Rassismus und Rasse - ein Schwerpunkt im Deutschlandfunk Kultur:
Wie geht das zusammen – wie sehr bedingt oder befördert die Einteilung der Menschen in unterschiedliche "Rassen" den Rassismus? Anlässlich der ab 19. Mai gezeigten Ausstellung "Rassismus – Die Erfindung von Menschenrassen" im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden setzen wir dazu einen thematischen Schwerpunkt im Deutschlandfunk Kultur.
Die "Lesart" war zu Besuch bei Eso Wan Books in Los Angeles, einer Buchhandlung, die auf afroamerikanische Literatur, Poesie und Geschichte spezialisiert ist. Der Journalist Mohamed Amjahid war zu Gast bei "Im Gespräch" und sprach über seine kleinen Tricks gegen Rassismus. Mit der Wissenschaftshistorikerin Veronika Lipphardt haben wir über genetische Vielfalt und das von ihr kritisierte Ordnungssystem "Rasse" gesprochen. Hören Sie zum Thema auch das Interview mit Marius Jung, Autor des Buchs "Singen können sie alle - Handbuch für Negerfreunde".
Das Schwarz-Weiß-Denken der Moderne
Menschen auf der ganzen Welt sehen verschieden aus, sie gehören zu unterschiedlichen Religionen und Kultur - unterschiedliche "Menschenrassen" aber gibt es nicht. Das ist eine Erfindung der Wissenschaft - eine Konstruktion mit einer unheilvollen Macht.
"No to racism" – "Nein zu Rassismus"
Fußball – international und politisch korrekt. Ganz anders, manchmal, der Alltag auf dem Rasen:
"Da mischen sich einige Affengeräusche, vereinzelt zwar, in den Chor, aber Poté hat sie natürlich gehört, geboren im französischen Lyon, seine Vorfahren stammen aus dem Benin."
"Rassenkunde" 2015 mit einem Geschichtslehrer a.D.:
"Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp."
"Rassenkunde" 2015 mit einem Geschichtslehrer a.D.:
"Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp."
Björn Höcke, AfD. Er spricht von Typen. Das Wort Rasse vermeidet er an dieser Stelle. Selbst Höcke scheint zu spüren, wie eng das eine Wort mit dem anderen verbunden ist: Rasse - Rassismus.
"Rassismus, da geht’s doch eigentlich um Ausgrenzung. Zu definieren: wer gehört dazu und wer gehört nicht dazu. Da geht es um Ressourcen nicht zuletzt, und ich denke, deswegen sind Krisenzeiten vielleicht besonders geeignet, um das wieder aus der Tasche zu holen. Ich glaube, es gibt immer wieder neue Rassismusanfälligkeiten, und deswegen ist unsere Aufgabe, in jeder Generation neu, immer wieder gegen Rassismus vorzugehen."
Sagt der Kulturwissenschaftler Klaus Vogel, Direktor des Hygiene-Museums Dresden.
"Rassismus, da geht’s doch eigentlich um Ausgrenzung. Zu definieren: wer gehört dazu und wer gehört nicht dazu. Da geht es um Ressourcen nicht zuletzt, und ich denke, deswegen sind Krisenzeiten vielleicht besonders geeignet, um das wieder aus der Tasche zu holen. Ich glaube, es gibt immer wieder neue Rassismusanfälligkeiten, und deswegen ist unsere Aufgabe, in jeder Generation neu, immer wieder gegen Rassismus vorzugehen."
Sagt der Kulturwissenschaftler Klaus Vogel, Direktor des Hygiene-Museums Dresden.
Ein ideologisches Konzept aus dem 18. Jahrhundert
"Das deutsche Hygiene-Museum hat ja eine ganz besondere Rolle in der Verbreitung von Rassenideologie, und daraus entwächst natürlich eine Verantwortung. Wenn man ein bisschen näher hinschaut, ist schon die Gründungszeit des deutschen Hygiene-Museums mit Rassengedanken verbunden, schon 1911 bei der ersten Internationalen Hygieneausstellung, da gab es eine kleine Abteilung zur Rassenhygiene, wissenschaftlich untersetzt, das ist eigentlich eine Dauerverpflichtung, sich mit der eigenen Geschichte, insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus, auseinanderzusetzen, und das ist ne Aufgabe, der wir uns – als Museum, aber die ganze Gesellschaft – stellen müssen."
"Rassismus - Die Erfindung von Menschenrassen" lautet der Titel der Ausstellung, die von Susanne Wernsing kuratiert wurde.
"Die wichtigste Aussage der Ausstellung ist, dass Rassenkonstruktionen nicht Unterschiedlichkeit von Menschen beschreiben, die Menschen ja anzusehen ist, sondern den Menschen wird verschiedene Wertigkeit zugeschrieben."
"Rassismus - Die Erfindung von Menschenrassen" lautet der Titel der Ausstellung, die von Susanne Wernsing kuratiert wurde.
"Die wichtigste Aussage der Ausstellung ist, dass Rassenkonstruktionen nicht Unterschiedlichkeit von Menschen beschreiben, die Menschen ja anzusehen ist, sondern den Menschen wird verschiedene Wertigkeit zugeschrieben."
Von "Rassen" zur Beschreibung unterschiedlicher Menschengruppen spricht erstmals der französische Arzt und Forschungsreisende François Bernier im 17. Jahrhundert. Mit einem noch sehr groben Blick: für ihn zum Beispiel die Bewohner Vorderasiens, Nordafrikas und Indiens zusammen.
Ein frühes ideologisches Rassenkonzept entwickelt im 18. Jahrhundert der schwedische Naturforscher Carl von Linné. Er teilt die Menschheit in vier Hautfarbentypen ein: "weiße", "gelbe", "rote" und "schwarze", die jeweils einem Kontinent zugeordnet werden.
