Über die Macht der Umfragen

Wenn Meinungsforscher die falschen Wörter verwenden

Wandel oder Krise? Wörter können ideologisch selektive Deutungsmuster aufrufen.
Wandel oder Krise? Wörter können ideologisch selektive Deutungsmuster aufrufen. © Deutschlandradio
Von Elisabeth Wehling |
Beim Brexit haben Meinungsumfragen daneben gelegen, Bei den US-Wahlen letztlich auch. Gespannt blicken wir auf die Bundestagswahl. Fest steht: Der Einsatz bestimmter Wörter und Formulierungen kann Umfrageergebnisse verzerren. Vorsicht ist also angebracht.
Im Juni der Brexit. Im November die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA. Gleich zweimal haben Meinungsumfragen im Jahr 2016 eine krachende Bauchlandung erfahren, wo es darum ging, den politischen Willen der Bürger zu erfassen.
Vorsichtig geworden ist man seitdem. Mit Skepsis tapern Politiker und Medienschaffende um die täglich neuen Umfrageergebnisse – unsicher, ob sie wohl als Boden für politische Gestaltung oder Kommentierung belastbar sind. Zusätzlich irritiert dadurch, dass vielen nach wie vor undeutlich ist, woher sie eigentlich rührt, die neuerdings deutlich sichtbare Schwäche von Meinungserhebungen.

Die Macht der ideologischen Wortwahl

Aus Sicht der Kognitionsforschung, die das politische Denken und Sprechen empirisch durchleuchtet, ist die Erklärung so einfach wie alarmierend. Sie lautet wie folgt: Umfragen nutzen oft die falschen Wörter. Wörter nämlich, die im Gehirn des Antwortenden ideologisch selektive Deutungsmuster aufrufen. Wörter, die damit seine Positionierung zu einem Thema entscheidend mit vorgeben. Befragt man Bürger zur Migrationsbewegung, so sprechen sie sich eher dafür aus – spricht man sie aber auf die Migrationswelle an, sind sie stärker dagegen. Und zwar bei identischer Faktenlage! Genau diesen Effekt zeigen etliche experimentelle Studien.
Wieso? Die Wörter aktivieren unterschiedliche Perspektiven auf das Thema. Eine metaphorische Flutwelle suggeriert Bedrohung. Eine Migrationsbewegung suggeriert, nun, Menschen. Die Liste von Erhebungen ist lang, die zeigen, wie sehr es bei Meinungsumfragen auf jedes einzelne Wort ankommt.
Achten wir also genauer darauf, wonach man uns fragt. Geht es um den Klimawandel oder die Klimakrise? Um Energieunabhängigkeit oder umweltbelastendes Fracking? Steuerbürden oder Steuerverantwortung? Mehr Regulierung oder mehr Schutz? Umverteilung durch den Staat oder ein loyales Miteinander-Teilen? Fragt man uns nach unserer Meinung über Steuersünder oder Steuerkriminelle? Und wie fällt wohl unsere Antwort aus?

Falsche Worte produzieren unzuverlässige Ergebnisse

Für die Meinungsforscher der Parteien gilt: Wer eine Umfrage in Auftrag gibt, sollte die Worte mit Bedacht wählen. Entsprechen sie dem eigenen Blick auf das Thema, dann das konsequent, und die Ergebnisse sind im Regelfall belastbar. Denn die Partei fragt dann die Zustimmung für Handlungsvorschläge innerhalb der eigenen ideologischen Perspektive ab. Entsprechen Wörter aber nicht dem eigenen Blick auf das Thema, ist das inkonsequent, und die Ergebnisse sind in der Regel nicht belastbar. Denn dann fragt man Zustimmung für Handlungsvorschläge außerhalb der eigenen ideologischen Perspektive ab.

Verzerrte Bilder, verzerrte Politik

Wer mögliche Zustimmung zu politische Vorhaben erfragen will, ist deshalb gut beraten, die Bedeutung der Sprache ernst zu nehmen. Umfragen sind ein wichtiges politisches Instrument. Sie können dazu dienen, den Willen der Bürger zu erheben und politisch zu berücksichtigen.
Umfragen jedoch, die mit Wörtern ungenau umgehen, erfassen nicht nur ideologisch einseitige Realitäten – sie schaffen sie auch. Denn erhobene Meinung wird bei politischen Parteien allzu oft zum Programm. So wird die Meinungsumfrage zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Elisabeth Wehling, geboren 1981 in Hamburg, ist Kognitionswissenschaftlerin an der University of California, Berkeley, Autorin des Bestsellers "Politsches Framing" (v. Halem, 2016) und weltweit anerkannte Expertin auf dem Gebiet der kognitiven Verhaltensforschung. Unter anderem forscht sie zur Verbreitung konservativer und progressiver Wertevorstellungen. Im Herbst 2016 sagte sie als eine der wenigen Wissenschaftler den Wahlsieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen vorher.

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© Eleonora Palmieri
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