Über den Alltag russischer Soldaten in Tschetschenien
Der junge russische Autor Arkadi Babtschenko war während des Militärs selbst in Tschetschenien. Er verlässt in seinem Erfahrungsbericht nie die Ebene des den Umständen ausgelieferten Soldaten. Aus dieser Perspektive vermittelt sich das Bild eines chaotischen, grausamen, ohne jede erkennbare Strategie geführten Krieges.
Die Unmittelbarkeit mancher Texte legt eigentlich ein Verstummen nahe. Es ist schwer zu reden über Szenen, wie sie in Arkadi Babtschenkos Buch "Die Farbe des Krieges" mehrfach beschrieben werden: Ein Mann tritt einem anderen auf den Kopf und schneidet mit einem Bajonett diesen Kopf einfach ab vom restlichen Körper. Eine Genrebezeichnung wie "Roman" oder "Erzählung" kann da geradezu tröstend wirken, aber in diesem Fall gibt es diesen Trost nicht. Die hier versammelten Skizzen muss man hinnehmen als das, was sie in erster Linie sind: Erfahrungsberichte.
Sie erzählen in Episoden vom Alltag russischer Soldaten, die in Tschetschenien ihren Dienst ableisten. Es sind Nahaufnahmen eines Grauens, das sich aus zwei Elementen zusammensetzt.
Da ist der Tschetschenienkrieg selbst, ein Guerrilla-Krieg, der jedes reguläre Heer vor große Probleme stellt. Es ist ein Krieg der Hinterhalte, der Minen und der punktuellen Angriffe. Ein Krieg auch, in dem Normen oder Konventionen nicht mehr zählen. Jene Szenen, in denen das Köpfen (oder Kastrieren) von Kriegsgefangenen – und zwar auf beiden Seiten – drastisch beschrieben wird, zeichnen in dieser Hinsicht ein bedrückendes Bild. Begriffe wie Kriegs- oder Völkerrecht schrumpfen in diesen Beschreibungen des Kriegsalltags auf ein alarmierend reduziertes Niveau. Bezeichnend an den Schilderungen Babtschenkos ist, dass er die Ebene des "gemeinen" und den Umständen völlig ausgelieferten Soldaten nie verlässt. Aus dieser Perspektive vermittelt sich das Bild eines chaotischen, grausamen, ohne jede erkennbare Strategie geführten Krieges, der scheinbar ziellos, um seiner selbst willen, geführt wird. Und an dem dennoch eine Schicht von "Kriegsgewinnlern" verdient: korrupte Generäle und sonstige Offiziere, aber auch Soldaten, die offenbar keine Gelegenheit auslassen, ihren "Schnitt" zu machen, bis hin zur Absurdität, dem Feind – den Tschetschenen – Waffen oder Munition zu verkaufen, wenn es nur den eigenen Beutel füllt oder das Überleben ein wenig erleichtert.
Hier rückt das zweite Element dieses Grauens ins Blickfeld. Die Zustände in der russischen Armee sind diesen Berichten zufolge derart schlimm, dass es einen äußeren Feind nicht eigentlich braucht. Schikanen und Torturen, Erpressungen und Nötigungen gehören als größte Selbstverständlichkeiten zu jenem Armeealltag. Wer neu hinzukommt, wird geschunden und gefoltert, ein übles Regime, das die "Alten" erbarmungslos an den "Geistern", den frisch Einberufenen, exekutieren. Und auch hier bleibt dem Leser kein Detail erspart: zerschlagene Gesichter und wackelnde Zähne, malträtierte Brustkörbe und Gliedmaßen sowie die immerwährende Gewissheit, die nächsten Schläge seien nicht fern, vermitteln das beherrschende Gefühl einer permanenten Bedrückung.
Arkadi Babtschenko analysiert weder die Hintergründe dieses Krieges noch die politischen Begleitumstände seines Hergangs, ebenso wenig widmet er sich der langen (und literarisch verarbeiteten) Geschichte des Konflikts zwischen Russen und Tschetschenen. Seine Texte basieren allein auf der individuellen Erfahrung und daraus abgeleiteten Reflexionen oder Empfindungen. Es ist dieser sehr persönliche Ton, der diesem Buch seinen literarischen Zug beigibt.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Arkadi Babtschenko: Die Farbe des Krieges.