Ein frühes ideologisches Rassenkonzept entwickelt im 18. Jahrhundert der schwedische Naturforscher Carl von Linné. Er teilt die Menschheit in vier Hautfarbentypen ein: "weiße", "gelbe", "rote" und "schwarze", die jeweils einem Kontinent zugeordnet werden.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - aber nicht für alle
"In den heißen Ländern reift der Mensch in allen Stücken früher, erreicht aber nicht die Vollkommenheit der temperierten Zonen. Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Inder haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften."
Das ist kein Zitat von Linné, sondern von Immanuel Kant. Was der Aufklärer aus Königsberg 1802 in seiner Vorlesung über Physische Geographie dozierte, hört sich an wie das Zitat eines modernen Rassisten.
"Der Rassenbegriff taucht natürlich etwas früher auf, aber so richtig populär und auch politisch wichtig wird er im 18. Jahrhundert, und zwar vor dem Hintergrund von zwei wichtigen Ereignissen, zum einen die europäische Expansion, die dann schon ziemlich fortgeschrittene Entdeckung fremder Völker außerhalb Europas, und andererseits der Anspruch der damaligen vorherrschenden Aufklärungsphilosophie, die eigentlich ein Gleichheitspostulat war."
Christian Geulen, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Koblenz-Landau.
"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" – die Losung, mit der in Frankreich, in Europa, das Volk die politische Bühne betritt, verheißt Emanzipation, aber nicht für alle.
Geulen: "Das widersprach sich jetzt massiv mit der faktischen Art und Weise, in der die Europäer mit den außereuropäischen Völkern umgingen, insbesondere natürlich mit den afrikanischen Völkern, die schon über ein, zwei Jahrhunderte lang versklavt worden sind, und hier kommt plötzlich der Rassenbegriff, erhält er zum ersten Mal eine echt ideologische Funktion, indem er nämlich jetzt versucht zu erklären, was die unterschiedliche Qualität und Wertigkeit dieser Rassen ist, um letztlich zu legitimieren, dass man mit den Europäern so umgeht, aber mit den außereuropäischen Völkern ganz anders umgeht."
Das ist kein Zitat von Linné, sondern von Immanuel Kant. Was der Aufklärer aus Königsberg 1802 in seiner Vorlesung über Physische Geographie dozierte, hört sich an wie das Zitat eines modernen Rassisten.
"Der Rassenbegriff taucht natürlich etwas früher auf, aber so richtig populär und auch politisch wichtig wird er im 18. Jahrhundert, und zwar vor dem Hintergrund von zwei wichtigen Ereignissen, zum einen die europäische Expansion, die dann schon ziemlich fortgeschrittene Entdeckung fremder Völker außerhalb Europas, und andererseits der Anspruch der damaligen vorherrschenden Aufklärungsphilosophie, die eigentlich ein Gleichheitspostulat war."
Christian Geulen, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Koblenz-Landau.
"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" – die Losung, mit der in Frankreich, in Europa, das Volk die politische Bühne betritt, verheißt Emanzipation, aber nicht für alle.
Geulen: "Das widersprach sich jetzt massiv mit der faktischen Art und Weise, in der die Europäer mit den außereuropäischen Völkern umgingen, insbesondere natürlich mit den afrikanischen Völkern, die schon über ein, zwei Jahrhunderte lang versklavt worden sind, und hier kommt plötzlich der Rassenbegriff, erhält er zum ersten Mal eine echt ideologische Funktion, indem er nämlich jetzt versucht zu erklären, was die unterschiedliche Qualität und Wertigkeit dieser Rassen ist, um letztlich zu legitimieren, dass man mit den Europäern so umgeht, aber mit den außereuropäischen Völkern ganz anders umgeht."
Der Mensch als Ware
Rund 29 Millionen Menschen wurden vom 16. bis 19. Jahrhundert aus Afrika nach Amerika verschleppt, in der Regel als "Stück-Ware" für den Verkauf katalogisiert nach Alter, Größe und Unversehrtheit. Die Spanier bestellten auch mal "10.000 Tonnen Sklaven", drei "Stück" gleich eine Tonne.
"Die Rasse der Neger ist eine von der unsrigen völlig verschiedene Menschenart. Man kann sagen, dass ihre Intelligenz nicht einfach anders geartet ist als die unsrige, sie ist ihr weit unterlegen."
Schreibt Voltaire in seinem Essay "Über den Geist und die Sitten der Nationen", 1755. Bald geht es nicht mehr nur um die Rechtfertigung kolonialer Interessen und wirtschaftlicher Ausbeutung. Seit dem 19. Jahrhundert werden Naturwissenschaften herangezogen, um die Unterschiedlichkeit von "Menschenrassen" als biologisch gegeben zu belegen. Und seit seiner Gründung 1912 macht auch das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden kräftig mit, erzählt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Julia Radtke.
"Die Rasse der Neger ist eine von der unsrigen völlig verschiedene Menschenart. Man kann sagen, dass ihre Intelligenz nicht einfach anders geartet ist als die unsrige, sie ist ihr weit unterlegen."
Schreibt Voltaire in seinem Essay "Über den Geist und die Sitten der Nationen", 1755. Bald geht es nicht mehr nur um die Rechtfertigung kolonialer Interessen und wirtschaftlicher Ausbeutung. Seit dem 19. Jahrhundert werden Naturwissenschaften herangezogen, um die Unterschiedlichkeit von "Menschenrassen" als biologisch gegeben zu belegen. Und seit seiner Gründung 1912 macht auch das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden kräftig mit, erzählt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Julia Radtke.
"Es sind einige Überreste aus der Zeit vorhanden, zum Beispiel Gipsformen, die zur Herstellung von Rasseschädeln dienten, und damit hat man dann später in den Ausstellungen sozusagen gezeigt, wie die Schädelform ist und wie sie abweicht angeblich in den unterschiedlichen Rassen, und hat so versucht, diese Rassenunterschiede noch mal bildlich darzustellen."
