Über Freiheit, wie sie Hannah Arendt verstand
Kann man Denken zeigen? Ja, wer sich redlich bemüht, kann es. Margarethe von Trotta und vor ihr Günther Gaus ist es auf je eigene Weise gelungen. Der Kontrast zwischen dem Interview mit der sehr lebendigen Hannah Arendt von 1964 und dem eben angelaufenen Spielfilm zeigt freilich auch, wie sehr der Zeitgeist sich gewandelt hat.
Der Journalist befragte Hannah Arendt, nachdem sie den Jerusalemer Prozess gegen Adolf Eichmann beobachtet, über ihn nachgedacht und geschrieben hatte. In der ihr eigenen Gradheit hatte die herausragende Intellektuelle und jüdische Emigrantin ihren mühsam errungenen Erfolg in Amerika aufs Spiel gesetzt und Mühe, den entstandenen Schaden zu begrenzen.
Fünfzig Jahre danach setzt die Filmemacherin den Skandal, den das Buch von der Banalität des Bösen ausgelöst hat, in Szene - auf der Basis einer mittlerweile beachtlichen Literatur. Dass sie es tut - hat auch damit zu tun, dass Hannah Arendt von der Kontroverse zwar gezeichnet und verzeichnet wurde, aber doch zugleich unbeschadet aus ihr hervorgehen konnte: Man hat sie als eigenständige Denkerin in Erinnerung behalten.
Als skandalös erweisen sich heute eher der Skandal selbst und das notorische Missverständnis, das noch immer den Gedanken von der Banalität des Bösen diffamiert.
Als Arendt nach Jerusalem reiste, hatte sie gut in Erinnerung, wie Menschen, deren Hauptberuf das Denken war, zu den verrücktesten Tyranneien ihrer politischen Weltzeit "noch etwas eingefallen war". Nun war sie neugierig auf einen der Haupttäter. Und sie war schockiert, dass er nicht nur schlecht oder falsch, sondern dass er ganz einfach gar nicht dachte.
Damit irritierte er zuerst ihre eigenen Erwartungen an "das Monster". Und von dieser Irritation legte sie - ohne Rücksicht auf die zu erwartenden Reaktionen - in ihrem Bericht Zeugnis ab. Arendts Erschrecken wurde von anderen als Entschuldigung missverstanden. Für sie war der Nationalsozialist bis zur Lächerlichkeit unentschuldbar.
Was war also für sie das Denken? Nicht erst beim Philosophen Heidegger hatte sie gelernt, nach Kant mündig zu sein und den Verstand ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Schon in der Schulzeit war das "Denken ohne Geländer", wie sie es nannte, Teil ihrer jüdischen und weiblichen Vitalität geworden.
Und ohne dass sie je die beiden natürlichen Nachteile, Frau und Jüdin zu sein, verleugnet hätte, war sie untauglich für Feminismus, Zionismus, Sozialismus, Existentialismus oder irgendeine Partei. Die Freiheit ihres Denkens war vielmehr Ausdruck und Heilmittel zugleich für jene prekäre geistige Position außerhalb fester "-Ismen". Sie stammte zu einem Teil aus der vorurteilslosen Wärme der selbstbewussten jüdischen Diasporaexistenz.
Je länger Hannah Arendt ihr Denken aber betrieb, desto weniger wollte sie es "Philosophie" nennen. Dies nicht so sehr, weil sie nicht den Eindruck hatte, "in den Kreis der Philosophen aufgenommen" zu sein; das schien sich nach allem eher von selbst zu verstehen. Sondern vor allem, weil sie das schwierige Verhältnis zwischen Philosophie und Politik ernst nahm.
Wer politisch philosophiert, wird seiner jeweiligen politischen Richtung die gesamte weltentragende Last des philosophischen Ewigkeitsanspruchs aufladen. Wer als Philosoph politisiert, wird deswegen eine Neigung zum Totalitarismus haben. Wer hingegen politisch denkt, der wird jederzeit die Freiheit und die zu ihrem Schutz nötigen Institutionen vor Augen haben - und diese frei beurteilen. Darum sagte sie von sich, sie lehre politisches Denken.
So gewappnet, begegnet sie allen Versuchen ihrer Gesprächspartner, sie auf ihre Lage als Opfer von rassistischer Verfolgung oder persönlichen Anfeindungen festzulegen, mit verblüffender Heiterkeit und Souveränität. Ob Denken weiblich oder männlich sei, mit Geländer oder ohne? Denken war ganz einfach das, was sie tat - eine Freiheit, von der sie Gebrauch machte.
