Über den Neandertaler und sein rätselhaftes Aussterben

Liane von Billerbeck |
Der Neandertaler lebte vor ungefähr 180.000 Jahren im Rheinland. Der Homo Sapiens konnte sich besser behaupten und die Gattung des Neandertalers verschwand. Eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen beiden Gruppen, die dazu beitrug, könne man ausschließen, meint der Paläontologe Wighart von Koenigswald im Deutschlandradio Kultur.
Von Billerbeck: Herr Prof. von Königswald, unter welchen Klimabedingungen musste denn der Neandertaler leben?

Von Königswald: Wenn Sie sagen musste , dann klingt das so, als sei der arme Kerl dazu verdammt gewesen, irgendwo entweder in der Wärme oder in der Kälte zu sitzen. Ich nehme an, der Neandertaler, der seit ungefähr 180.000 Jahren hier im Rheinland gewesen ist, hat sich in der Umwelt, in der er sich befand, eigentlich sehr wohl gefühlt, weil er in den Kaltzeiten in der offenen Landschaft genügend Wild zum Jagen hatte, das konnte er auf größere Entfernungen sehen. Und in den Warmzeiten, da wissen wir leider sehr viel weniger von ihm, hat er sich auch durchsetzen können. Und in der letzten Kaltzeit hat er wiederum in Steppenumgebungen gelebt und sich sicherlich ganz gut mit allen Dingen umgeben, die er brauchte. Er hatte ja das Feuer, und er trug sicherlich Kleidung, denn ganz ohne Schutz ist es bei der Kälte unangenehm.

Von Billerbeck: Daraus schließe ich, dass der Neandertaler eigentlich ein schönes Leben gehabt haben muss.

Von Königswald: Ja! Ich meine, er wird die täglichen kleinen Sorgen gehabt haben - wie jeder. Aber Naturvölker leben nicht immer unglücklich und die Konstruktion, dass sie mit dem Dasein kämpfen mit bebender Stimme, das ist eine typisch romantische, europäische Interpretation.

Von Billerbeck: Warum aber haben die Neandertaler zwar mehrere Eiszeiten überstanden – wir haben es eben ja auch im Beitrag gehört, der Neandertaler hat 120.000 Jahre gelebt –, und ist am Ende doch ausgestorben?

Von Königswald: Das ist eine Frage – Sie haben ja verschiedene Hypothesen angesprochen –, die sehr schwer zu beantworten ist. Als Naturwissenschaftler und Paläantologe würde ich ganz schlicht sagen: Wir wissen es nicht, und wir können es nicht begründen, weil wir keine anständigen Daten haben. Es gibt andere Wissenschaften, bei denen man durchaus bereitwilliger ist zu spekulieren, und da kann man, wie gesagt, alles Mögliche reinbringen, Krankheiten, Kinder, Armut oder auch einen anderen Energieumsatz, der nicht so günstig war wie bei dem Sapiens. Aber man kann auch sagen, vielleicht sind sie irgendwie verschwunden. Jedenfalls die Idee, dass es eine große kriegerische Auseinandersetzung gegeben hat, die dürfte nicht stimmen, denn es waren einfach viel zu wenig Leute da. Eine kleine Mittelstadt maximal mit 20.000, 30.000 Einwohnern mag zu der Zeit in der ganzen Fläche von Mitteleuropa gelebt haben, also eine sehr dünne Bevölkerung.

Von Billerbeck: Das klingt so, als ob Sie das gar nicht weiter aufregt, dass man nicht weiß, warum der am Ende weg war, der Neandertaler.

Von Königswald: Aufregen, ja … bloß man lernt als Naturwissenschaftler, etwas nüchterner zu werden, und konzentriert sich auf die Fragen, die man glaubt, mit zusätzlichen Daten lösen zu können. Und es ist nicht immer so, dass man über das Loch, über das furchtbar viele Leute gerne diskutieren, sich auslässt.

Von Billerbeck: Wissenschaft hat ja auch immer etwas mit Faszination zu tun, wie hier im Radio-Feuilleton Ihr Paläontologenkollege Prof. Friedemann Schrenk gesagt hat. Weshalb sind Sie denn dennoch überhaupt so fasziniert vom Neandertaler?