Es gibt eine Deutschlandkarte zur "Verteilung von Rassenmerkmalen bei Schulkindern". Einmal mehr ist es kein Reaktionär, sondern ein fortschrittlicher Wissenschaftler, der daran gearbeitet hat: Rudolph Virchow. Er hatte Augen, Haar- und Hautfarbe von Schulkindern erfasst und die unterschiedliche Häufung des "blonden" und des "brünetten Typs" markiert. Für ihn Nachweis, dass das 1871 gegründete Deutsche Reich das Verbreitungsgebiet der "germanischen Rasse" sei. Mit der Rassenkunde kam die "Anthropometrie":
Rupprecht: "Das ist das Anthropometer von Rudolph Virchow, der das eben verwendet hat, um Messungen zu machen, wo es ja immer darum ging, überhaupt die Menschen in ihrer äußeren Gestalt mal zu erfassen, um dann daraufhin auf andere Eigenschaften zu schließen."
Der Wahn von der Herrenrasse
Es ist die Zeit, in der Darwins Evolutionstheorie die Wissenschaft in Atem hält. Die modernen Rassenkundler aber haben damit ein Problem, sagt der Historiker Christian Geulen, weil sie sich eigentlich auf eine feste Naturordnung berufen:
"Die Evolutionstheorie sagt jetzt: 'Nein, die Natur ist nicht immer so gewesen, sie wandelt sich.' Und dadurch kommt tatsächlich eine neue Eskalation rein, weil jetzt der Rassismus anfängt, eine neue Dimension zu entwickeln, die darin besteht, zu sagen: 'Okay, wenn die Natur sich verändert, wenn damit auch Rassen veränderlich sind, dann müsste es doch eigentlich möglich sein, gewünschte Rassen herzustellen.'"
Aus rassenkundlicher Theorie wird anwendungsorientierte wissenschaftliche Praxis.
"Es ist auch nicht so, dass das erst 1933 einsetzt, diese Idee, sondern, das ist durchaus schon vorher da, von Rassenhygiene sprechen die Leute schon in den 1890er-Jahren, und wirklich mit viel Begeisterung wird dort versucht, einerseits die menschliche Natur genau zu kartieren, zu sortieren, zu beschreiben, andererseits aber immer schon mit dem Blick darauf, wo sind die Fehler, die wir korrigieren müssen."
"Es ist von nun an die Entstehung von Geschlechtsverbänden möglich gemacht, welche sich die Aufgabe setzen, eine Herrenrasse heraufzuzüchten, eine höhere Art Menschen, die sich, dank ihrem Übergewicht von Wollen, Wissen, Reichtum und Einfluss, des demokratischen Europas bedienen als ihres gefügigsten und beweglichsten Werkzeugs, um die Schicksale der Erde in die Hand zu bekommen."
Schreibt Friedrich Nietzsche. Anatomische Vermessungen sollen helfen, unerwünschte Gruppen und soziale Verhaltensweisen zu identifizieren, um sie aussondern zu können: Alkoholismus, Kriminalität, Prostitution, "Geisteskrankheiten". In der Verbindung aus Rassenkunde und Darwinscher Lehre arbeitet die Wissenschaft daran, eine bessere Gesellschaft zu entwickeln, indem sie versucht, einen optimierten, überlegenen Menschentyp zu züchten. Nicht erst 1933.
"Die Evolutionstheorie sagt jetzt: 'Nein, die Natur ist nicht immer so gewesen, sie wandelt sich.' Und dadurch kommt tatsächlich eine neue Eskalation rein, weil jetzt der Rassismus anfängt, eine neue Dimension zu entwickeln, die darin besteht, zu sagen: 'Okay, wenn die Natur sich verändert, wenn damit auch Rassen veränderlich sind, dann müsste es doch eigentlich möglich sein, gewünschte Rassen herzustellen.'"
Aus rassenkundlicher Theorie wird anwendungsorientierte wissenschaftliche Praxis.
"Es ist auch nicht so, dass das erst 1933 einsetzt, diese Idee, sondern, das ist durchaus schon vorher da, von Rassenhygiene sprechen die Leute schon in den 1890er-Jahren, und wirklich mit viel Begeisterung wird dort versucht, einerseits die menschliche Natur genau zu kartieren, zu sortieren, zu beschreiben, andererseits aber immer schon mit dem Blick darauf, wo sind die Fehler, die wir korrigieren müssen."
"Es ist von nun an die Entstehung von Geschlechtsverbänden möglich gemacht, welche sich die Aufgabe setzen, eine Herrenrasse heraufzuzüchten, eine höhere Art Menschen, die sich, dank ihrem Übergewicht von Wollen, Wissen, Reichtum und Einfluss, des demokratischen Europas bedienen als ihres gefügigsten und beweglichsten Werkzeugs, um die Schicksale der Erde in die Hand zu bekommen."
Schreibt Friedrich Nietzsche. Anatomische Vermessungen sollen helfen, unerwünschte Gruppen und soziale Verhaltensweisen zu identifizieren, um sie aussondern zu können: Alkoholismus, Kriminalität, Prostitution, "Geisteskrankheiten". In der Verbindung aus Rassenkunde und Darwinscher Lehre arbeitet die Wissenschaft daran, eine bessere Gesellschaft zu entwickeln, indem sie versucht, einen optimierten, überlegenen Menschentyp zu züchten. Nicht erst 1933.
"Rassenkunde" und die Wissenschaft
Radtke: "Diese Büste beispielsweise wurde hier im Hygiene-Museum gefertigt, wieder von den eigenen Gipsbildhauer-Werkstätten und sie sollte eine, andere Kopfform, nämlich einen verkleinerten Kopf bei einem Menschen zeigen und damit den Unterschied zwischen vermeintlich gesunden und psychisch Kranken verdeutlichen. Und das wurde natürlich einem Millionenpublikum gezeigt in den 20er- und 30er-Jahren, die dann sozusagen anhand von so einer Kopfform ganz schnell auch zu dem Schluss kommen mussten, jemand, der so eine Krankheit hat, sollte auch sterilisiert werden, beispielsweise. Das war die Politik der Nationalsozialisten dann ab 33 und das wurde auch in den Hygieneausstellungen popularisiert."
