Über Berge und archaische Männer
Der neue Roman von Linus Reichlin spielt in Afghanistan und handelt von einem Kriegsreporter, der es noch einmal wissen will. Doch die Rezensionen fallen diesmal nicht gut aus - Reichlin habe den Afghanistankrieg nicht genügend beleuchtet, heißt es. Der Autor kann die Kritik nicht nachvollziehen.
Rote Vorhänge, gedimmtes Licht, Discokugel. Normalerweise wird im Liveclub Telegraph in Leipzig Jazz gespielt. Linus Reichlin liest am Rand der Buchmesse aus seinem Roman "Das Leuchten in der Ferne". Der Autor wirkt müde.
"Also Buchmessen sind jetzt nicht der Ort, wo ich hingehen würde, wenn ich was anderes tun könnte. Es ist immer so überlaufen. Und ich mag das nicht so, diese Spannteppiche und diese Plastikteile. Es ist alles nicht angenehm und nicht sinnlich. Aber man muss halt hingehen."
Am Ende wird es auch an diesem Abend um die schlechten Kritiken gehen. Eine ungewohnte Erfahrung für einen Autor, dessen Bücher bisher mit Lob überschüttet wurden.
"Mittlerweile esse ich auch schon wieder was. Und mein Arzt gibt mir auch eine gute Prognose." (lacht) "Nein, ich war total niedergeschlagen eine Weile lang und hab's dann auch nicht verstanden. Ich verstand die Genüßlichkeit nicht, mit der die Kritiker da vorgingen."
Reichlin hat ein spannendes Buch geschrieben, über die Liebe, über Reporter, Soldaten und Taliban-Kämpfer, über Afghanistan. Nur da war er nicht, sondern recherchierte aus von Deutschland aus. Dafür hat er in den Feuilletons Prügel bezogen. Etikettenschwindel haben sie ihm vorgeworfen. Karl-May-Haftigkeit. Auch weil der Krieg zu kurz kommt. Dabei hatte der Autor nie vor, ein Buch über den Afghanistankrieg zu schreiben.
"Diese Erwartungshaltung ist das Problem der Kritiker und nicht meine. Wenn sie ein Buch über den Afghanistankrieg wollen, warum schreiben sie es nicht selber? Ich hatte nicht den Auftrag dazu und ich hatte auch nicht vorgegeben, dass ich das mache."
Reichlins Buch handelt vom Kriegsreporter Moritz Martens. Einem Mann, dessen beste Jahre hinter ihm liegen – privat wie beruflich. Martens hat ein Problem mit der Zivilisation, den Banalitäten des Alltags. Er hasst Sonntagsspaziergänge und sehnt sich nach Abenteuer. Eine Liebesgeschichte führt ihn schließlich nach Afghanistan und in die Arme der Taliban.
"Was ich gebraucht habe, war ein Einblick, in eine Gruppe völlig archaischer Männer. Eigentlich wollte ich über archaische Männer schreiben. Und es gibt praktisch nur noch die Taliban, die das in dieser radikalen Art verkörpern."
Szenenwechsel: Reichlin sitzt am Wohnzimmertisch seiner Wohnung in Berlin-Schöneberg. In der Ecke stehen Keyboard, Gitarre und Verstärker. Lange Zeit lebte der Schweizer mit seiner Familie in Zürich, besuchte Berlin aber regelmäßig. Irgendwann hatte er Heimweh nach Berlin. Als es zur Scheidung kam, ließ Reichlin die Alpen dann hinter sich.
"Auch schon als Kind mochte ich die Berge nicht, einfach weil ich die Berge anstrengend finde. Man kann da wirklich nur aufwärts laufen oder abwärts laufen. Und beides ist anstrengend. Ich hab das schon als Kind gehasst. Nun kommt noch hinzu, dass ich vor allem die Alpen nicht mag, mit diesen Granitbergen."
Und dennoch philosophiert der Wahlberliner in seinem Buch so liebevoll über Berge, wie es vielleicht nur ein Schweizer vermag. Dass die eigene Familie aus Gebirgstälern stammt, habe geholfen, sagt er. Berge sind schließlich Berge - egal ob in der Schweiz in Ost-Afghanistan.
