Über den moralischen Status von Tieren
Als "moralischen Skandal" hat Julian Nida-Rümelin die industrielle Massentierhaltung bezeichnet. Die Umstellung auf artgerechte Haltung würde das Fleisch weniger verteuern als angenommen, ist der Professor von der Universität München überzeugt.
Ulrike Timm: 94 Prozent der Deutschen haben die Frage, ob man tote Tiere essen darf, für sich entschieden, und zwar mit den Zähnen und mit dem Bauch. Ihnen per se zu unterstellen, dass sie die moralisch schlechteren Menschen wären – das wäre doch wohl sehr vermessen. Andererseits kann man die derzeitige Diskussion um sichere Lebensmittel, Massentierhaltung und weniger Fleischgenuss an einem Bild festmachen: Der Mensch, der an seinem Herd die Pfanne heiß macht und ein Steak brutzelt, hat das Schwein nicht mehr vor Augen, in dem das Steak einmal war.
Wir hier im Deutschlandradio Kultur wollen uns Gedanken machen in unserer kleinen Reihe "Tiere essen", indem wir zum Beispiel nachdenken über die Rechte des Schweins, das wir töten. Womöglich kann uns die Philosophie mit ethischen Überlegungen dabei helfen. Zugeschaltet ist Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin von der Universität München. Schönen guten Tag!
Julian Nida-Rümelin: Ja, guten Tag!
Timm: Herr Nida-Rümelin, haben Schlachttiere so etwas wie einen moralischen Status, der den Menschen zwingt, sich für ihr Leben vor dem Tod stellvertretend für sie Gedanken zu machen?
Nida-Rümelin: Also sehr lange Zeit haben die Biologen den Menschen erzählt, dass Tiere überhaupt keine Gefühle hätten, dass sie keine Schmerzen empfinden, keine Angst haben. Unterdessen ist das auch in der Biologie nicht mehr das Übliche, das heißt, auch dort ist anerkannt, dass zumindest die näheren Verwandten aus dem Bereich der Säugetiere mit uns sehr viel gemeinsam haben, unter anderem auch die Fähigkeit, bestimmte Empfindungen zu haben. Und wenn das so ist, und alles spricht dafür, auch die Hirnstruktur, dann heißt das, dass wir in der Hinsicht, in der Tiere gleich sind wie Menschen – und das betrifft zum Beispiel Schmerzempfindungsfähigkeit oder Angst –, dass wir sie in der Hinsicht dann auch gleich behandeln müssten. Alles andere wäre Speziesismus, so ähnlich wie Rassismus, das heißt, die Bevorzugung einer Spezies ohne Grund.
Timm: Je differenzierter ein Säugetier, desto größer ist natürlich auch seine Empfindungsfähigkeit, seine Leidensfähigkeit, seine Schmerzfähigkeit. Ist das ein wesentliches Kriterium für seinen moralischen Status?
Nida-Rümelin: Nicht nur für seinen moralischen, sondern auf der Grundlage seines moralischen Status dann auch für seinen Rechtsstatus. Wir haben in Deutschland ein Tierschutzgesetz, was zum Teil weltweit emittiert wird, das insgesamt glaube ich auch die wichtigsten Punkte enthält, in denen die Schmerzzufügung nur erlaubt ist, wenn es dafür einen gewichtigen Grund gibt – ich will jetzt nicht in die juristische Debatte hineingehen –, und das ist gegründet auf der richtigen Erkenntnis, dass wir Tieren keinen Schmerz zufügen dürfen, wenn es andere Möglichkeiten gibt, dieselben Ziele zu erreichen, ohne dass wir das tun.
Timm: Und was heißt das für das Schwein, wenn 94 Prozent der Deutschen mal drauf Hunger haben?