Rassenhygienisches Denken und eugenische Praktiken gab es nicht nur in Nazi-Deutschland. In den USA zum Beispiel wurden von 1900 bis in die 1970er-Jahre etwa 70.000 Menschen zwangssterilisiert, vor allem afroamerikanische Häftlinge. In der Schweiz war das in einigen Kantonen, in psychiatrischen Kliniken, bis in die 1980er-Jahre gesetzlich erlaubt. Und in Westdeutschland entschied 1956 der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, dass Sinti und Roma im Dritten Reich nicht rassistisch verfolgt worden seien, sondern "aus Gründen der Kriminalprävention."
Auf breiter Ebene, so die Dresdner Ausstellungskuratorin Susanne Wernsing, hatte die rassenkundliche wissenschaftliche Forschung das politische Denken der westlichen Welt geprägt:
"Also seit dem 18. Jahrhundert kann man eigentlich in der visuellen Kultur zeigen, dass immer von Aussehen und von körperlichen Unterschieden gesprochen wird, dass die aber immer mit kulturellen, mit psychologischen, mit soziologischen Verhaltensmustern verknüpft wurden. Und darum auch eine wahnsinnige Bandbreite von Bildern hergestellt wurde, um immer wieder etwas zu belegen, was es nicht gibt."
Vater der politischen Rassenidee ist der französische Schriftsteller und Diplomat Joseph Arthur Comte de Gobineau. 1853/54 schreibt er sein vierbändiges "Essay über die Ungleichheit der Menschenrassen", in dem er verkündet, "dass jede Zivilisation von der weißen Rasse stammt, dass es keine Zivilisation ohne die Einwirkung dieser Rasse geben kann".
Rassenhygienisches Denken und eugenische Praktiken gab es nicht nur in Nazi-Deutschland. In den USA zum Beispiel wurden von 1900 bis in die 1970er-Jahre etwa 70.000 Menschen zwangssterilisiert, vor allem afroamerikanische Häftlinge. In der Schweiz war das in einigen Kantonen, in psychiatrischen Kliniken, bis in die 1980er-Jahre gesetzlich erlaubt. Und in Westdeutschland entschied 1956 der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, dass Sinti und Roma im Dritten Reich nicht rassistisch verfolgt worden seien, sondern "aus Gründen der Kriminalprävention."
Auf breiter Ebene, so die Dresdner Ausstellungskuratorin Susanne Wernsing, hatte die rassenkundliche wissenschaftliche Forschung das politische Denken der westlichen Welt geprägt:
"Also seit dem 18. Jahrhundert kann man eigentlich in der visuellen Kultur zeigen, dass immer von Aussehen und von körperlichen Unterschieden gesprochen wird, dass die aber immer mit kulturellen, mit psychologischen, mit soziologischen Verhaltensmustern verknüpft wurden. Und darum auch eine wahnsinnige Bandbreite von Bildern hergestellt wurde, um immer wieder etwas zu belegen, was es nicht gibt."
Vater der politischen Rassenidee ist der französische Schriftsteller und Diplomat Joseph Arthur Comte de Gobineau. 1853/54 schreibt er sein vierbändiges "Essay über die Ungleichheit der Menschenrassen", in dem er verkündet, "dass jede Zivilisation von der weißen Rasse stammt, dass es keine Zivilisation ohne die Einwirkung dieser Rasse geben kann".
Die Angst vor der "Vermischung"
Aber der Graf ist pessimistisch: Die Vormachtstellung dieser "Ur-Rasse" - und damit die Welt – droht unterzugehen durch die ständige "Vermischung des Blutes". Deshalb lautet sein "primäres Rassengesetz", dass eine Kultur für ihre Reinhaltung kämpfen müsse, um zu überleben.
Geulen: "Und das ist etwas, was eigentlich sich auch als Motiv seit dem späten 19. Jahrhundert bis heute durch rassistisches Denken durchzieht, diese Idee, dass man gewissermaßen gefährdet ist. Und zwar grundsätzlich durch die schiere Existenz anderer Rassen – in Anführungszeichen –, anderer Völker, anderer Kulturen – man kann es nennen, wie man will – das ist auch wieder diese Überlebenskampfidee dahinter, und das hat auch tatsächlich etwas mit diesen berühmten, auch heute viel diskutierten Ängsten zu tun, die bei Menschen hervorgerufen werden, die sich bedroht fühlen dadurch, dass plötzlich zu viel Fremdes in ihre eigene Lebenswelt gerät. Da liegt immer der Rassismus gewissermaßen als eine Art Lösungsmittel bereit."
In Gesellschaften, die sich unsicher fühlen, steigt der Bedarf an eindeutiger Zugehörigkeit, sagt Christian Geulen:
"Ich glaube, dass das auch zusammenhängt mit einem Prozess, über den wir jetzt heute auch häufig reden, nämlich dem der Globalisierung. Die Wirtschaftshistoriker gehen davon aus, dass das so ungefähr in den 1860er-, 1870er-Jahren begann, mit der Entstehung eines ersten globalen Marktes, und das sind Prozesse, in denen die eigentlich gegebenen Ordnungen durcheinander geraten. Dass Nationalstaaten, Völker, Kulturen sich anfangen zu vermischen durch Transferprozesse von Menschen, Gütern, Geld und allem möglichen anderen, und das ist ein Prozess, der schon lange da ist."
Ideologisch angeheizt wird die Debatte Ende des 19. Jahrhunderts durch den "Sozialdarwinismus", die Theorie vom ständigen Kampf ums Überleben als Motor der menschlichen Gesellschaft.