"Dass ich diese Mentalität kenne. Und auch die Kälte, oder wie sich die Luft anfühlt in den Bergen, wie sich die Steine anfühlen, wie sich so Kälte und Nässe in den Bergen anfühlt. Das hab ich natürlich von Kindheit an in mir, sozusagen."
Sonst steckt wenig Autobiografisches im Buch. Schon gar nicht in der Hauptfigur Martens. Abenteuer sucht Reichlin höchstens in seinen geliebten Computerspielen. Er sei kein Draufgänger, sagt er. Nur die Liebe zu gutem Essen teilt er mit Martens und beginnt von Le Parfait zu schwärmen:
"Das ist eine Paste aus Hefe und Leber. Die ist lecker. Wollen sie mal versuchen?"
Vielleicht der richtige Moment, Reichlin auf seinen Auftritt beim Bachmann-Preis 2011 anzusprechen. Damals hatte der Autor einen Ausschnitt seines Afghanistan-Romans vorgelesen – mit dem Unterschied, dass Martens damals noch ein Arzt im Dienst der Bundeswehr war.
"Der Arzt war ein Schuss in den Ofen. Ich habe da einfach gemerkt, dass diese Geschichte mit einem Arzt bis zu einem gewissen Punkt funktioniert. Die wirkliche Geschichte begann erst zu wachsen, als ich merkte, nein, das darf kein Arzt sein."
Der Roman war zu diesem Zeitpunkt fast fertig.
"Das war so, wie wenn sie zwei Tage einkaufen, für eine Riesenparty für 200 Leute und schon alles Fleisch gebraten haben und den Wein geöffnet. Und dann merken sie plötzlich: Mist, das ist gar nicht heute. Das ist erst in einem halben Jahr. Also, nee, ich musste alles abblasen."
Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein oranges Buch: Kunst und Philosophie – Original und Fälschung. Im nächsten Roman soll es um Kunstfälschung gehen. Oder vielmehr, um die Freundschaft zwischen einem Kunstfälscher und einem, der Fälschungen entlarvt. Bleibt zu hoffen, dass Reichlin nicht zu spät feststellt, dass der Fälscher eigentlich besser ein Friseur gewesen wäre.
"Nee!" (lacht) "Diesmal muss er ein Kunstfälscher bleiben. Nee, nee, das ist auch schon so terminiert."
"Also Buchmessen sind jetzt nicht der Ort, wo ich hingehen würde, wenn ich was anderes tun könnte. Es ist immer so überlaufen. Und ich mag das nicht so, diese Spannteppiche und diese Plastikteile. Es ist alles nicht angenehm und nicht sinnlich. Aber man muss halt hingehen."
Am Ende wird es auch an diesem Abend um die schlechten Kritiken gehen. Eine ungewohnte Erfahrung für einen Autor, dessen Bücher bisher mit Lob überschüttet wurden.
"Mittlerweile esse ich auch schon wieder was. Und mein Arzt gibt mir auch eine gute Prognose." (lacht) "Nein, ich war total niedergeschlagen eine Weile lang und hab's dann auch nicht verstanden. Ich verstand die Genüßlichkeit nicht, mit der die Kritiker da vorgingen."
Reichlin hat ein spannendes Buch geschrieben, über die Liebe, über Reporter, Soldaten und Taliban-Kämpfer, über Afghanistan. Nur da war er nicht, sondern recherchierte aus von Deutschland aus. Dafür hat er in den Feuilletons Prügel bezogen. Etikettenschwindel haben sie ihm vorgeworfen. Karl-May-Haftigkeit. Auch weil der Krieg zu kurz kommt. Dabei hatte der Autor nie vor, ein Buch über den Afghanistankrieg zu schreiben.
"Diese Erwartungshaltung ist das Problem der Kritiker und nicht meine. Wenn sie ein Buch über den Afghanistankrieg wollen, warum schreiben sie es nicht selber? Ich hatte nicht den Auftrag dazu und ich hatte auch nicht vorgegeben, dass ich das mache."