Nida-Rümelin: Jetzt sind wir bei der Tötung. Also das Problem mit dem Schwein ist in meinen Augen nicht so sehr die Tötung, die Tötung ist die schmerzfreie Tötung, ist jedenfalls vom Gesetz her überhaupt nicht eingeschränkt, sondern eben ausschließlich die Verstümmelung und die Schmerzzufügung, und das ist im Grundsatz auch erst mal die richtige Perspektive, außer bei ganz hoch entwickelten Lebewesen wie zum Beispiel Affen, Menschenaffen, die ein Zukunftsbewusstsein haben, die eine Identität in der Zeit haben, wo ich auch sagen würde, dort ist die Tötung selbst auch problematisch. Aber bei den allermeisten Tieren geht es erst mal um Schmerzzufügung, um artgerechte Tierhaltung, um Erfüllung gewissermaßen eines ihnen artgerechten Lebens. Und das ist das Problem der Massentierhaltung, dass diese Tiere unter den heutigen Bedingungen der Landwirtschaft insgesamt mit Ausnahmen ein ziemlich miserables Leben leben.
Timm: Es geht also um das Leben vor dem Tod, und beim Recherchieren über das Thema Massentierhaltung bin ich auf ein mir sehr viel ehrlicher klingendes Wort gestoßen, nämlich das von der landlosen Tierproduktion. Sprache spricht Bände. Würden wir uns ethischer verhalten, wenn wir eine schonungslosere Sprache hätten?
Nida-Rümelin: Ja, also auf jeden Fall gibt es eine Tendenz, zum Beispiel die Tierversuche in der Forschung sehr kritisch zu diskutieren, aber die Behandlung von Tieren in der industrialisierten Landwirtschaft, die Tiertransporte, Lebendtiertransporte, die es nach wie vor in hoher Zahl gibt, im Grunde gar nicht weiter zu beachten. Dagegen ist das quantitativ der viel bedeutsamere Bereich, und allerdings auch sehr viel mehr Menschen profitieren von dieser Art, also billiges Fleisch auf den Märkten, der Fleischkonsum ist eher gestiegen als gesunken. Also das ist die eigentlich zentrale Problematik im Umgang mit Tieren.
Timm: Wir essen keine Hunde und Katzen, aber Schweine und Rinder – weil wir mit den Hunden und Katzen privat werden, mit den Schweinen und Rindern aber nicht?
Nida-Rümelin: Also auch da, der Abstand zu einem Menschen rechtfertigt nicht, ihn unterschiedlich zu behandeln. Das Gleiche gilt auch bei Tieren. Schweine sind zum Beispiel Lebewesen, die nach allem, was man weiß, sehr differenzierte Gefühlsregungen haben, die auf jeden Fall Angst haben, ich will nicht sagen, Todesangst, aber die jedenfalls unter den Normalbedingungen dieser Massentierhaltung kein gutes Leben haben. Robbenbabys haben große Anhängerschaft, weil das halt auf den Fotos so niedlich aussieht, während andere Tiere uns gar nicht interessieren. Ratten, Mäuse sind relativ hoch entwickelte Tiere mit relativ hoher Intelligenz, aber die wenigsten Menschen kümmern sich um den Umgang, zum Beispiel ist das qualvolle Verenden aufgrund von Rattengift, was ausgestreut wird, nicht unproblematisch.
Timm: Dann kann die Konsequenz aber auch nicht unbedingt heißen, Austern und Schnecken für alle. Deren Empfindungsvermögen ist nach allen Erkenntnissen nicht so hoch.
Nida-Rümelin: Nein, weil das zu teuer wird, ja gut, aber immerhin, also Fische sind schon auf einem ganz anderen Niveau sozusagen der Sensibilität, und man kann auch deswegen etwas beruhigter sein in moralischer Hinsicht, weil ja die Fische vorher ein Leben hatten, das heißt, sie werden dann gefangen, sehr viele Fische jedenfalls sind nicht in Massentierhaltungssystemen hineingepfercht. Auch Wildtiere und artgerechte Tierhaltung, also nicht landlose Tierhaltung, sondern landgesättigte Tierhaltung, das ist eine sehr viel vernünftigere Form, mit den tierlichen Interessen und Rechten umzugehen.