Von Königswald: Der Neandertaler, ich kenne ihn, oder ich kenne das Skelett seit Kindheit, ich habe es als kleiner Junge mal gesehen, habe gesehen, dass dieser Mann einen gebrochenen Ellbogen hatte, und dieser Ellbogen ist wunderbar verheilt. Das macht auf einen 14-Jährigen schon einen gewissen Eindruck, der sich vorstellt, dass jemand, der zusammen mit Wollnashorn und Mammut usw. gelebt hat, das überleben kann. Da habe ich gelernt, dass Familienstrukturen, dass Kulturen usw. eine große Rolle spielen. Das ist die frühe Faszination. Dann hat mich fasziniert, und das ist jetzt die Frage, an der ich rumknabbere, ist der Neandertaler wirklich hier geblieben, oder ist er mit den verschiedenen Tiergruppen immer hin- und hergewandert und ist deswegen gar nicht ein Kontinuum, wie es von manchen Leuten hier gesagt wird. Diese Frage des Faunen-Austausches und die Beteiligung des Menschen dabei, das ist der Aspekt, der mich ganz besonders interessiert.

Von Billerbeck: Herr von Königswald, was hat denn der Homo Sapiens nun am Ende besser gemacht als der Neandertaler?

Von Königswald: Er hat einiges anders gemacht, ob es besser ist, wollen wir mal dahingestellt sein lassen, in dem, was wir sehen an dem Werkzeug. Der Homo Sapiens hat seine Steinwerkzeuge von Feuersteinklingen her gearbeitet und konnte damit sehr elegant schnell gute Messer herstellen. Ob das ein ganz großer Vorteil war, sei dahingestellt. Es war anders. Er hatte Kunst, das ist auch etwas, was wir beim Neandertaler nicht unbedingt nachweisen können, während der Homo Sapiens eigentlich immer von Kunst umgeben war. Da sind deutliche Unterschiede. Außerdem sind natürlich im Skelettbau ganz deutliche Unterschiede. Der Neandertaler mit seinen starken Überaugenwülsten, mit dem fehlenden Kinn hat ein anderes Gesicht gehabt, war auch in der Statur wesentlich kleiner als der Homo Sapiens. Wir sagen, der Homo Sapiens war besser, weil er überlebt hat. Das ist aber im Grunde schwer zu begründen, sondern er ist anders gewesen. Und mir sind dabei viele Fragen offen, wie anders er war und wo das wirklich auf die Wertigkeit im biologischen Sinne, das heißt in der Bewältigung seiner Umwelt gelegen hat.

DLR: Der Neandertaler und der Homo Sapiens haben eine gewisse Zeit in denselben Regionen gelebt. Wie müssen wir uns das vorstellen, sind die beiden sich nun begegnet, und wie haben sie da gelebt, in friedlicher Koexistenz oder in Konkurrenz – oder ist das gar nicht belegt?

Von Königswald: Es ist gar nicht belegt. Die Menschenfunde sind sehr selten, und wir wissen, dass das (…) (Anmerk. d. Red.: im Hörprotokoll unverständlich), das durch die Kultur des modernen Menschen abgelöst wird, und wir haben keinerlei Anhaltspunkte, was es da gibt. Natürlich kann man da überlegen, haben sie nebeneinander gelebt, es ist sicher nicht auszuschließen, denn beim ganz späten Neandertaler kommen eine Menge von Kleinigkeiten in der Kultur, da tauchen Knochenperlen auf oder da tauchen einige Gerättypen auf, die an sich der moderne Mensch hat. Das kann sein, dass sie was voneinander abgeguckt haben, aber wir sehen ja vom fossilen Menschen immer nur sehr, sehr wenig. Wir kennen den Knochenbau, wir kennen die Steinwerkzeuge. Wir wissen sehr wenig über die Familienstrukturen, wir wissen sehr wenig über die sozialen Bindungen, die waren grundsätzlich da beim Neandertaler schon, aber die können beim modernen Menschen anders, günstiger gewesen sein. Und da sind einfach furchtbar viele Fragen offen, die wir zum Teil auch auf Grund des fossilen Materials gar nicht lösen können, und deswegen wissen wir nicht, was wirklich passiert ist. Die Idee, dass, was normalerweise passiert, wenn ein kriegerisches Volk eindringt in das Gebiet eines anderen, dann werden die Männer totgeschlagen und die Frauen unfreundlich behandelt, und dann gibt es Mischlinge, und dann geht es ganz normal weiter. Diese Mischlinge lassen sich bisher nicht richtig nachweisen zwischen Neandertalern und Homo Sapiens, und deswegen nimmt man an, und das ist natürlich durch die genetischen Daten bestimmt, bestätigt, dass es keine oder nur ganz geringfügige Kreuzungen zwischen diesen beiden Menschenformen gegeben hat.

Von Billerbeck: Ein Überlebenskünstler, der es am Ende doch nicht geschafft hat. Über den Neandertaler und sein rätselhaftes Aussterben sprachen wir mit Prof. Dr. Wighart von Koenigswald. Vielen Dank für das Gespräch!

Service:
An der Universität Bonn findet der Internationale Neandertaler Kongress vom 21. bis 26. Juli 2006 statt.
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