Hier wurde Darwins Evolutionstheorie allerdings – vielleicht auch absichtlich – missverstanden: Sie beschreibt das "Ringen ums Dasein", das durch Anpassung das Überleben sichert – "survival of the fittest" – nicht durch Vernichtung der anderen Schwächeren.
Geulen: "Und das ist etwas, was eigentlich sich auch als Motiv seit dem späten 19. Jahrhundert bis heute durch rassistisches Denken durchzieht, diese Idee, dass man gewissermaßen gefährdet ist. Und zwar grundsätzlich durch die schiere Existenz anderer Rassen – in Anführungszeichen –, anderer Völker, anderer Kulturen – man kann es nennen, wie man will – das ist auch wieder diese Überlebenskampfidee dahinter, und das hat auch tatsächlich etwas mit diesen berühmten, auch heute viel diskutierten Ängsten zu tun, die bei Menschen hervorgerufen werden, die sich bedroht fühlen dadurch, dass plötzlich zu viel Fremdes in ihre eigene Lebenswelt gerät. Da liegt immer der Rassismus gewissermaßen als eine Art Lösungsmittel bereit."
In Gesellschaften, die sich unsicher fühlen, steigt der Bedarf an eindeutiger Zugehörigkeit, sagt Christian Geulen:
"Ich glaube, dass das auch zusammenhängt mit einem Prozess, über den wir jetzt heute auch häufig reden, nämlich dem der Globalisierung. Die Wirtschaftshistoriker gehen davon aus, dass das so ungefähr in den 1860er-, 1870er-Jahren begann, mit der Entstehung eines ersten globalen Marktes, und das sind Prozesse, in denen die eigentlich gegebenen Ordnungen durcheinander geraten. Dass Nationalstaaten, Völker, Kulturen sich anfangen zu vermischen durch Transferprozesse von Menschen, Gütern, Geld und allem möglichen anderen, und das ist ein Prozess, der schon lange da ist."
Ideologisch angeheizt wird die Debatte Ende des 19. Jahrhunderts durch den "Sozialdarwinismus", die Theorie vom ständigen Kampf ums Überleben als Motor der menschlichen Gesellschaft.
Hier wurde Darwins Evolutionstheorie allerdings – vielleicht auch absichtlich – missverstanden: Sie beschreibt das "Ringen ums Dasein", das durch Anpassung das Überleben sichert – "survival of the fittest" – nicht durch Vernichtung der anderen Schwächeren.
Aus Antijudaismus wird tötlicher Antisemitismus
Aber in Zeiten des Kolonialismus bietet das Rassenkonzept eine gleichsam wissenschaftliche Grundlage für den Umgang mit den Völkern der Welt: die Spanier auf Kuba, die Briten in Südafrika, die Amerikaner auf den Philippinen, die Deutschen Südwest-Afrika: Aus rassenkundlicher Denkweise folgt mörderische Politik. Am Ende: Hitlerdeutschlands Herrenrassenwahn, der einherging mit der Vorstellung, dass die sogenannte jüdische Rasse vernichtet werden müsse.
Hitler: "Es ist eine kleine wurzellose internationale Clique, die die Völker gegeneinander hetzt, die nicht will, dass sie zur Ruhe kommen. Es sind das die Menschen, die überall und nirgends zuhause sind, die nirgends einen Boden haben, auf dem sie gewachsen sind, und die sich überall zu Hause fühlen." - Zuruf aus dem Publikum: "Juden!"
Hitler: "Es ist eine kleine wurzellose internationale Clique, die die Völker gegeneinander hetzt, die nicht will, dass sie zur Ruhe kommen. Es sind das die Menschen, die überall und nirgends zuhause sind, die nirgends einen Boden haben, auf dem sie gewachsen sind, und die sich überall zu Hause fühlen." - Zuruf aus dem Publikum: "Juden!"
Der Antisemitismusforscher Professor Wolfgang Benz sagte auf einer Tagung zum Rassenkonzept:
"Das Ressentiment, für das der Oberbegriff Antisemitismus steht, hat zwei Wurzelstränge: die Religion und das Konstrukt 'Rasse'. Die Vorbehalte gegen Juden waren, seit sich das Christentum als Staatsreligion im römischen Reich durchgesetzt hatte, zunächst ausschließlich religiöser Natur."
Aus dem "Antijudaismus" gab es, solange er eben nur auf die Religion bezogen war, zumindest theoretisch einen Ausweg, die Taufe. Manchmal hat das funktioniert, meistens nicht.
Benz: "Im 19. Jahrhundert erhielt Judenfeindschaft eine neue Dimension in Gestalt des rassistisch und sozialdarwinistisch argumentierenden modernen Antisemitismus, auch der Begriff stammt aus dem 19. Jahrhundert, eine Ideologie, die sich als Resultat wissenschaftlicher Erkenntnis produzierte."
Die Vorstellung von einer "arischen Rasse" stammt schon aus dem späten 18. Jahrhundert: Arier war eigentlich eine Selbstbezeichnung der Inder und Perser, und arisch wurde in der Sprachwissenschaft als Sammelbegriff für die indo-iranischen Sprachen verwendet. Aber bald tauchte es als ein genealogisches Merkmal auf, und Anhänger der Rassenideologie begeisterten sich für die Idee, dass die hellhäutigen Europäer von den Ariern abstammen. In der Völkerwanderung habe es so eine Art Kriegeradel gegeben, glaubte etwa Gobineau. Er übersetzte Arier mit Ehrenhafte.
Ausgrenzung trotz Integration
Für den Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts ist der Brite Houston Stewart Chamberlain zentrale Figur: Der Schwiegersohn Richard Wagners ist ein glühender Verehrer der und des Deutschen. In seinen populärwissenschaftlichen Schriften "Arische Weltanschauung" und "Rasse und Nation" betrachtet er das deutsche Volk als die reinste Ausprägung der arischen Rasse und verbindet damit zugleich eine antijüdische Haltung.