Timm: Aber es ist schon schwierig, nicht? Die Eskimos oder die Inuit, politisch korrekt, die ernähren sich fast nur von Fleisch und Fisch, sonst wären sie längst tot. Sie kennen aber sozusagen jede Robbe vor der Tötung persönlich. Das ist auf uns aber nicht wirklich übertragbar.
Nida-Rümelin: Das ist nicht übertragbar, ich würde auch sagen, diese Sondersituation Inuit, die ja zum Teil auch vom Walfang leben in bestimmten Bereichen, das würde ich aussparen, das sind sozusagen Lebensformen, die man zerstört, wenn man diese Grundlagen vernichtet. Es geht jetzt hier um die industrielle Massentierhaltung. Das ist in meinen Augen der moralische Skandal, wenn man so will, der Umgang, den wir dort pflegen, um das Fleisch ein paar Euro billiger zu bekommen. Es gibt Berechnungen: Die vollständige Umstellung auf artgerechte Tierhaltung in Europa würde in der Tat das Fleisch verteuern, allerdings lange nicht so dramatisch, wie das heute erscheint, weil das eben auch damit zusammenhängt, dass diese Form der Tierhaltung noch relativ marginal ist. Wenn das sich auf breitere Basis stellt, wird das auch günstiger. Aber die Gesamtmenge von verfügbarem Fleisch würde dramatisch sinken, das heißt, man müsste sich dann eben auf weniger Fleischkonsum einstellen, und das wäre auch nur gesund.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", in unserer Reihe "Tiere essen" sprechen wir heute mit dem Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin. Herr Nida-Rümelin, wenn wir heute über zu viel, zu billig, zu gedankenlos produziertes Fleisch reden, dann ist das immer so ein schneller Schritt: Biofleisch kaufen, weniger essen. Das ist natürlich auch immer die Konsequenz des gutverdienenden Menschen – der damit ja auch sein Gewissen beruhigt und sich über seinen wenig oder nichts verdienenden Zeitgenossen erhebt, der sich derlei nicht leisten kann?
Nida-Rümelin: Also die Haltung habe ich nun gerade nicht, sonst hätte ich mich ja nicht so stark sozialpolitisch und in anderer Hinsicht mein Leben lang engagiert. Deswegen ist glaube ich der entscheidende Punkt, dass der Gesetzgeber, auch die Politik als Ganze da gefordert ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das eben nicht zu einer Nischenproduktion werden lassen der sensiblen und besser verdienenden Schichten in der Bevölkerung, sondern Rahmenbedingungen setzen, die dann für alle gelten müssen, das heißt, Produkte, die in höherer Stückzahl hergestellt werden, werden billiger, und das gilt eben auch für ökologisch verträgliche, für artgerechte Tierhaltung.
Timm: Da lasten Sie dem Gesetzgeber in Zeiten freier Wirtschaft eine große Funktion auf.
Nida-Rümelin: Ja, allerdings. Sie sehen ja gerade, wozu es führt, wenn der Staat diese Funktion nicht wahrnimmt, das sieht man am Dioxin-Skandal sehr deutlich oder auch beim Rinderwahnsinn. Der Rinderwahnsinn in den USA ist direkte Folge der Thatchers'schen Abbau- und Deregulierungspolitik des Staates.
Timm: Herr Nida-Rümelin, von Nietzsche gibt es viele lange und diesen ganz kurzen Satz: "Geist braucht Fleisch", vielleicht hat er das auch im Scherz gesagt, das weiß ich nicht, aber wenn man bedenkt, dass viel Fleisch essen in unseren Breiten geschichtlich auch für das Maß an Wohlstand steht – bedeutet das so etwas wie einen Machtverlust oder wird es so empfunden wie Machtverlust, wenn man sich ohne oder mit weniger Fleisch begnügt?
Nida-Rümelin: Also Geist braucht Eiweiß, das ist richtig.
Timm: Ich hatte das Nietzsche-Zitat anders gefunden, plastischer. "Geist braucht Fleisch".