Dr. Gesine Palmer, geb. 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin.
Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind "Religion, Psychologie und Ethik" - im klein-klein der menschlichen Beziehungen wie im groß-groß der Politik.
Fünfzig Jahre danach setzt die Filmemacherin den Skandal, den das Buch von der Banalität des Bösen ausgelöst hat, in Szene - auf der Basis einer mittlerweile beachtlichen Literatur. Dass sie es tut - hat auch damit zu tun, dass Hannah Arendt von der Kontroverse zwar gezeichnet und verzeichnet wurde, aber doch zugleich unbeschadet aus ihr hervorgehen konnte: Man hat sie als eigenständige Denkerin in Erinnerung behalten.
Als skandalös erweisen sich heute eher der Skandal selbst und das notorische Missverständnis, das noch immer den Gedanken von der Banalität des Bösen diffamiert.
Als Arendt nach Jerusalem reiste, hatte sie gut in Erinnerung, wie Menschen, deren Hauptberuf das Denken war, zu den verrücktesten Tyranneien ihrer politischen Weltzeit "noch etwas eingefallen war". Nun war sie neugierig auf einen der Haupttäter. Und sie war schockiert, dass er nicht nur schlecht oder falsch, sondern dass er ganz einfach gar nicht dachte.
Damit irritierte er zuerst ihre eigenen Erwartungen an "das Monster". Und von dieser Irritation legte sie - ohne Rücksicht auf die zu erwartenden Reaktionen - in ihrem Bericht Zeugnis ab. Arendts Erschrecken wurde von anderen als Entschuldigung missverstanden. Für sie war der Nationalsozialist bis zur Lächerlichkeit unentschuldbar.
Was war also für sie das Denken? Nicht erst beim Philosophen Heidegger hatte sie gelernt, nach Kant mündig zu sein und den Verstand ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Schon in der Schulzeit war das "Denken ohne Geländer", wie sie es nannte, Teil ihrer jüdischen und weiblichen Vitalität geworden.
Und ohne dass sie je die beiden natürlichen Nachteile, Frau und Jüdin zu sein, verleugnet hätte, war sie untauglich für Feminismus, Zionismus, Sozialismus, Existentialismus oder irgendeine Partei. Die Freiheit ihres Denkens war vielmehr Ausdruck und Heilmittel zugleich für jene prekäre geistige Position außerhalb fester "-Ismen". Sie stammte zu einem Teil aus der vorurteilslosen Wärme der selbstbewussten jüdischen Diasporaexistenz.
Je länger Hannah Arendt ihr Denken aber betrieb, desto weniger wollte sie es "Philosophie" nennen. Dies nicht so sehr, weil sie nicht den Eindruck hatte, "in den Kreis der Philosophen aufgenommen" zu sein; das schien sich nach allem eher von selbst zu verstehen. Sondern vor allem, weil sie das schwierige Verhältnis zwischen Philosophie und Politik ernst nahm.
Wer politisch philosophiert, wird seiner jeweiligen politischen Richtung die gesamte weltentragende Last des philosophischen Ewigkeitsanspruchs aufladen. Wer als Philosoph politisiert, wird deswegen eine Neigung zum Totalitarismus haben. Wer hingegen politisch denkt, der wird jederzeit die Freiheit und die zu ihrem Schutz nötigen Institutionen vor Augen haben - und diese frei beurteilen. Darum sagte sie von sich, sie lehre politisches Denken.
So gewappnet, begegnet sie allen Versuchen ihrer Gesprächspartner, sie auf ihre Lage als Opfer von rassistischer Verfolgung oder persönlichen Anfeindungen festzulegen, mit verblüffender Heiterkeit und Souveränität. Ob Denken weiblich oder männlich sei, mit Geländer oder ohne? Denken war ganz einfach das, was sie tat - eine Freiheit, von der sie Gebrauch machte.
Dr. Gesine Palmer, geb. 1960 in Schleswig-Holstein, studierte Pädagogik, evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin.
Nach mehrjähriger wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit gründete die Religionsphilosophin 2007 das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, aber auch als Redenschreiberin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind "Religion, Psychologie und Ethik" - im klein-klein der menschlichen Beziehungen wie im groß-groß der Politik.