Deutsch von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin,
Berlin 2007. 250 Seiten, 17,90 Euro
Service:
Arkadi Babtschenko wurde 1977 in Moskau geboren, kam als 18-Jähriger zum Militär und wurde 1996 nach Tschetschenien abkommandiert. Nach seiner Rückkehr studierte er Jura, er arbeitet gegenwärtig in Moskau als Journalist und Autor.
Sie erzählen in Episoden vom Alltag russischer Soldaten, die in Tschetschenien ihren Dienst ableisten. Es sind Nahaufnahmen eines Grauens, das sich aus zwei Elementen zusammensetzt.
Da ist der Tschetschenienkrieg selbst, ein Guerrilla-Krieg, der jedes reguläre Heer vor große Probleme stellt. Es ist ein Krieg der Hinterhalte, der Minen und der punktuellen Angriffe. Ein Krieg auch, in dem Normen oder Konventionen nicht mehr zählen. Jene Szenen, in denen das Köpfen (oder Kastrieren) von Kriegsgefangenen – und zwar auf beiden Seiten – drastisch beschrieben wird, zeichnen in dieser Hinsicht ein bedrückendes Bild. Begriffe wie Kriegs- oder Völkerrecht schrumpfen in diesen Beschreibungen des Kriegsalltags auf ein alarmierend reduziertes Niveau. Bezeichnend an den Schilderungen Babtschenkos ist, dass er die Ebene des "gemeinen" und den Umständen völlig ausgelieferten Soldaten nie verlässt. Aus dieser Perspektive vermittelt sich das Bild eines chaotischen, grausamen, ohne jede erkennbare Strategie geführten Krieges, der scheinbar ziellos, um seiner selbst willen, geführt wird. Und an dem dennoch eine Schicht von "Kriegsgewinnlern" verdient: korrupte Generäle und sonstige Offiziere, aber auch Soldaten, die offenbar keine Gelegenheit auslassen, ihren "Schnitt" zu machen, bis hin zur Absurdität, dem Feind – den Tschetschenen – Waffen oder Munition zu verkaufen, wenn es nur den eigenen Beutel füllt oder das Überleben ein wenig erleichtert.
Hier rückt das zweite Element dieses Grauens ins Blickfeld. Die Zustände in der russischen Armee sind diesen Berichten zufolge derart schlimm, dass es einen äußeren Feind nicht eigentlich braucht. Schikanen und Torturen, Erpressungen und Nötigungen gehören als größte Selbstverständlichkeiten zu jenem Armeealltag. Wer neu hinzukommt, wird geschunden und gefoltert, ein übles Regime, das die "Alten" erbarmungslos an den "Geistern", den frisch Einberufenen, exekutieren. Und auch hier bleibt dem Leser kein Detail erspart: zerschlagene Gesichter und wackelnde Zähne, malträtierte Brustkörbe und Gliedmaßen sowie die immerwährende Gewissheit, die nächsten Schläge seien nicht fern, vermitteln das beherrschende Gefühl einer permanenten Bedrückung.
Arkadi Babtschenko analysiert weder die Hintergründe dieses Krieges noch die politischen Begleitumstände seines Hergangs, ebenso wenig widmet er sich der langen (und literarisch verarbeiteten) Geschichte des Konflikts zwischen Russen und Tschetschenen. Seine Texte basieren allein auf der individuellen Erfahrung und daraus abgeleiteten Reflexionen oder Empfindungen. Es ist dieser sehr persönliche Ton, der diesem Buch seinen literarischen Zug beigibt.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Arkadi Babtschenko: Die Farbe des Krieges.
Deutsch von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin,
Berlin 2007. 250 Seiten, 17,90 Euro
Service:
Arkadi Babtschenko wurde 1977 in Moskau geboren, kam als 18-Jähriger zum Militär und wurde 1996 nach Tschetschenien abkommandiert. Nach seiner Rückkehr studierte er Jura, er arbeitet gegenwärtig in Moskau als Journalist und Autor.