Nida-Rümelin: Ja, das stimmt, ja, aber Geist braucht Eiweiß, stimmt, aber Eiweiß gibt es auch in pflanzlicher Nahrung und natürlich in Milch und Eiern. In der Tat: Der Fleischkonsum gilt weltweit, auch in vielen Kulturen heute noch, als Ausweis von Wohlstand, deswegen stellt sich gegenwärtig die ostasiatische Ernährung zunehmend auf Fleischkonsum um, was dazu führt, dass die Herzinfarktrate steigt und die Lebenserwartung wieder sinkt auch in weiten Bereichen des ländlichen Japan. Da tun sich letztlich die Menschen auch selber eine Tort an, Übergewichtigkeit hängt zum Teil auch mit einer bestimmten Art von Fleischkonsum zusammen. Also von daher glaube ich ist das eine kulturelle Phase, die vor allem in den Regionen verbreitet ist, in denen es über Jahrhunderte lang für die ärmere Bevölkerung oder für die große Mehrheit sogar der Bevölkerung nicht möglich war, regelmäßig Fleisch zu essen, dann ist das sozusagen Wohlstandsbeweis. Aber diese Phase, die wird gegenwärtig glaube ich überwunden, also zumindest in den wohlhabenderen Regionen der Welt, und es ist eigentlich zu hoffen, dass das auch in anderen Regionen so kommt.
Timm: Ist aber eigentlich ein frappierendes Bild, das mit Machtverlust gleichzusetzen, wenn man kein Fleisch isst.
Nida-Rümelin: Ich würde eher von Reichtumsverlust, Macht weniger ... Es ist ein Symbol für Wohlhabenheit, dass man nicht mehr nur Reis mit Gemüse isst, sondern eben jetzt überwiegend Fleisch, dass der Reis verschwindet vom Teller derjenigen, die es sich leisten können in China. Die gesundheitlichen Folgen machen sich jetzt schon bemerkbar.
Timm: Also Sie meinen, "Geist braucht Fleisch" würde Nietzsche heute nicht mehr sagen?
Nida-Rümelin: Nein, das würde er nicht mehr sagen.
Timm: Ich danke Ihnen! Das war der Münchner Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin zum moralischen Status von Tieren. Herzlichen Dank!
Nida-Rümelin: Nichts zu danken! Hat Spaß gemacht!
Links auf dradio.de:
Reihe "Tiere essen" im Radiofeuilleton vom 18. - 21.1.2011, 11:07 Uhr
Öko-Verband fordert Systemwandel in der Landwirtschaft - Vorsitzender warnt vor Aktionismus nach Dioxin-Skandal
Wir hier im Deutschlandradio Kultur wollen uns Gedanken machen in unserer kleinen Reihe "Tiere essen", indem wir zum Beispiel nachdenken über die Rechte des Schweins, das wir töten. Womöglich kann uns die Philosophie mit ethischen Überlegungen dabei helfen. Zugeschaltet ist Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin von der Universität München. Schönen guten Tag!
Julian Nida-Rümelin: Ja, guten Tag!
Timm: Herr Nida-Rümelin, haben Schlachttiere so etwas wie einen moralischen Status, der den Menschen zwingt, sich für ihr Leben vor dem Tod stellvertretend für sie Gedanken zu machen?
Nida-Rümelin: Also sehr lange Zeit haben die Biologen den Menschen erzählt, dass Tiere überhaupt keine Gefühle hätten, dass sie keine Schmerzen empfinden, keine Angst haben. Unterdessen ist das auch in der Biologie nicht mehr das Übliche, das heißt, auch dort ist anerkannt, dass zumindest die näheren Verwandten aus dem Bereich der Säugetiere mit uns sehr viel gemeinsam haben, unter anderem auch die Fähigkeit, bestimmte Empfindungen zu haben. Und wenn das so ist, und alles spricht dafür, auch die Hirnstruktur, dann heißt das, dass wir in der Hinsicht, in der Tiere gleich sind wie Menschen – und das betrifft zum Beispiel Schmerzempfindungsfähigkeit oder Angst –, dass wir sie in der Hinsicht dann auch gleich behandeln müssten. Alles andere wäre Speziesismus, so ähnlich wie Rassismus, das heißt, die Bevorzugung einer Spezies ohne Grund.