Geulen: "Der rassentheoretische Antisemitismus bedient sich immer wieder der Stereotype, die teilweise bis ins Mittelalter zurückreichen, aber er stellt sie unter eine neue Grundwahrnehmung; in dem Augenblick, wo der Begriff des Antisemitismus im späten 19. Jahrhundert als Selbstbeschreibung der Antisemiten zunächst einmal, entsteht, die sagen, wir brauchen eine Politik, die sich gegen Juden richtet, um uns, die Nicht-Juden sozusagen zu retten, zu verbessern, und so weiter, da kriegt das Ganze eine ganz neue Qualität."
Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Integration der Juden im Deutschen Reich faktisch auf einem Höhepunkt, aber sie werden weiter als besondere Gruppe wahrgenommen. Im Bewusstsein der Antisemiten stören sie die "Reinhaltung der eigenen Rasse", weil sie als wirklich "Andere" gar nicht sichtbar sind. So werden die Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft 1935 in den "Nürnberger Rassengesetzen" von der "arischen Rasse" geschieden und ausgesondert.
Das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" verbietet Juden und "Deutschen" zu heiraten; bereits geschlossene derartige Ehen werden für nichtig erklärt. In der Bevölkerung kursieren dafür die Begriffe "Blut- oder Rassenschande". Wer "Jude" und wer "deutschblütig" ist, regelt der sogenannte Ariernachweis:
"Als nicht arisch gilt, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil nicht arisch ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil der jüdischen Religion angehört hat."
Mangels "spezifischer Rasse-Merkmale" für Juden gilt wieder die Religion als Kennzeichen. Bei dem zum Rassismus gesteigerten Rassenbegriff geht es nicht um "Naturgegebenes", um körperlich Sichtbares. Die Juden waren ein wichtiger wirtschaftlicher und sozialer Faktor in der deutschen und europäischen Gesellschaft. Und so hat der Antisemitismus die gleiche Funktion wie der Rassengedanke in Zeiten des Kolonialismus: Stigmatisierung, Ausgrenzung oder auch Vernichtung sollen legitimiert werden. Es geht um das Weltbild "Wir" – und "Die Anderen", beziehungsweise "Wir" oder "die Anderen".
Geulen: "Der rassentheoretische Antisemitismus bedient sich immer wieder der Stereotype, die teilweise bis ins Mittelalter zurückreichen, aber er stellt sie unter eine neue Grundwahrnehmung; in dem Augenblick, wo der Begriff des Antisemitismus im späten 19. Jahrhundert als Selbstbeschreibung der Antisemiten zunächst einmal, entsteht, die sagen, wir brauchen eine Politik, die sich gegen Juden richtet, um uns, die Nicht-Juden sozusagen zu retten, zu verbessern, und so weiter, da kriegt das Ganze eine ganz neue Qualität."
Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ist die Integration der Juden im Deutschen Reich faktisch auf einem Höhepunkt, aber sie werden weiter als besondere Gruppe wahrgenommen. Im Bewusstsein der Antisemiten stören sie die "Reinhaltung der eigenen Rasse", weil sie als wirklich "Andere" gar nicht sichtbar sind. So werden die Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft 1935 in den "Nürnberger Rassengesetzen" von der "arischen Rasse" geschieden und ausgesondert.
Das "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" verbietet Juden und "Deutschen" zu heiraten; bereits geschlossene derartige Ehen werden für nichtig erklärt. In der Bevölkerung kursieren dafür die Begriffe "Blut- oder Rassenschande". Wer "Jude" und wer "deutschblütig" ist, regelt der sogenannte Ariernachweis:
"Als nicht arisch gilt, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil nicht arisch ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil der jüdischen Religion angehört hat."
Mangels "spezifischer Rasse-Merkmale" für Juden gilt wieder die Religion als Kennzeichen. Bei dem zum Rassismus gesteigerten Rassenbegriff geht es nicht um "Naturgegebenes", um körperlich Sichtbares. Die Juden waren ein wichtiger wirtschaftlicher und sozialer Faktor in der deutschen und europäischen Gesellschaft. Und so hat der Antisemitismus die gleiche Funktion wie der Rassengedanke in Zeiten des Kolonialismus: Stigmatisierung, Ausgrenzung oder auch Vernichtung sollen legitimiert werden. Es geht um das Weltbild "Wir" – und "Die Anderen", beziehungsweise "Wir" oder "die Anderen".
"Wir" und "die Anderen"
Wernsing: "Man versucht, ein Wir zu schaffen und das zu homogenisieren, und das funktioniert nur darüber, indem man sich von einem sogenannten Anderen abgrenzt. Und diese Funktion hat Rassismus bis heute und meines Erachtens in der gleichen Vehemenz, weil sich diese Kategorienbildungen wiederholen und weil die spätestens seit den Fluchtbewegungen seit 2015 in der deutschen Gesellschaft wieder virulent werden."
Die Historikerin Susanne Wernsing hat 2018 im DHMD eine Ausstellung zum Thema Rassismus organisiert, denn dieses Denkmodell ist bis heute sehr wirkmächtig. Das bestätigt die Biologin und Historikerin Veronika Lipphardt, Professorin für Geschichte der Lebenswissenschaften an der Universität Freiburg:
"Zum einen ist es, glaub ich, so, dass die kulturelle Wahrnehmung der menschlichen Vielfalt ganz tief geprägt ist von dieser Vorstellung, dass es diese vier Gruppen gibt."
In den meisten deutschen und europäischen Schulbüchern nach 1945 blieb die Welteinteilung in Rassen in den Atlanten; im Biologieunterricht wurde weiter von unterschiedlichen Menschentypen und den dazugehörigen Eigenschaften gesprochen.
