut WHO die Gesamtkrebsrate nicht messbar. Das ist erstaunlich, denn vor ein paar Jahren wurde noch das Gegenteil behauptet. Udo Pollmer über eine wirre Datenlage.
Endlich liegt sie vor: Die längst versprochene Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO. Erinnern Sie sich noch: 2015 hieß es, rotes Fleisch, Wurst und Schinken würden Krebs verursachen. Bereits 50 Gramm Wurst oder 100 Gramm "rotes Fleisch" täglich würden das Risiko für Darmkrebs um fast 20 Prozent steigern. Wurst wurde sogar der gleichen Kategorie zugeordnet wie Zigaretten. Es gab nur einen kleinen Schönheitsfehler, über den nahezu alle Medien, Experten und Talkshowgäste schwiegen: Die Studie existierte gar nicht. Es gab nur eine kurze Zusammenfassung. Gewissermaßen das Ergebnis einer Kassenprüfung, doch Buchführung und Kasse fehlten.
Das nährte den Verdacht, dass das "Abstract" als Propaganda-Ente lanciert worden sein könnte. Jetzt, knapp drei Jahre später wird die Studie nachgeliefert. Und siehe da, die WHO ist um Schadensbegrenzung bemüht: Rotes Fleisch ist jetzt nur noch pro forma verdächtig. Denn auch die WHO kommt nicht an einer Studie vorbei, die bereits im Mai 2015 eine grundsolide Bewertung aller verfügbaren Daten vorgenommen hatte. Und da war in Sachen Fleisch & Darmkrebs nix zu finden, egal wie die vielen Daten statistisch gedreht und gewendet wurden. Nichts - auch kein Verdacht.

Tiere bekommen von Wurst keinen Darmkrebs

Für die WHO ging es nun um die Wurst. Bei verarbeitetem Fleisch kam sie zum Ergebnis, es gäbe ausreichend Hinweise, dass dieses beim Menschen Darmkrebs verursache. Ob es sich nur um ein statistisches Artefakt handelt oder tatsächlich um eine Ursache, kann nur durch Fütterungsversuche an Tieren geklärt werden. Aber diese Versuche misslangen durchweg. Tiere bekommen von Wurst keinen Darmkrebs. Damit ist die These vom Tisch.
Nun versucht sich die WHO herauszureden, indem sie behauptet, die Pökelsalze Nitrat und Nitrit seien für den Menschen trotzdem bedenklich, denn da könnten Nitrosamine entstehen – und diese gelten aufgrund von Tierversuchen als kanzerogen. Aber leider funktioniert das im Labor nicht mit gepökelter Wurst. Ein Grund dürfte sein, dass die Spuren an Nitrosaminen zu gering sind, ein anderer, dass ein Teil dieser Stoffe, die sog. S-Nitrosoverbindungen, vor Krebs schützen.
Liest man die Originalarbeiten, auf die sich die WHO beruft, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Denn das als "Krebsrisiko" geschmähte Nitrat ging mal mit einer höheren, mal einer niedrigeren Rate diverser Tumoren einher. Nitrat ist in Salat sogar im Grammbereich vertreten, die Gehalte an Pökelsalzen in Wurst und Schinken sind dagegen bedeutungslos. Übrigens: Das Nitrat aus dem Gemüse wird im Körper unvermeidlich in Nitrit, also in Pökelsalz umgewandelt.
Beiläufig zitiert die WHO eine Studie, die einen ganz anderen Stoff identifiziert hat: Es ist die Ascorbinsäure, die bekanntlich der Wurst zugesetzt wird, um die Umrötung zu beschleunigen. Krebspatienten hatten hochsignifikant mehr Vitamin C im Blut als Gesunde. Sollte Gepökeltes wider Erwarten beim Menschen doch Darmkrebs begünstigen, dann zählt dieser Vitamin-Zusatz zum Kreis der Verdächtigen. Die WHO hüllt sich in Schweigen.

Mehr krebserzeugende Stoffe in Pflanzenkost

Nun kann Krebs überall auftreten, nicht nur im Darm. Deshalb wäre es wichtig zu wissen, ob Fleischesser insgesamt eine niedrigere Krebsrate haben als Vegetarier – oder umgekehrt. Fleisch und Wurst erhöhen laut WHO die Gesamtkrebsrate nicht messbar. Kein Wunder, schließlich finden sich von Natur aus in Pflanzenkost weit mehr krebserzeugende Stoffe, als im Fleisch. Man denke nur an Indol-3-Carbinol in Brokkoli oder die Pyrrolizidine in Kräutern. Definitionsgemäß zählt auch das Acrylamid in grünem Tee oder schwarzem Kaffee dazu.
In den USA sollen deshalb auf Kaffeebecher "Krebswarnungen" aufgedruckt werden. Wie absurd! Denn es gilt – entgegen der öffentlichen Darstellung - als gesichert, dass Kaffee vor Leberkrebs schützt. Womöglich auch noch vor Brustkrebs. Ja, es konnte sogar gezeigt werden, dass mit dem Konsum acrylamidhaltiger Speisen weniger Darmkrebs auftritt. Das liegt nicht am Acrylamid, sondern daran, dass beim Rösten, Grillen und Frittieren neue Schutzstoffe entstehen. Mahlzeit!

Literatur
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Alexander DD et al: Red meat and colorectal cancer: a quantitative update on the state of the epidemiologic science. Journal of the American College Nutrition 2015; 34: 521–543
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DellaValle CT et al: Dietary nitrate und nitrite intake and risk of colorectal cancer in the Shanghais Women’s Health Study. International Journal of Cancer 2014; 134: 2917-2926
Bravi F et al: Coffee and the risk of hepatocellular carcinoma and chronic liver disease: a systematic review and meta-analysis of prospective studies. European Journal of Cancer Prevention 2017; 26: 368-377
Gapstur SM et al: Associations of coffee drinking and cancer mortality in the Cancer Prevention Study-II. Cancer, Epidemiology, Biomarkers & Prevention 2017; 26: 1477-1486
Melley B: Coffee must carry cancer warning label, California judge rules. USA Today Online 30. March 2018
Pollmer U: EU geißelt Bäckereiwesen und Gastronomie. Deutschlandradio, Mahlzeit, Beitrag vom 08.12.2017
Pollmer U: Nitrat - das neue Brainfood. Deutschlandradio, Mahlzeit, Beitrag vom 12.12.2010
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