Timm: Je differenzierter ein Säugetier, desto größer ist natürlich auch seine Empfindungsfähigkeit, seine Leidensfähigkeit, seine Schmerzfähigkeit. Ist das ein wesentliches Kriterium für seinen moralischen Status?
Nida-Rümelin: Nicht nur für seinen moralischen, sondern auf der Grundlage seines moralischen Status dann auch für seinen Rechtsstatus. Wir haben in Deutschland ein Tierschutzgesetz, was zum Teil weltweit emittiert wird, das insgesamt glaube ich auch die wichtigsten Punkte enthält, in denen die Schmerzzufügung nur erlaubt ist, wenn es dafür einen gewichtigen Grund gibt – ich will jetzt nicht in die juristische Debatte hineingehen –, und das ist gegründet auf der richtigen Erkenntnis, dass wir Tieren keinen Schmerz zufügen dürfen, wenn es andere Möglichkeiten gibt, dieselben Ziele zu erreichen, ohne dass wir das tun.
Timm: Und was heißt das für das Schwein, wenn 94 Prozent der Deutschen mal drauf Hunger haben?
Nida-Rümelin: Jetzt sind wir bei der Tötung. Also das Problem mit dem Schwein ist in meinen Augen nicht so sehr die Tötung, die Tötung ist die schmerzfreie Tötung, ist jedenfalls vom Gesetz her überhaupt nicht eingeschränkt, sondern eben ausschließlich die Verstümmelung und die Schmerzzufügung, und das ist im Grundsatz auch erst mal die richtige Perspektive, außer bei ganz hoch entwickelten Lebewesen wie zum Beispiel Affen, Menschenaffen, die ein Zukunftsbewusstsein haben, die eine Identität in der Zeit haben, wo ich auch sagen würde, dort ist die Tötung selbst auch problematisch. Aber bei den allermeisten Tieren geht es erst mal um Schmerzzufügung, um artgerechte Tierhaltung, um Erfüllung gewissermaßen eines ihnen artgerechten Lebens. Und das ist das Problem der Massentierhaltung, dass diese Tiere unter den heutigen Bedingungen der Landwirtschaft insgesamt mit Ausnahmen ein ziemlich miserables Leben leben.
Timm: Es geht also um das Leben vor dem Tod, und beim Recherchieren über das Thema Massentierhaltung bin ich auf ein mir sehr viel ehrlicher klingendes Wort gestoßen, nämlich das von der landlosen Tierproduktion. Sprache spricht Bände. Würden wir uns ethischer verhalten, wenn wir eine schonungslosere Sprache hätten?
Nida-Rümelin: Ja, also auf jeden Fall gibt es eine Tendenz, zum Beispiel die Tierversuche in der Forschung sehr kritisch zu diskutieren, aber die Behandlung von Tieren in der industrialisierten Landwirtschaft, die Tiertransporte, Lebendtiertransporte, die es nach wie vor in hoher Zahl gibt, im Grunde gar nicht weiter zu beachten. Dagegen ist das quantitativ der viel bedeutsamere Bereich, und allerdings auch sehr viel mehr Menschen profitieren von dieser Art, also billiges Fleisch auf den Märkten, der Fleischkonsum ist eher gestiegen als gesunken. Also das ist die eigentlich zentrale Problematik im Umgang mit Tieren.
Timm: Wir essen keine Hunde und Katzen, aber Schweine und Rinder – weil wir mit den Hunden und Katzen privat werden, mit den Schweinen und Rindern aber nicht?