Lipphardt: "Bis heute wird ja total intensiv zu genetischer Variation beim Menschen geforscht, schwierig für Wissenschaftler ist die Klassifikation dieser Vielfalt. Dieses ganz, ganz simple Klassifikationsschema, mit dem ganz viele Leute in Europa groß geworden sind: Die Menschheit lässt sich unterteilen in vier Gruppen, Rassen, Populationen, wie auch immer das genannt wird, oder die Menschheit unterteilt sich in Leute auf vier Kontinenten und man bezeichnet die dann entsprechend der Kontinente – Europäer, Asiaten, Afrikaner und Native Americans – das ist sehr, sehr simpel und kann ganz viele Dinge nicht gut erfassen. Und trotzdem halten Wissenschaftler und auch andere gerne ganz grob an diesem Schema fest."
Neuen Auftrieb gibt seit den 1990er-Jahren die Humangenetik: Sie kann immer mehr Gene identifizieren, zum Beispiel solche, die für bestimmte Krankheiten verantwortlich sind. Aber schnell werden auch wieder Eigenschaften ins Spiel gebracht, die in unterschiedlichen Menschengruppen gehäuft auftreten und angeblich "genetisch bedingt" sein sollen: Intelligenz etwa oder – Kriminalität.
Ein aktuelles Beispiel: Am 23. März 2018 schrieb der Genetiker David Reich von der Harvard University in der "New York Times":
"Es ist einfach nicht länger möglich, die durchschnittlichen genetischen Unterschiede zwischen 'Rassen' zu ignorieren."
Die Historikerin Susanne Wernsing hat 2018 im DHMD eine Ausstellung zum Thema Rassismus organisiert, denn dieses Denkmodell ist bis heute sehr wirkmächtig. Das bestätigt die Biologin und Historikerin Veronika Lipphardt, Professorin für Geschichte der Lebenswissenschaften an der Universität Freiburg:
"Zum einen ist es, glaub ich, so, dass die kulturelle Wahrnehmung der menschlichen Vielfalt ganz tief geprägt ist von dieser Vorstellung, dass es diese vier Gruppen gibt."
In den meisten deutschen und europäischen Schulbüchern nach 1945 blieb die Welteinteilung in Rassen in den Atlanten; im Biologieunterricht wurde weiter von unterschiedlichen Menschentypen und den dazugehörigen Eigenschaften gesprochen.
Lipphardt: "Bis heute wird ja total intensiv zu genetischer Variation beim Menschen geforscht, schwierig für Wissenschaftler ist die Klassifikation dieser Vielfalt. Dieses ganz, ganz simple Klassifikationsschema, mit dem ganz viele Leute in Europa groß geworden sind: Die Menschheit lässt sich unterteilen in vier Gruppen, Rassen, Populationen, wie auch immer das genannt wird, oder die Menschheit unterteilt sich in Leute auf vier Kontinenten und man bezeichnet die dann entsprechend der Kontinente – Europäer, Asiaten, Afrikaner und Native Americans – das ist sehr, sehr simpel und kann ganz viele Dinge nicht gut erfassen. Und trotzdem halten Wissenschaftler und auch andere gerne ganz grob an diesem Schema fest."
Neuen Auftrieb gibt seit den 1990er-Jahren die Humangenetik: Sie kann immer mehr Gene identifizieren, zum Beispiel solche, die für bestimmte Krankheiten verantwortlich sind. Aber schnell werden auch wieder Eigenschaften ins Spiel gebracht, die in unterschiedlichen Menschengruppen gehäuft auftreten und angeblich "genetisch bedingt" sein sollen: Intelligenz etwa oder – Kriminalität.
Ein aktuelles Beispiel: Am 23. März 2018 schrieb der Genetiker David Reich von der Harvard University in der "New York Times":
"Es ist einfach nicht länger möglich, die durchschnittlichen genetischen Unterschiede zwischen 'Rassen' zu ignorieren."
Rasse ist keine sinnvolle Klassifikation
David Reich setzte "Rassen" zwar in Anführungszeichen, aber es folgte eine erbitterte Rassismusdebatte unter Wissenschaftlern. Wird da eine alte Diskussion unter neuen Vorzeichen geführt? Für Veronika Lipphardt ist der Rassebegriff zu simpel:
"Es gibt genetische Vielfalt beim Menschen. Die Frage, wie man die am besten klassifiziert, ist keine triviale Frage, und das Ordnungssystem der Rasse ist nicht besonders gut geeignet, um diese menschliche Vielfalt zu sortieren. Also es ist nicht die Frage, ob es Rassen gibt oder nicht. Sondern es gibt menschliche Vielfalt, darin sind sich, glaub ich, alle einig, die Frage ist nur, wie beschreiben wir sie und wie ordnen wir sie. Und da weise ich Rasse als eine sinnvolle Klassifikation ganz klar zurück."
... weil sie die Komplexität nicht erfasst, aber noch aus einem anderen Grund:
"Diese Hoffnung, dass man ein wissenschaftliches Verfahren objektiv gestalten könnte und von jeder Bewertung trennen könnte, ist aus meiner Sicht naiv. Also, man kann sich noch so viel Mühe geben, bestimmte biometrische Daten zu erheben und zu messen, die Interpretation der Ergebnisse wird immer sehr nahe an Bewertungen sein."
Das haben die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts gezeigt. Hat also die Wissenschaft den Rassismus gefördert?
Lipphardt: "Ich glaube, das ist eher eine Koproduktion von Wissenschaft und Gesellschaft. Also ich glaube, das Bedürfnis der Gesellschaft, von der Wissenschaft diese Klassifikationen verlässlich geliefert zu bekommen, ist sehr, sehr groß. Ich glaube, dass eine sehr große Sehnsucht nach Eindeutigkeit besteht. Eindeutige, klare Aussagen, messbare Aussagen, auf die man sich gut verlassen kann. Das Problem dabei ist, dass Wissenschaft ja auch Teil der Gesellschaft ist und sich deshalb auch immer wieder daraufhin befragen lassen muss, ob denn das Wissen, das angeblich so objektiv ist, nicht doch auch ganz tief gesellschaftlich geprägt ist."
