Über die Ausgrenzung des Kulturellen
Als kritischer Beobachter kultureller Praxis hat sich Wolfgang Fritz Haug - Philosoph und Romanist mit marxistischer Weltanschauung - in über 50 Jahren einen Namen gemacht. Sein Befund ist ernüchternd: Seitdem das Bürgertum zwischen Gesellschaft und Kultur unterscheidet, ist alles Kulturelle zur Harmlosigkeit verurteilt.
"Kulturwissenschaften, die sich die kritische Anstrengung sparen, die Spuren sozialer Herrschaft und Subalternität zu lesen, die Wirkung der ideologischen Mächte und der Warenästhetik von widerständigen Ansätzen der kulturellen Selbstbestimmung zu unterscheiden, erliegen ihrem Gegenstand. Die Kapitulation führt für gewöhnlich zur Identifikation."
In diesem Kernsatz stecken beinah alle Thesen, die der kritisch-marxistische Philosoph Wolfgang Fritz Haug in diesem Buch immer wieder variiert. Ein Buch, das Essays aus mehr als drei Jahrzehnten umspannt.
Was nach Wiederholungen klingt, ist freilich nur der gemeinsame Nenner, das Leitmotiv, der kritische Scheinwerfer, mit dem Haug diverse, scheinbar unverbundene und unverdächtige Zeitphänomene ausleuchtet – von Mode bis Konsumismus, von Alltagskultur bis Bildungsbürgertum.
Schon der Begriff "Kultur" selbst schillert uneindeutig:
"Die einen verstehen darunter alles, was nicht Natur ist; andere haben das konkrete Wie menschlicher Lebensgestaltung im Sinn; dritte engen die Bedeutung weiter ein auf ‚symbolisches Handeln’, wieder andere auf Wertsysteme. Oft [ist] Kultur [...] einfach ein anderer Name fürs Reich der höheren Bildung."
Ist die Verwirrung Wahn, so hat sie doch Methode. Die besessene Beschäftigung mit Kultur, bis hin zu den an allen Universitäten wuchernden "Cultural Studies", ist selber schon Symptom einer bestimmten gesellschaftlichen Lage.
"Wie alle anderen frühen Hochkulturen verfügte die klassische Antike weder über einen Begriff von ‚Kultur’ noch einen von ‚Kunst’", weiß Haug. Wie noch heute in vielen anderen Gesellschaften gehörte Ästhetik zum Alltag, und auch Europa kennt den Gegensatz zwischen Kultur und Gesellschaft erst, seitdem die bürgerliche Gesellschaft tonangebend wurde. Deren einförmige Markt-Mentalität musste Werte, Ideale, unfunktionale Schönheit und überhaupt Alternativen ausgrenzen. Statt sie zu bekämpfen, schickte sie solche Lebenswelten in Reservate:
"Gerade weil sie aus ihrem Kerngeschäft das Kulturelle als Autonomes verbannt, wies sie ihm eine eigene Sphäre zu, in der sie ihre Ideale hegte. [...] In ‚Kultur’ und ‚Kunst’ dachten die klassischen Bürger hinein, was über ihre gesellschaftliche Existenzgrundlage hinauswies."
Was die Gesellschaft der privaten Egoismen an der Kultur festhalten lässt, ist gerade der dumpf vorgestellte Gegensatz zu ihr: das Gefühl, Kommerz und Konsum könnten doch nicht alles gewesen sein.
Alles Verdrängte, individuelle Träume wie auch die kollektiven Ahnungen einer besseren Gesellschaft, kurzum: Alternativen und Utopien genießen in der bürgerlichen Gesellschaft ein Biotop, solange sie nicht in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingreifen. Kultur, so sieht es Haug, müsse gleichsam ständig ihren eigenen Harmlosigkeitsbeweis antreten. Die kulturelle Unterscheidung des Titels ist schlicht die ihrer unterschiedlichen Funktion.
Besprochen von Eike Gebhardt
Wolfgang Fritz Haug: Die kulturelle Unterscheidung. Elemente einer Philosophie des Kulturellen
Argument Verlag, Hamburg 2011
332 Seiten, 19,50 Euro
In diesem Kernsatz stecken beinah alle Thesen, die der kritisch-marxistische Philosoph Wolfgang Fritz Haug in diesem Buch immer wieder variiert. Ein Buch, das Essays aus mehr als drei Jahrzehnten umspannt.
Was nach Wiederholungen klingt, ist freilich nur der gemeinsame Nenner, das Leitmotiv, der kritische Scheinwerfer, mit dem Haug diverse, scheinbar unverbundene und unverdächtige Zeitphänomene ausleuchtet – von Mode bis Konsumismus, von Alltagskultur bis Bildungsbürgertum.
Schon der Begriff "Kultur" selbst schillert uneindeutig:
"Die einen verstehen darunter alles, was nicht Natur ist; andere haben das konkrete Wie menschlicher Lebensgestaltung im Sinn; dritte engen die Bedeutung weiter ein auf ‚symbolisches Handeln’, wieder andere auf Wertsysteme. Oft [ist] Kultur [...] einfach ein anderer Name fürs Reich der höheren Bildung."
Ist die Verwirrung Wahn, so hat sie doch Methode. Die besessene Beschäftigung mit Kultur, bis hin zu den an allen Universitäten wuchernden "Cultural Studies", ist selber schon Symptom einer bestimmten gesellschaftlichen Lage.
"Wie alle anderen frühen Hochkulturen verfügte die klassische Antike weder über einen Begriff von ‚Kultur’ noch einen von ‚Kunst’", weiß Haug. Wie noch heute in vielen anderen Gesellschaften gehörte Ästhetik zum Alltag, und auch Europa kennt den Gegensatz zwischen Kultur und Gesellschaft erst, seitdem die bürgerliche Gesellschaft tonangebend wurde. Deren einförmige Markt-Mentalität musste Werte, Ideale, unfunktionale Schönheit und überhaupt Alternativen ausgrenzen. Statt sie zu bekämpfen, schickte sie solche Lebenswelten in Reservate:
"Gerade weil sie aus ihrem Kerngeschäft das Kulturelle als Autonomes verbannt, wies sie ihm eine eigene Sphäre zu, in der sie ihre Ideale hegte. [...] In ‚Kultur’ und ‚Kunst’ dachten die klassischen Bürger hinein, was über ihre gesellschaftliche Existenzgrundlage hinauswies."
Was die Gesellschaft der privaten Egoismen an der Kultur festhalten lässt, ist gerade der dumpf vorgestellte Gegensatz zu ihr: das Gefühl, Kommerz und Konsum könnten doch nicht alles gewesen sein.
Alles Verdrängte, individuelle Träume wie auch die kollektiven Ahnungen einer besseren Gesellschaft, kurzum: Alternativen und Utopien genießen in der bürgerlichen Gesellschaft ein Biotop, solange sie nicht in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingreifen. Kultur, so sieht es Haug, müsse gleichsam ständig ihren eigenen Harmlosigkeitsbeweis antreten. Die kulturelle Unterscheidung des Titels ist schlicht die ihrer unterschiedlichen Funktion.
Besprochen von Eike Gebhardt
Wolfgang Fritz Haug: Die kulturelle Unterscheidung. Elemente einer Philosophie des Kulturellen
Argument Verlag, Hamburg 2011
332 Seiten, 19,50 Euro