Nida-Rümelin: Also auch da, der Abstand zu einem Menschen rechtfertigt nicht, ihn unterschiedlich zu behandeln. Das Gleiche gilt auch bei Tieren. Schweine sind zum Beispiel Lebewesen, die nach allem, was man weiß, sehr differenzierte Gefühlsregungen haben, die auf jeden Fall Angst haben, ich will nicht sagen, Todesangst, aber die jedenfalls unter den Normalbedingungen dieser Massentierhaltung kein gutes Leben haben. Robbenbabys haben große Anhängerschaft, weil das halt auf den Fotos so niedlich aussieht, während andere Tiere uns gar nicht interessieren. Ratten, Mäuse sind relativ hoch entwickelte Tiere mit relativ hoher Intelligenz, aber die wenigsten Menschen kümmern sich um den Umgang, zum Beispiel ist das qualvolle Verenden aufgrund von Rattengift, was ausgestreut wird, nicht unproblematisch.
Timm: Dann kann die Konsequenz aber auch nicht unbedingt heißen, Austern und Schnecken für alle. Deren Empfindungsvermögen ist nach allen Erkenntnissen nicht so hoch.
Nida-Rümelin: Nein, weil das zu teuer wird, ja gut, aber immerhin, also Fische sind schon auf einem ganz anderen Niveau sozusagen der Sensibilität, und man kann auch deswegen etwas beruhigter sein in moralischer Hinsicht, weil ja die Fische vorher ein Leben hatten, das heißt, sie werden dann gefangen, sehr viele Fische jedenfalls sind nicht in Massentierhaltungssystemen hineingepfercht. Auch Wildtiere und artgerechte Tierhaltung, also nicht landlose Tierhaltung, sondern landgesättigte Tierhaltung, das ist eine sehr viel vernünftigere Form, mit den tierlichen Interessen und Rechten umzugehen.
Timm: Aber es ist schon schwierig, nicht? Die Eskimos oder die Inuit, politisch korrekt, die ernähren sich fast nur von Fleisch und Fisch, sonst wären sie längst tot. Sie kennen aber sozusagen jede Robbe vor der Tötung persönlich. Das ist auf uns aber nicht wirklich übertragbar.
Nida-Rümelin: Das ist nicht übertragbar, ich würde auch sagen, diese Sondersituation Inuit, die ja zum Teil auch vom Walfang leben in bestimmten Bereichen, das würde ich aussparen, das sind sozusagen Lebensformen, die man zerstört, wenn man diese Grundlagen vernichtet. Es geht jetzt hier um die industrielle Massentierhaltung. Das ist in meinen Augen der moralische Skandal, wenn man so will, der Umgang, den wir dort pflegen, um das Fleisch ein paar Euro billiger zu bekommen. Es gibt Berechnungen: Die vollständige Umstellung auf artgerechte Tierhaltung in Europa würde in der Tat das Fleisch verteuern, allerdings lange nicht so dramatisch, wie das heute erscheint, weil das eben auch damit zusammenhängt, dass diese Form der Tierhaltung noch relativ marginal ist. Wenn das sich auf breitere Basis stellt, wird das auch günstiger. Aber die Gesamtmenge von verfügbarem Fleisch würde dramatisch sinken, das heißt, man müsste sich dann eben auf weniger Fleischkonsum einstellen, und das wäre auch nur gesund.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", in unserer Reihe "Tiere essen" sprechen wir heute mit dem Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin. Herr Nida-Rümelin, wenn wir heute über zu viel, zu billig, zu gedankenlos produziertes Fleisch reden, dann ist das immer so ein schneller Schritt: Biofleisch kaufen, weniger essen. Das ist natürlich auch immer die Konsequenz des gutverdienenden Menschen – der damit ja auch sein Gewissen beruhigt und sich über seinen wenig oder nichts verdienenden Zeitgenossen erhebt, der sich derlei nicht leisten kann?
Nida-Rümelin: Also die Haltung habe ich nun gerade nicht, sonst hätte ich mich ja nicht so stark sozialpolitisch und in anderer Hinsicht mein Leben lang engagiert. Deswegen ist glaube ich der entscheidende Punkt, dass der Gesetzgeber, auch die Politik als Ganze da gefordert ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das eben nicht zu einer Nischenproduktion werden lassen der sensiblen und besser verdienenden Schichten in der Bevölkerung, sondern Rahmenbedingungen setzen, die dann für alle gelten müssen, das heißt, Produkte, die in höherer Stückzahl hergestellt werden, werden billiger, und das gilt eben auch für ökologisch verträgliche, für artgerechte Tierhaltung.