In wissenschaftsgläubigen und zugleich unsicheren Zeiten werden die vermeintlich klaren Aussagen gierig aufgenommen. Die als krisenhaft erlebte Globalisierung sowie die großen Wanderungs- und Fluchtbewegungen haben die geopolitische Ordnung durcheinander gebracht. Das Rassenkonzept kann kollektive Identität stärken, ein Wir-Gefühl bei gleichzeitiger Abgrenzung von "den Anderen".
"Es gibt genetische Vielfalt beim Menschen. Die Frage, wie man die am besten klassifiziert, ist keine triviale Frage, und das Ordnungssystem der Rasse ist nicht besonders gut geeignet, um diese menschliche Vielfalt zu sortieren. Also es ist nicht die Frage, ob es Rassen gibt oder nicht. Sondern es gibt menschliche Vielfalt, darin sind sich, glaub ich, alle einig, die Frage ist nur, wie beschreiben wir sie und wie ordnen wir sie. Und da weise ich Rasse als eine sinnvolle Klassifikation ganz klar zurück."
... weil sie die Komplexität nicht erfasst, aber noch aus einem anderen Grund:
"Diese Hoffnung, dass man ein wissenschaftliches Verfahren objektiv gestalten könnte und von jeder Bewertung trennen könnte, ist aus meiner Sicht naiv. Also, man kann sich noch so viel Mühe geben, bestimmte biometrische Daten zu erheben und zu messen, die Interpretation der Ergebnisse wird immer sehr nahe an Bewertungen sein."
Das haben die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts gezeigt. Hat also die Wissenschaft den Rassismus gefördert?
Lipphardt: "Ich glaube, das ist eher eine Koproduktion von Wissenschaft und Gesellschaft. Also ich glaube, das Bedürfnis der Gesellschaft, von der Wissenschaft diese Klassifikationen verlässlich geliefert zu bekommen, ist sehr, sehr groß. Ich glaube, dass eine sehr große Sehnsucht nach Eindeutigkeit besteht. Eindeutige, klare Aussagen, messbare Aussagen, auf die man sich gut verlassen kann. Das Problem dabei ist, dass Wissenschaft ja auch Teil der Gesellschaft ist und sich deshalb auch immer wieder daraufhin befragen lassen muss, ob denn das Wissen, das angeblich so objektiv ist, nicht doch auch ganz tief gesellschaftlich geprägt ist."
In wissenschaftsgläubigen und zugleich unsicheren Zeiten werden die vermeintlich klaren Aussagen gierig aufgenommen. Die als krisenhaft erlebte Globalisierung sowie die großen Wanderungs- und Fluchtbewegungen haben die geopolitische Ordnung durcheinander gebracht. Das Rassenkonzept kann kollektive Identität stärken, ein Wir-Gefühl bei gleichzeitiger Abgrenzung von "den Anderen".
Der vermeintliche Kampf der Kulturen
Tagesschau: "Mit einer Äußerung über den dunkelhäutigen Nationalspieler Boateng hat AfD-Vize Gauland für Empörung gesorgt: 'Die Leute wollten einen Boateng nicht als Nachbarn haben', soll Gauland laut Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung gesagt haben. Der Deutsche Fußball-Bund und Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien nannten die Äußerung geschmacklos und warfen Gauland Rassismus vor."
Die Tagesschau vom 29. Mai 2016 berichtet weiter, dass Gauland sich noch mit das FAS über die korrekte Zitierung streite. Aber seine Partei entschuldigte sich vorsichtshalber schon mal, während er selbst dabei blieb, dass es viele Menschen gäbe, "die halt Fremde in ihrer Nachbarschaft nicht für ideal halten".
Die Tagesschau vom 29. Mai 2016 berichtet weiter, dass Gauland sich noch mit das FAS über die korrekte Zitierung streite. Aber seine Partei entschuldigte sich vorsichtshalber schon mal, während er selbst dabei blieb, dass es viele Menschen gäbe, "die halt Fremde in ihrer Nachbarschaft nicht für ideal halten".
Der Rassismus kommt in der Regel heute ohne den Begriff "Rasse" aus. Es ist vielmehr die Rede vom "Kampf der Kulturen", wie es der Amerikaner Samuel Huntington in den 1990er-Jahren nannte. Auch Thilo Sarrazin gehört hierher mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab", 2010. Übrigens das meist verkaufte politische Sachbuch der Nachkriegsgeschichte. Die Pegida, die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" warnen vor der Gefahr der "Überfremdung":
"Es ist nicht rassistisch, sein Volk und seine Kultur zu verteidigen."
War auf einem Plakat von Pegida-Demonstranten in Dresden zu lesen – der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes". Der Koblenzer Historiker Professor Christian Geulen sieht darin einen Rassismus in neuem Gewand:
"Wenn ich mir Phänomene angucke wie etwa die 'Identitäre Bewegung', dann ist da zunächst mal viel Klassisches drin, aber etwa der deutliche Verzicht auf die Kategorie der Rasse: Ist das vielleicht nicht nur Strategie, weil dieser Begriff eher tabuisiert ist, und die Frage ist, ob nicht hier wirklich so etwas wie ein Kulturrassismus entsteht, die These ist in den 90er-Jahren von französischen Historikern schon mal aufgestellt worden, die gesagt haben, in Zukunft wird es Rassismus geben, und der kann genauso mörderisch sein wie früher, aber wird sich möglicherweise nicht mehr auf Biologie beziehen, diese Entwicklung, so wie vieles andere, ist eigentlich noch im Gange. Der Rassismus ist wirklich eine der flexibelsten Ideologien, er kommt zwar daher und man meint, man könne ihn definieren, aber wenn man genau hinguckt, stellt man fest, wie unglaublich anpassungsfähig er ist, und darauf zu achten, wäre, glaub ich, ganz wichtig für die Zukunft."