Reichlins Buch handelt vom Kriegsreporter Moritz Martens. Einem Mann, dessen beste Jahre hinter ihm liegen – privat wie beruflich. Martens hat ein Problem mit der Zivilisation, den Banalitäten des Alltags. Er hasst Sonntagsspaziergänge und sehnt sich nach Abenteuer. Eine Liebesgeschichte führt ihn schließlich nach Afghanistan und in die Arme der Taliban.
"Was ich gebraucht habe, war ein Einblick, in eine Gruppe völlig archaischer Männer. Eigentlich wollte ich über archaische Männer schreiben. Und es gibt praktisch nur noch die Taliban, die das in dieser radikalen Art verkörpern."
Szenenwechsel: Reichlin sitzt am Wohnzimmertisch seiner Wohnung in Berlin-Schöneberg. In der Ecke stehen Keyboard, Gitarre und Verstärker. Lange Zeit lebte der Schweizer mit seiner Familie in Zürich, besuchte Berlin aber regelmäßig. Irgendwann hatte er Heimweh nach Berlin. Als es zur Scheidung kam, ließ Reichlin die Alpen dann hinter sich.
"Auch schon als Kind mochte ich die Berge nicht, einfach weil ich die Berge anstrengend finde. Man kann da wirklich nur aufwärts laufen oder abwärts laufen. Und beides ist anstrengend. Ich hab das schon als Kind gehasst. Nun kommt noch hinzu, dass ich vor allem die Alpen nicht mag, mit diesen Granitbergen."
Und dennoch philosophiert der Wahlberliner in seinem Buch so liebevoll über Berge, wie es vielleicht nur ein Schweizer vermag. Dass die eigene Familie aus Gebirgstälern stammt, habe geholfen, sagt er. Berge sind schließlich Berge - egal ob in der Schweiz in Ost-Afghanistan.
"Dass ich diese Mentalität kenne. Und auch die Kälte, oder wie sich die Luft anfühlt in den Bergen, wie sich die Steine anfühlen, wie sich so Kälte und Nässe in den Bergen anfühlt. Das hab ich natürlich von Kindheit an in mir, sozusagen."
Sonst steckt wenig Autobiografisches im Buch. Schon gar nicht in der Hauptfigur Martens. Abenteuer sucht Reichlin höchstens in seinen geliebten Computerspielen. Er sei kein Draufgänger, sagt er. Nur die Liebe zu gutem Essen teilt er mit Martens und beginnt von Le Parfait zu schwärmen:
"Das ist eine Paste aus Hefe und Leber. Die ist lecker. Wollen sie mal versuchen?"
Vielleicht der richtige Moment, Reichlin auf seinen Auftritt beim Bachmann-Preis 2011 anzusprechen. Damals hatte der Autor einen Ausschnitt seines Afghanistan-Romans vorgelesen – mit dem Unterschied, dass Martens damals noch ein Arzt im Dienst der Bundeswehr war.
"Der Arzt war ein Schuss in den Ofen. Ich habe da einfach gemerkt, dass diese Geschichte mit einem Arzt bis zu einem gewissen Punkt funktioniert. Die wirkliche Geschichte begann erst zu wachsen, als ich merkte, nein, das darf kein Arzt sein."
Der Roman war zu diesem Zeitpunkt fast fertig.
"Das war so, wie wenn sie zwei Tage einkaufen, für eine Riesenparty für 200 Leute und schon alles Fleisch gebraten haben und den Wein geöffnet. Und dann merken sie plötzlich: Mist, das ist gar nicht heute. Das ist erst in einem halben Jahr. Also, nee, ich musste alles abblasen."
Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein oranges Buch: Kunst und Philosophie – Original und Fälschung. Im nächsten Roman soll es um Kunstfälschung gehen. Oder vielmehr, um die Freundschaft zwischen einem Kunstfälscher und einem, der Fälschungen entlarvt. Bleibt zu hoffen, dass Reichlin nicht zu spät feststellt, dass der Fälscher eigentlich besser ein Friseur gewesen wäre.
"Nee!" (lacht) "Diesmal muss er ein Kunstfälscher bleiben. Nee, nee, das ist auch schon so terminiert."