Timm: Da lasten Sie dem Gesetzgeber in Zeiten freier Wirtschaft eine große Funktion auf.
Nida-Rümelin: Ja, allerdings. Sie sehen ja gerade, wozu es führt, wenn der Staat diese Funktion nicht wahrnimmt, das sieht man am Dioxin-Skandal sehr deutlich oder auch beim Rinderwahnsinn. Der Rinderwahnsinn in den USA ist direkte Folge der Thatchers'schen Abbau- und Deregulierungspolitik des Staates.
Timm: Herr Nida-Rümelin, von Nietzsche gibt es viele lange und diesen ganz kurzen Satz: "Geist braucht Fleisch", vielleicht hat er das auch im Scherz gesagt, das weiß ich nicht, aber wenn man bedenkt, dass viel Fleisch essen in unseren Breiten geschichtlich auch für das Maß an Wohlstand steht – bedeutet das so etwas wie einen Machtverlust oder wird es so empfunden wie Machtverlust, wenn man sich ohne oder mit weniger Fleisch begnügt?
Nida-Rümelin: Also Geist braucht Eiweiß, das ist richtig.
Timm: Ich hatte das Nietzsche-Zitat anders gefunden, plastischer. "Geist braucht Fleisch".
Nida-Rümelin: Ja, das stimmt, ja, aber Geist braucht Eiweiß, stimmt, aber Eiweiß gibt es auch in pflanzlicher Nahrung und natürlich in Milch und Eiern. In der Tat: Der Fleischkonsum gilt weltweit, auch in vielen Kulturen heute noch, als Ausweis von Wohlstand, deswegen stellt sich gegenwärtig die ostasiatische Ernährung zunehmend auf Fleischkonsum um, was dazu führt, dass die Herzinfarktrate steigt und die Lebenserwartung wieder sinkt auch in weiten Bereichen des ländlichen Japan. Da tun sich letztlich die Menschen auch selber eine Tort an, Übergewichtigkeit hängt zum Teil auch mit einer bestimmten Art von Fleischkonsum zusammen. Also von daher glaube ich ist das eine kulturelle Phase, die vor allem in den Regionen verbreitet ist, in denen es über Jahrhunderte lang für die ärmere Bevölkerung oder für die große Mehrheit sogar der Bevölkerung nicht möglich war, regelmäßig Fleisch zu essen, dann ist das sozusagen Wohlstandsbeweis. Aber diese Phase, die wird gegenwärtig glaube ich überwunden, also zumindest in den wohlhabenderen Regionen der Welt, und es ist eigentlich zu hoffen, dass das auch in anderen Regionen so kommt.
Timm: Ist aber eigentlich ein frappierendes Bild, das mit Machtverlust gleichzusetzen, wenn man kein Fleisch isst.
Nida-Rümelin: Ich würde eher von Reichtumsverlust, Macht weniger ... Es ist ein Symbol für Wohlhabenheit, dass man nicht mehr nur Reis mit Gemüse isst, sondern eben jetzt überwiegend Fleisch, dass der Reis verschwindet vom Teller derjenigen, die es sich leisten können in China. Die gesundheitlichen Folgen machen sich jetzt schon bemerkbar.
Timm: Also Sie meinen, "Geist braucht Fleisch" würde Nietzsche heute nicht mehr sagen?
Nida-Rümelin: Nein, das würde er nicht mehr sagen.
Timm: Ich danke Ihnen! Das war der Münchner Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin zum moralischen Status von Tieren. Herzlichen Dank!
Nida-Rümelin: Nichts zu danken! Hat Spaß gemacht!
Links auf dradio.de:
Reihe "Tiere essen" im Radiofeuilleton vom 18. - 21.1.2011, 11:07 Uhr
Öko-Verband fordert Systemwandel in der Landwirtschaft - Vorsitzender warnt vor Aktionismus nach Dioxin-Skandal